30.08.2021

Wirksamkeit außerordentliche Kündigung - Zahlung von Weihnachtsgeld

Die Streichung des Weihnachtsgelds als Teil der Gesamtvergütung greift in die betriebliche Vergütungsstruktur ein und bildet daher eine nach § 87 Abs. 1 Nr 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme. Entsprechend dem Grundgedanken des § 273 Abs. 1 BGB, dass der Gläubiger, der selbst nicht leisten will, arglistig handelt, wenn er die vertraglich geschuldete Leistung einfordert, steht die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

ArbG Halle (Saale) v. 21.6.2021 - 8 Ca 2112/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit 2019 als technischer Leiter für die Beklagte tätig. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt 4.300 €. Unter Nr. 2 der Betriebsvereinbarung vom 30.6.2020 einigten sich die Geschäftsführung und der Betriebsrat der Beklagten auf die Gewährung eines Weihnachtsgelds von 435 € "ab 2019 mit November-Lohn-Gehaltsabrechnung" als freiwillige Mitarbeiterzuwendung. Dem Kläger wurde kein Weihnachtsgeld für das Jahr 2020 gezahlt. Mit Aushang vom 1.12.2020 teilte die Beklagte ihrer Belegschaft u.a. mit, aufgrund der wirtschaftlich angespannten Situation nicht in der Lage zu sein, das vereinbarte Weihnachtsgeld zu zahlen. Man habe sich auf die Zahlung eines Corona-Bonus i.H.v. 500 € für jeden angestellten Mitarbeiter verständigen können.

Mit Schriftsatz vom 10.3.2021 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, diese wolle aus der ihrerseits erklärten Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 24.11.2020 zum 31.12.2020, die ursprünglich Klagegegenstand war und mit der sie den Kläger unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt hatte, keine Rechte mehr herleiten. Dem Kläger wurde die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen angeboten. Mit Schreiben vom 18.3.2021 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, dieser biete seine Arbeitsleistung an, mache jedoch unter Verweis auf den angehangenen Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 19.1.2021 wegen des ausstehenden Annahmeverzugslohns von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch.

Mit Schreiben vom 23.3.2021 forderte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Kläger auf, sich unverzüglich an seiner bisherigen Arbeitsstelle einzufinden und führte weiter aus, dass ein Zurückbehaltungsrecht nach eigener Auffassung nicht bestehe. Es mangele an einer konkret dargelegten Gegenforderung. Nachdem der Kläger seine Arbeit in der Folgezeit nicht angetreten hatte, kündigte die Beklagte das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis außerordentlich. Der Kläger meinte, von der Beklagten aus der Betriebsvereinbarung vom 30.6.2020 die Zahlung eines Weihnachtsgelds von 435 € für das Jahr 2020 beanspruchen zu können.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten beendet worden ist. Außerdem hat es die beklagte Partei verurteilt an die klägerische Partei einen Betrag i.H.v. 435 € brutto zu zahlen.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgelds von 435 € brutto aus Nr. 2 der Betriebsvereinbarung vom 30.6.2020, wobei dahingestellt bleiben kann, welche Rechtsnatur der Anspruch hat. Die Streichung des Weihnachtsgelds als Teil der Gesamtvergütung greift in die betriebliche Vergütungsstruktur ein und bildet daher eine nach § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme. Die betriebliche Mitbestimmung setzt in jeder Form einen Beschluss des Betriebsrats und eine entsprechende Verlautbarung gegenüber dem Arbeitgeber voraus. Selbst wenn man von einer tatsächlich getroffenen Einigung ausgeht, würde sich aufgrund ihrer Formunwirksamkeit nach § 125 BGB nichts am Ergebnis ändern. Für aufhebende und abändernde Betriebsvereinbarungen gelten die - nicht gewahrten - Formvorgaben des § 77 Abs. 2 BetrVG nämlich entsprechen.

Die Kündigung ist als ordentliche verhaltensbedingte Kündigung wirksam. In der Arbeitsverweigerung des Klägers sieht das Gericht einen an sich hinreichenden Kündigungsgrund. Der Kläger war jedenfalls aufgrund der unterlassenen Angabe der konkreten Gegenforderung nicht zur Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts berechtigt. Entsprechend dem Grundgedanken des § 273 Abs 1 BGB, dass der Gläubiger, der selbst nicht leisten will, arglistig handelt, wenn er die vertraglich geschuldete Leistung einfordert, steht die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird diesem die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und gegebenenfalls zu erfüllen. Eine Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall lösen will und der dafür vorgebrachte Kündigungsgrund zwar nicht den Anforderungen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB genügt, aber zur sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung ausreicht.
Landesrecht Sachsen-Anhalt
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