Zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Durchführung von Fürsorgegesprächen
LAG Nürnberg v. 2.3.2021 - 7 TaBV 5/20
Der Sachverhalt:
Der Beteiligte zu 2) betreibt bundesweit ambulante Einrichtungen, die sog. Nierenzentren. Dort werden nierenkranke Menschen behandelt und insbesondere ambulant Blutwäsche durchgeführt. In A. wird ebenfalls ein Nierenzentrum mit etwa 44 Mitarbeitern betrieben. Der Beteiligte zu 1) ist der dort gewählte Betriebsrat. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat und ein Konzernbetriebsrat. Im Jahr 2018 fehlten von 45 Mitarbeitern insgesamt sieben Mitarbeiter mehr als 100 Tage krankheitsbedingt, weitere vier Mitarbeiter mehr als 50 Tage und weitere vier Mitarbeiter mehr als 30 Tage. Insgesamt sechs Mitarbeiter waren im Jahr 2018 an keinem Tag arbeitsunfähig erkrankt. Ferner fehlte noch eine Mitarbeiterin das ganze Jahr.
Der Beteiligte zu 2) führte im ersten Quartal des Jahres 2019 mit wenigstens sechs Mitarbeitern Fürsorgegespräche. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten dieser sechs Mitarbeiter schwankten im Jahr 2017 zwischen 4 und 135 Tagen. Der Beteiligte zu 2) führte keine Fürsorgegespräche mit weiteren fünf Mitarbeitern mit krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2018 zwischen 43 und 190 Tagen und einer Mitarbeiterin mit einer ganzjährigen krankheitsbedingten Abwesenheit. Bei dem Beteiligten zu 2) besteht die KBV Betriebliches Eingliederungsmanagement. Vier dieser fünf Mitarbeiter, mit denen kein Fürsorgegespräch geführt wurde, war ein BEM angeboten worden, das in zwei Fällen abgelehnt und in zwei Fällen durchgeführt wurde.
Die Gespräche verliefen unterschiedlich. Eine Mitarbeiterin lehnte es ab, über ihre Krankheiten zu sprechen und das Gespräch war bald beendet. Andere waren nannten ihre Krankheitsursachen und waren interessiert an organisatorischen Veränderungen. Der Beteiligte zu 1) machte ein Mitbestimmungsrecht geltend und beantragte, es zu unterlassen, formalisierte Fürsorgegespräche zu führen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse individualrechtlich zu verwerten. Der Unterlassungsanspruch ergäbe sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Mit den formalisierten Fürsorgegesprächen sei das Ordnungsverhalten, nicht das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter betroffen.
Das Erstgericht hat die Anträge des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Das LAG hat diese Entscheidung bestätigt.
Die Gründe:
Der Beteiligte zu 1) kann vom Beteiligten zu 2) nicht verlangen, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Antragstellers oder ohne dass die Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde, formalisierte Fürsorgegespräche mit Mitarbeitern zu führen, in denen sie Fehl- und Krankheitstage benennt und nach den jeweiligen Erkrankungen, eventueller Überlastung bei der Arbeit und Unterstützungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber fragt.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Dagegen sind Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren - das sog. Arbeitsverhalten -, nicht mitbestimmungspflichtig. Wirkt sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten aus, kommt es darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt.
Ob das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betroffen ist, beurteilt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen, die den Arbeitgeber zu einer Maßnahme bewogen haben. Entscheidend ist der jeweilige objektive Regelungszweck. Dieser bestimmt sich nach dem Inhalt der Maßnahme sowie nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens. Im Zusammenhang mit Mitarbeitergesprächen wegen krankheitsbedingten Fehlzeiten hat das BAG dies konkretisiert. Danach unterliegen formalisierte Krankengespräche der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Formalisierte Krankengespräche hat das BAG bejaht, wenn - erstens - die Auswahl der zu den Gesprächen herangezogenen Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln erfolgt, das Gespräch - zweitens - durch einen gleichförmigen Ablauf formalisiert ist und es - drittens - um eine betriebliche Aufklärung geht zur Erkennung der Einflüsse der Arbeit auf den Krankenstand. Nicht der Mitbestimmung unterfällt danach jedenfalls das fallweise Gespräch mit einem oder mehreren Mitarbeitern in unstrukturierter Form über krankheitsbedingte Ausfallzeiten und eventuelle Einflüsse der Arbeit hierauf.
Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus, dass kein Mitbestimmungsrecht für den Beteiligten zu 1) bestand bei den Fürsorgegesprächen im Februar und März 2019. Eine abstrakte Regel, nach der die Teilnehmer der Fürsorgegespräche ermittelt worden wären, hat der Beteiligte zu 2) abgestritten. Er hat ausgeführt, bei drei der Eingeladenen sei es darum gegangen, dass auf Grund längerer Abwesenheit einer Mitarbeiterin Arbeitsabläufe hätten geändert werden müssen. Bei den anderen sei es um das Gefühl bei der Verwaltungsleiterin und dem Personalreferenten aus der Hauptverwaltung gegangen, diesen Mitarbeitern könne Hilfestellung angeboten werden.
Der Beteiligte zu 1) benannte als abstrakte Regel "krankheitsbedingte Fehlzeiten" und meinte, die Dauer der Fehltage sei nicht von Bedeutung. Dabei handelt es sich jedoch zweifelsfrei nicht um eine zur Anwendung gelangte abstrakte Regel bei der Auswahl der Gesprächsteilnehmer. Immerhin hatten von 45 Mitarbeitern im Jahr 2018 nur sechs keinen einzigen krankheitsbedingten Fehltag. Nach der Argumentation des Beteiligten zu 1) hätten also 39 und nicht nur wenigstens 6 Mitarbeiter zum Fürsorgegespräch geladen werden müssen. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte und den vorgelegten Abwesenheitsübersichten eine abstrakte Regel, dass beispielsweise die Mitarbeiter zum Fürsorgegespräch gebeten worden wären, die die höchsten krankheitsbedingten Fehlzeiten gehabt hätten und denen noch kein BEM angeboten worden war. Soweit der Beteiligte zu 2) mit einem einheitlichen Einladungsschreiben zu den Fürsorgegesprächen eingeladen hat, ergibt sich daraus kein hinreichender Kollektivbezug.
Bayern.Recht
Der Beteiligte zu 2) betreibt bundesweit ambulante Einrichtungen, die sog. Nierenzentren. Dort werden nierenkranke Menschen behandelt und insbesondere ambulant Blutwäsche durchgeführt. In A. wird ebenfalls ein Nierenzentrum mit etwa 44 Mitarbeitern betrieben. Der Beteiligte zu 1) ist der dort gewählte Betriebsrat. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat und ein Konzernbetriebsrat. Im Jahr 2018 fehlten von 45 Mitarbeitern insgesamt sieben Mitarbeiter mehr als 100 Tage krankheitsbedingt, weitere vier Mitarbeiter mehr als 50 Tage und weitere vier Mitarbeiter mehr als 30 Tage. Insgesamt sechs Mitarbeiter waren im Jahr 2018 an keinem Tag arbeitsunfähig erkrankt. Ferner fehlte noch eine Mitarbeiterin das ganze Jahr.
Der Beteiligte zu 2) führte im ersten Quartal des Jahres 2019 mit wenigstens sechs Mitarbeitern Fürsorgegespräche. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten dieser sechs Mitarbeiter schwankten im Jahr 2017 zwischen 4 und 135 Tagen. Der Beteiligte zu 2) führte keine Fürsorgegespräche mit weiteren fünf Mitarbeitern mit krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2018 zwischen 43 und 190 Tagen und einer Mitarbeiterin mit einer ganzjährigen krankheitsbedingten Abwesenheit. Bei dem Beteiligten zu 2) besteht die KBV Betriebliches Eingliederungsmanagement. Vier dieser fünf Mitarbeiter, mit denen kein Fürsorgegespräch geführt wurde, war ein BEM angeboten worden, das in zwei Fällen abgelehnt und in zwei Fällen durchgeführt wurde.
