02.12.2024

"Wie-Beschäftigung": Verletzung beim Reinschnuppern stellt keinen Arbeitsunfall dar

Eine "Wie-Beschäftigung" liegt bei Probearbeiten vor, wenn eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit von - wenn auch geringem - wirtschaftlichen Wert erbracht wird. Ein "Reinschnuppern" eines Interessierten im Vorfeld, um sich einen Eindruck zu verschaffen, ob die Tätigkeit überhaupt in Betracht kommt, reicht hierfür nicht aus.

LSG Baden-Württemberg v. 24.10.2024 - L 10 U 3356/21
Der Sachverhalt:
Die Tochter der Klägerin ist Mitglied einer Voltigiergruppe bei einem Reiterverein. Wenn nicht ausreichend vereinsinterne Helfer bei den Voltigierstunden verfügbar waren, wurden auch Eltern als Helfer eingesetzt, die kurzfristig mittels Anfrage an den Helfer-Pool der Eltern rekurriert wurden. Vorkenntnisse für diese Helfertätigkeit waren grundsätzlich nicht erforderlich. Für den 15.3.2019 erklärte sich die Klägerin erstmals bereit, die Übungsleiterin im Rahmen der Voltigierstunde ihrer Tochter zu begleiten, um sich ein Bild von den Aufwärmübungen und den Übungen am Turnpferd zu machen. Es war der Klägerin freigestellt, bei den durchgeführten Aufwärmübungen mitzumachen oder lediglich zuzusehen. Die Klägerin entschied sich zur Teilnahme und verletzte sich dabei am Knie, an dem sie daraufhin operiert wurde.

Mit Bescheid vom 28.5.2019 verfügte die Beklagte, dass die Knieverletzung keinen Arbeitsunfall darstelle. Die Klägerin habe weder als Beschäftigte des Reitvereins nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII (gemeint: § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII), noch nach § 2 Abs. 2 SGB VII (sog. Wie-Beschäftigung) unter Versicherungsschutz gestanden, sondern lediglich eine private, eigenwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt. Ein arbeitnehmerähnliches Tätigwerden habe nicht vorgelegen; demgemäß bestehe auch "kein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung". Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das BSG habe klargestellt (BSG 29.8.2019, B 2 U 1/18 R), dass Personen, die einen Probearbeitstag verrichteten, als Wie-Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden.

Das Sozialgericht hat festgestellt, dass das Ereignis vom 15.3.2019 ein Arbeitsunfall sei und der Beklagten die Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des angeschuldigten Ereignisses vom 15.3.2019 als Arbeitsunfall, weil es keiner gewesen ist.

Weder war die Klägerin zum Zeitpunkt des angeschuldigten Ereignisses Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, noch gehörte sie zu dem nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 17, Abs. 1a oder Abs. 3 SGB VII versicherten Personenkreis. Die Klägerin war im Zeitpunkt des maßgeblichen Ereignisses auch nicht als "Wie-Beschäftigte" entsprechend § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII kraft Gesetzes versichert. Voraussetzung einer "Wie-Beschäftigung" ist, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (BSG 19.6.2018, B 2 U 32/17 R; 20.3.2018, B 2 U 16/16 R, m.w.N.).

Eine versicherte Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII setzt deshalb voraus, dass hinsichtlich der Handlung die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung anstatt der Merkmale einer unternehmerischen, selbstständigen Tätigkeit überwiegen und keine Sonderbeziehung besteht, die der wesentliche Grund für die Handlung war (BSG 16.3.2021, B 2 U 3/19 R). Auch eine nur geringfügige und kurze Tätigkeit kann einem Unternehmen dienen. Bei Probearbeiten ist eine "Wie-Beschäftigung" etwa bejaht worden, wenn der Versicherte als Dritter (§ 267 Abs. 1 Satz 1 BGB) Leistungen bewirkt, die der potentielle Arbeitgeber seinen Kunden schuldet, und der Versicherte als "kostenloser" Mitarbeiter entsprechende Forderungen der Kunden nach § 362 Abs. 1 BGB zum Erlöschen bringt (BSG 20.8.2019, B 2 U 1/18 R; 31.3.2022, B 2 U 13/20 R).

Erforderlich für das Vorliegen einer Wie-Beschäftigung ist mithin eine irgendwie geartete Tätigkeit von - wenn auch geringem - wirtschaftlichem Wert. Eine derartige Tätigkeit hatte die Klägerin am 15.3.2019 jedoch gerade nicht erbracht. Sie wollte vielmehr der Voltigierstunde ihrer Tochter beiwohnen und die Übungsleiterin begleiten, um sich ein Bild von den Aufgaben eines Eltern-Helfers zu machen. Eine mit der Helfer-Tätigkeit zusammenhängende Aufgabe in Form einer Aufsicht über die Kinder, eine Hilfestellung beim Steigen auf das (Turn-)Pferd oder gar einer Anleitung zu Aufwärm- und oder Dehnübungen hatte die Klägerin gerade nicht übernommen. Sie war nicht einmal angehalten gewesen, auch nur an den Aufwärmübungen teilzunehmen.

Mehr zum Thema:

Aktionsmodul Arbeitsrecht inkl. Otto Schmidt Answers
Otto Schmidt Answers spart Zeit. Die hochentwickelte KI beantwortet Fragen zum Arbeitsrecht im Handumdrehen und auf Basis rechtssicherer Quellen. Mit Tipps zur Antragsstellung und gestaltenden Beratung für das gesamte Arbeitsrecht. Die praxisbewährte KI verbindet die fundierte Qualität der Literatur des Aktionsmoduls Arbeitsrecht mit der Power fortschrittlicher Sprachmodelle. 4 Wochen gratis nutzen!
Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Zurück