Verletzung des Anspruchs auf ein chancengleiches Bewerbungsverfahren gem. Art 33 Abs. 2 GG durch ein sachlich nicht gerechtfertigtes Anforderungsprofil der Stelle
LAG Köln 12.4.2017, 5 SaGa 4/17Der Verfügungskläger hat ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften und promovierte 1998. Nach unterschiedlichen Tätigkeiten bei verschiedenen Unternehmen ist der Kläger im Justizministerium NRW als Referent in dem Referat für Informationssicherheit, Rechtsfragen und IT-Öffentlichkeitsarbeit tätig. Der Verfügungskläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80.
Die Verfügungsbeklagte ist zentraler IT-Dienstleister der Bundesverwaltung. Zum 1.1.2017 schrieb sie die Stelle "Leiterin bzw. Leiter der Referatsgruppe IV B - Betrieb, zentrale Infrastruktur" aus. Als Anforderungen für die Stelle legte die Verfügungsbeklagte in der Stellenausschreibung, das Verfügen über ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium vorzugsweise in MINT-Fächern sowie mehrjährige Erfahrung im IT-Bereich fest oder aber das Innehaben des Beamtenstatus im höheren Dienst in der Besoldungsgruppe A15 bzw. A16.
Der Verfügungskläger bewarb sich auf die Stelle und gab dabei auch seine Schwerbehinderung an. Die Verfügungsbeklagte lehnte seine Bewerbung ab. Sie wählte als Bewerber einen Beamten ihres Hauses aus, der in den höheren Dienst aufgestiegen war und nach A15 besoldet wird. Der Kläger begehrte mit seinem Antrag bei Gericht die Unterlassung der Stellenbesetzung bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache. Der Antrag wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Das LAG gab ihm statt.
Die Gründe:
Die Berufung des Verfügungsklägers ist begründet. Die Verfügungsbeklagte ist verpflichtet, die Stelle als "Leiterin/Leiter der Referatsgruppe IV B - Betrieb, zentrale Infrastruktur" vorläufig, maximal bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren freizuhalten und auch nicht mit dem aus ihrer Sicht bestplatzierten Bewerber kommissarisch zu besetzen.
Der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 62 Abs. 2 ArbGG, §§ 935, 940, 920 ZPO erforderliche Verfügungsanspruch ist gegeben.
Die Verfügungsbeklagte hat den Bewerberverfahrensanspruch des Verfügungsklägers gem. Art. 33 Abs. 2 GG verletzt, in dem sie für die Besetzung der Stelle ein sachlich nicht gerechtfertigtes Anforderungsprofil aufgestellt und ihn daraufhin vom Verfahren ausgeschlossen hatte.
Beamten und Arbeitnehmer haben gem. Art. 33 abs. 2 GG bei der Besetzung von Ämtern des öffentlichen Dienstes ein subjektives Recht auf die chancengleiche Teilnahme am Verfahren, auf ihre rechtsfehlerfreie Einbeziehung in die Auswahl und auf die Durchführung nach den Auswahlkriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. Dem öffentlichen Arbeitgeber steht es zwar frei, das Anforderungsprofil der Stelle festzulegen. Allerdings darf er dabei nicht willkürliche Kriterien festlegen, die nach der Verkehrsanschauung in der Arbeitswelt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt wären. Er hat das Anforderungsprofil nach vielmehr objektiven Kriterien zu bestimmen.
Die Verfügungsbeklagte durfte den Kläger nicht ablehnen, weil er über kein abgeschlossenes Hochschulstudium vorzugsweise in den MINT-Fächern verfügt. Die ausgeschriebene Stelle rechtfertigt keine Einschränkung auf diese Fächer. Es lautet selbst im Anforderungsprofil lediglich "vorzugsweise". Außerdem wird dies auch dadurch deutlich, dass die Stelle ebenso für Beamte im höheren Dienst der Besoldungsgruppe A15 /A16 ausgeschrieben ist, die gerade über ein solches Studium nicht verfügen. Eine Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.
Der schwerbehinderte Verfügungskläger hat zudem gem. § 82 S. 2 SGB IX einen Anspruch darauf, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Die Regelung beschreibt nicht nur eine Pflicht des öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers. Sie gibt dem Verfügungskläger vielmehr einen Individualanspruch. Eine Einladung ist danach, nur dann nicht erforderlich, wenn dem schwerbehinderten Bewerber gem. § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Ein Verfügungsgrund zur Sicherung seines Anspruchs ist gegeben, da der Anspruch nach Besetzung der Stelle nicht mehr durchsetzbar wäre. Ebenso ist die Verfügungsbeklagte dazu anzuhalten, die Stelle weder endgültig noch vorläufig zu besetzen. Zwar könnte eine vorläufige Besetzung wieder rückgängig gemacht werden, so dass der Anspruch grds. noch durchsetzbar wäre. Jedoch besteht das Risiko, dass der vorläufige Besetzer der Stelle einen Erfahrungsvorsprung gewinnt, den der Verfügungskläger nicht mehr aufholen könnte. Somit würde der Anspruch auf chancengleiche Teilnahme beeinträchtigt.
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