Zu den Voraussetzungen für einen rückwirkenden Befreiungsantrag nach § 231 Abs.4b SGB VI
LSG Baden-Württemberg 20.3.2019, L 2 R 3561/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin (Jahrgang 1984) ist Volljuristin und war zunächst ab März 2012 als angestellte Rechtsanwältin in einer Kanzlei sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auf entsprechenden Antrag befreite die Beklagte die Klägerin für ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin ab März 2012 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Vom Januar 2014 bis Ende 2015 war die Klägerin als angestellte Juristin (Referentin Recht) für die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit 2016 ist die Klägerin als Richterin im Dienst des Landes Baden-Württemberg tätig.
Am 28.1.2014 hatte die Klägerin bei der Beklagten für ihre Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin bei der LBBW die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aufgrund ihrer gesetzlichen Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer der Rechtsanwaltskammer Stuttgart beantragt, was die Beklagte ablehnte. Zwar sei die Klägerin aufgrund ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und zugleich des berufsständischen Versorgungswerks der Rechtsanwälte. Diese Pflichtmitgliedschaft bestehe jedoch nicht wegen ihrer Beschäftigung als Referentin Recht/Syndikusrechtsanwältin bei der LBBW. Denn sie sei nicht als Rechtsanwältin bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Personen, die als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stünden (Syndikusrechtsanwälte), seien in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwälte tätig. Für die Ausübung derartiger Beschäftigungen sei daher eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht möglich.
Das SG wies die hiergegen gerichtete Klage letztlich ab (Az.: S 21 R 2091/18). Es fehle an dem erforderlichen kausalen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Klägerin bei der LBBW und der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte Baden-Württemberg und der Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer Stuttgart. Die Klägerin habe auch keine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO in der ab 1.1.2016 geltenden Rechtslage besessen.
Am 16.3.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 231 Abs. 4b SGB VI für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin/Referentin Recht bei der LBBW in dem Zeitraum von Januar 2014 bis Ende 2015, was die Beklagte allerdings ablehnte. Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagte habe verkannt, dass aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der LBBW 2015 beendet habe, eine solche Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 1.1.2016 geltenden Fassung nicht habe eintreten können. Dieser Umstand könne die Ablehnung der Befreiung aber nicht rechtfertigen. Es liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
Das SG wies die Klage ab. Auch die Berufung der Klägerin vor dem LSG blieb ohne Erfolg.
Die Gründe:
Zu Recht hat das SG einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit als Syndikusanwältin in der Rechtsabteilung der LBBW in dem Zeitraum Januar 2014 bis Ende 2015 verneint.
Die von der Klägerin gerügte verfassungswidrige Ungleichbehandlung bezogen auf (ehemalige) Kollegen der Klägerin bei der LBBW, die sich auch noch am 1.1.2016 in einem (solchen) Beschäftigungsverhältnis zur LBBW befanden, wie es die Klägerin bis zum 31.12.2015 innehatte, sieht der Senat nicht. Die von der Klägerin ins Auge gefasste verfassungskonforme Anwendung des § 231 Abs. 4b SGB VI dahingehend, dass auch sie dessen Anwendungsbereich zu fallen habe, würde darauf hinauslaufen, das vom Gesetzgeber bewusst formulierte Tatbestandsmerkmal, nämlich "eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt ... nach §6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung ... erteilt wurde", aufzugeben und Personen - wie die Klägerin -, die diese Tatbestandsvoraussetzung für eine Befreiung nicht erfüllen, dennoch in den Genuss der Befreiungsmöglichkeit nach § 231 Abs. 4b SGBVI kommen zu lassen.
Die Abs. 4a bis 4d des § 231 SGB VI sind durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 mit Wirkung ab dem 1.1.2016 eingefügt worden und korrespondieren insoweit mit der Erweiterung des Personenkreises der Pflichtmitglieder der Rechtsanwalts- und Patentanwaltskammern, die über den zum 1.1.2016 wirksam gewordenen § 46a BRAO bewirkt wird. Mit § 46a BRAO werden (erstmals) Syndikusrechtsanwälte auf Antrag zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, wenn die dort normierten Voraussetzungen erfüllt sind.
Damit bezieht der Gesetzgeber diese Personengruppe in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ein. Die Rechtsfolge, dass die Klägerin nicht rückwirkend für ihre Beschäftigung bei der LBBW vom 1.1.2014 bis 31.12.2015 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann, resultiert letztlich nicht aus § 231 Abs. 4b, sondern aus § 46a BRAO, weil dort eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt auf Antrag frühestens ab dem 1.1.2016 - und nicht schon davor - rechtlich ermöglicht wird. Die Einbeziehung einer (weiteren) Personengruppe in die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung muss aber - das liegt in der Natur der Dinge - einen zeitlichen Beginn haben, wobei es eine die "Ungleichbehandlung" - wie sie die Klägerin sieht - rechtfertigende Anknüpfungstatsache ist, die Befreiungsmöglichkeiten auf die Personen zu beziehen, die die Tätigkeit auch noch ausüben, die zum Gegenstand der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht wird.
Der Gesetzgeber vermeidet damit im Interesse der Rechts- und Beitragssicherheit in der gesetzlichen Rentenversicherung eine "uferlose" Rückabwicklung langjähriger Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung, weil nicht auch noch Tätigkeiten in die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen werden, die (längst) nicht mehr ausgeübt werden. Zuzugeben ist, dass in 231 Abs. 4b SGB VI mit der Bezugnahme auf die BRAO "in der ab 1.1.2016 geltenden Fassung" eine Art Stichtagsregelung getroffen ist, wie gerade der Fall der Klägerin zeigt. Dem Gesetzgeber ist es aber durch Art. 3 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt.
