17.07.2018

Wann ist ein Arztbesuch während der Arbeitszeit zulässig?

Arbeitnehmer müssen versuchen, eine Arbeitsversäumnis wegen eines Arztbesuchs möglichst zu vermeiden und Sprechstunden außerhalb der Arbeitszeiten wahrzunehmen, wenn keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Besuch sprechen. Ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis liegt allerdings vor, wenn der Arzt auf terminliche Wünsche keine Rücksicht nehmen kann oder will.

LAG Niedersachsen 8.2.2018, 7 Sa 256/17
Der Sachverhalt:

Der Kläger ist seit Januar 1993 bei der Beklagten als Klima- und Lüftungsmonteur beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet laut Arbeitsvertrag der Manteltarifvertrag des Groß- und Außenhandels Niedersachsen vom 19.6.1997 Anwendung. Er enthält in § 13 Regelungen zur ein- bis mehrtägigen Freistellung von der Arbeit und in § 14 Regelungen zur Arbeitsverhinderung. Nach § 13 Ziff. 3 MTV sind in § 13 Ziff. 1 Nr. 1-4 die in Anwendung des § 616 BGB möglichen Fälle abschließend geregelt. Nach § 14 Ziff. 3 MTV ist in allen Fällen unverschuldeter Arbeitsversäumnis das Entgelt für die unumgänglich notwendige Abwesenheit, höchstens jedoch bis zur Dauer von 4 Stunden, fortzuzahlen.

Der Kläger nahm am 26.4.2016 in der Zeit von 10:15 Uhr bis 11:45 Uhr einen Arzttermin bei einem Orthopäden wahr. Für die Zeit nach diesem Termin stellte er einen Antrag auf Freizeitausgleich, sodass er an diesem Tag insgesamt nicht arbeitete. Die Beklagte zahlte für den Tag die Arbeitsvergütung und belastete das Arbeitszeitkonto des Klägers mit den vollen 8,25 Stunden. Die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers dauert montags bis donnerstags bis 16:15 Uhr und freitags bis 13:00 Uhr. Der Kläger konnte daher keinen Arzttermin außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit wahrnehmen, da die Sprechstundenzeiten bis 15:00 Uhr bzw. 12:00 Uhr stattfinden.

Der Kläger begehrte eine Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto von 1,5 Stunden. Die Klage auf bezahlte Freistellung für die Dauer des Arztbesuchs hatte zunächst vor dem Arbeitsgericht keinen Erfolg. Die dagegen gerichtete Berufung war vor dem LAG erfolgreich.

Die Gründe:

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Vergütung für die Dauer seines Arztbesuchs aus § 14 Ziff. 3 MTV. Dem Arbeitszeitkonto des Klägers sind 1,5 Stunden ohne Rückforderung der für die Zeit des Arztbesuchs gezahlten Vergütung gutzuschreiben. Denn die Voraussetzungen des § 14 Ziff. 3 MTV liegen vor. Der Kläger war am 26.4.2016 für die Dauer von 1,5 Stunden unverschuldet an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert.

Ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis kann auch bei einem Arztbesuch vorliegen, wenn der Arbeitnehmer von einem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann. Denn dann liegt eine Konfliktsituation für den Arbeitnehmer vor, der einerseits zur Arbeitsleistung verpflichtet ist und andererseits keine Möglichkeit hat, einen Termin bei dem Arzt seiner Wahl zu bekommen. Die Abwesenheit war im Streitfall auch unumgänglich notwendig i.S.d. Tarifvertrags. Es war dem Kläger unmöglich einen Arzttermin außerhalb seiner Arbeitszeit wahrzunehmen, da die Sprechstundenzeiten vor Ablauf seiner Arbeitszeit endeten.

§ 13 Ziff. 3 MTV steht dem nicht entgegen. Dies ergibt eine Auslegung der tariflichen Regelung. Zwar besagt der Wortlaut von § 13 Ziff. § MTV, dass in § 13 Ziff. 1 Nr. 1-4 die in Anwendung des § 616 BGB möglichen Fälle abschließend geregelt sind und unter § 616 BGB kann auch ein Arztbesuch gefasst werden. Da der Arztbesuch in § 13 MTV nicht aufgeführt ist, könnte dies gegen eine Vergütung sprechen. Aber zu diesem Ergebnis steht die Regelung in § 14 Ziff. 3 MTV in Widerspruch. Aufgrund der Differenzierung zwischen der Regelung des Anspruch auf Freistellung von der Arbeit in § 13 MTV und einer unverschuldeten Arbeitsverhinderung in § 14 MTV kann geschlossen werden, dass die Tarifvertragsparteien mit § 13 Ziff. 3 MTV nur die Fälle des § 616 BGB regeln wollten, die eine ganztägige Abwesenheit erfordern. Bestätigt wird dies durch die Tarifgeschichte, denn § 13 Ziff. 3 MTV wurde erst nachträglich in den MTV aufgenommen. Hätten Die Tarifvertragsparteien einen Ausschluss der Bezahlung eines notwendigen Arztbesuchs gewollt, hätten sie dies ausdrücklich aufnehmen können und müssen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des Niedersächsischen Justizportals veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

Niedersächsisches Justizportal online
Zurück