Die Gespräche verliefen unterschiedlich. Eine Mitarbeiterin lehnte es ab, über ihre Krankheiten zu sprechen und das Gespräch war bald beendet. Andere waren nannten ihre Krankheitsursachen und waren interessiert an organisatorischen Veränderungen. Der Beteiligte zu 1) machte ein Mitbestimmungsrecht geltend und beantragte, es zu unterlassen, formalisierte Fürsorgegespräche zu führen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse individualrechtlich zu verwerten. Der Unterlassungsanspruch ergäbe sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Mit den formalisierten Fürsorgegesprächen sei das Ordnungsverhalten, nicht das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter betroffen.
Das Erstgericht hat die Anträge des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Das LAG hat diese Entscheidung bestätigt.
Die Gründe:
Der Beteiligte zu 1) kann vom Beteiligten zu 2) nicht verlangen, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Antragstellers oder ohne dass die Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde, formalisierte Fürsorgegespräche mit Mitarbeitern zu führen, in denen sie Fehl- und Krankheitstage benennt und nach den jeweiligen Erkrankungen, eventueller Überlastung bei der Arbeit und Unterstützungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber fragt.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Dagegen sind Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren - das sog. Arbeitsverhalten -, nicht mitbestimmungspflichtig. Wirkt sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten aus, kommt es darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt.
Ob das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betroffen ist, beurteilt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen, die den Arbeitgeber zu einer Maßnahme bewogen haben. Entscheidend ist der jeweilige objektive Regelungszweck. Dieser bestimmt sich nach dem Inhalt der Maßnahme sowie nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens. Im Zusammenhang mit Mitarbeitergesprächen wegen krankheitsbedingten Fehlzeiten hat das BAG dies konkretisiert. Danach unterliegen formalisierte Krankengespräche der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Formalisierte Krankengespräche hat das BAG bejaht, wenn - erstens - die Auswahl der zu den Gesprächen herangezogenen Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln erfolgt, das Gespräch - zweitens - durch einen gleichförmigen Ablauf formalisiert ist und es - drittens - um eine betriebliche Aufklärung geht zur Erkennung der Einflüsse der Arbeit auf den Krankenstand. Nicht der Mitbestimmung unterfällt danach jedenfalls das fallweise Gespräch mit einem oder mehreren Mitarbeitern in unstrukturierter Form über krankheitsbedingte Ausfallzeiten und eventuelle Einflüsse der Arbeit hierauf.
Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus, dass kein Mitbestimmungsrecht für den Beteiligten zu 1) bestand bei den Fürsorgegesprächen im Februar und März 2019. Eine abstrakte Regel, nach der die Teilnehmer der Fürsorgegespräche ermittelt worden wären, hat der Beteiligte zu 2) abgestritten. Er hat ausgeführt, bei drei der Eingeladenen sei es darum gegangen, dass auf Grund längerer Abwesenheit einer Mitarbeiterin Arbeitsabläufe hätten geändert werden müssen. Bei den anderen sei es um das Gefühl bei der Verwaltungsleiterin und dem Personalreferenten aus der Hauptverwaltung gegangen, diesen Mitarbeitern könne Hilfestellung angeboten werden.
Der Beteiligte zu 1) benannte als abstrakte Regel "krankheitsbedingte Fehlzeiten" und meinte, die Dauer der Fehltage sei nicht von Bedeutung. Dabei handelt es sich jedoch zweifelsfrei nicht um eine zur Anwendung gelangte abstrakte Regel bei der Auswahl der Gesprächsteilnehmer. Immerhin hatten von 45 Mitarbeitern im Jahr 2018 nur sechs keinen einzigen krankheitsbedingten Fehltag. Nach der Argumentation des Beteiligten zu 1) hätten also 39 und nicht nur wenigstens 6 Mitarbeiter zum Fürsorgegespräch geladen werden müssen. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte und den vorgelegten Abwesenheitsübersichten eine abstrakte Regel, dass beispielsweise die Mitarbeiter zum Fürsorgegespräch gebeten worden wären, die die höchsten krankheitsbedingten Fehlzeiten gehabt hätten und denen noch kein BEM angeboten worden war. Soweit der Beteiligte zu 2) mit einem einheitlichen Einladungsschreiben zu den Fürsorgegesprächen eingeladen hat, ergibt sich daraus kein hinreichender Kollektivbezug.