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Die Klägerin (Jahrgang 1984) ist Volljuristin und war zunächst ab März 2012 als angestellte Rechtsanwältin in einer Kanzlei sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auf entsprechenden Antrag befreite die Beklagte die Klägerin für ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin ab März 2012 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Vom Januar 2014 bis Ende 2015 war die Klägerin als angestellte Juristin (Referentin Recht) für die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit 2016 ist die Klägerin als Richterin im Dienst des Landes Baden-Württemberg tätig.
Am 28.1.2014 hatte die Klägerin bei der Beklagten für ihre Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin bei der LBBW die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aufgrund ihrer gesetzlichen Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer der Rechtsanwaltskammer Stuttgart beantragt, was die Beklagte ablehnte. Zwar sei die Klägerin aufgrund ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und zugleich des berufsständischen Versorgungswerks der Rechtsanwälte. Diese Pflichtmitgliedschaft bestehe jedoch nicht wegen ihrer Beschäftigung als Referentin Recht/Syndikusrechtsanwältin bei der LBBW. Denn sie sei nicht als Rechtsanwältin bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Personen, die als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stünden (Syndikusrechtsanwälte), seien in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwälte tätig. Für die Ausübung derartiger Beschäftigungen sei daher eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht möglich.
Das SG wies die hiergegen gerichtete Klage letztlich ab (Az.: S 21 R 2091/18). Es fehle an dem erforderlichen kausalen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Klägerin bei der LBBW und der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte Baden-Württemberg und der Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer Stuttgart. Die Klägerin habe auch keine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO in der ab 1.1.2016 geltenden Rechtslage besessen.
Am 16.3.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 231 Abs. 4b SGB VI für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin/Referentin Recht bei der LBBW in dem Zeitraum von Januar 2014 bis Ende 2015, was die Beklagte allerdings ablehnte. Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagte habe verkannt, dass aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der LBBW 2015 beendet habe, eine solche Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 1.1.2016 geltenden Fassung nicht habe eintreten können. Dieser Umstand könne die Ablehnung der Befreiung aber nicht rechtfertigen. Es liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
Das SG wies die Klage ab. Auch die Berufung der Klägerin vor dem LSG blieb ohne Erfolg.
Die Gründe:
Zu Recht hat das SG einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit als Syndikusanwältin in der Rechtsabteilung der LBBW in dem Zeitraum Januar 2014 bis Ende 2015 verneint.
Die von der Klägerin gerügte verfassungswidrige Ungleichbehandlung bezogen auf (ehemalige) Kollegen der Klägerin bei der LBBW, die sich auch noch am 1.1.2016 in einem (solchen) Beschäftigungsverhältnis zur LBBW befanden, wie es die Klägerin bis zum 31.12.2015 innehatte, sieht der Senat nicht. Die von der Klägerin ins Auge gefasste verfassungskonforme Anwendung des § 231 Abs. 4b SGB VI dahingehend, dass auch sie dessen Anwendungsbereich zu fallen habe, würde darauf hinauslaufen, das vom Gesetzgeber bewusst formulierte Tatbestandsmerkmal, nämlich "eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt ... nach §6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung ... erteilt wurde", aufzugeben und Personen - wie die Klägerin -, die diese Tatbestandsvoraussetzung für eine Befreiung nicht erfüllen, dennoch in den Genuss der Befreiungsmöglichkeit nach § 231 Abs. 4b SGBVI kommen zu lassen.
Die Abs. 4a bis 4d des § 231 SGB VI sind durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 mit Wirkung ab dem 1.1.2016 eingefügt worden und korrespondieren insoweit mit der Erweiterung des Personenkreises der Pflichtmitglieder der Rechtsanwalts- und Patentanwaltskammern, die über den zum 1.1.2016 wirksam gewordenen § 46a BRAO bewirkt wird. Mit § 46a BRAO werden (erstmals) Syndikusrechtsanwälte auf Antrag zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, wenn die dort normierten Voraussetzungen erfüllt sind.
Damit bezieht der Gesetzgeber diese Personengruppe in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ein. Die Rechtsfolge, dass die Klägerin nicht rückwirkend für ihre Beschäftigung bei der LBBW vom 1.1.2014 bis 31.12.2015 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann, resultiert letztlich nicht aus § 231 Abs. 4b, sondern aus § 46a BRAO, weil dort eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt auf Antrag frühestens ab dem 1.1.2016 - und nicht schon davor - rechtlich ermöglicht wird. Die Einbeziehung einer (weiteren) Personengruppe in die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung muss aber - das liegt in der Natur der Dinge - einen zeitlichen Beginn haben, wobei es eine die "Ungleichbehandlung" - wie sie die Klägerin sieht - rechtfertigende Anknüpfungstatsache ist, die Befreiungsmöglichkeiten auf die Personen zu beziehen, die die Tätigkeit auch noch ausüben, die zum Gegenstand der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht wird.
Der Gesetzgeber vermeidet damit im Interesse der Rechts- und Beitragssicherheit in der gesetzlichen Rentenversicherung eine "uferlose" Rückabwicklung langjähriger Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung, weil nicht auch noch Tätigkeiten in die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen werden, die (längst) nicht mehr ausgeübt werden. Zuzugeben ist, dass in 231 Abs. 4b SGB VI mit der Bezugnahme auf die BRAO "in der ab 1.1.2016 geltenden Fassung" eine Art Stichtagsregelung getroffen ist, wie gerade der Fall der Klägerin zeigt. Dem Gesetzgeber ist es aber durch Art. 3 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt.
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