15.07.2014

Zur Höchstdauer von einem Jahr für aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge von Seeleuten

Die italienischen Rechtsvorschriften genügen den Grundsätzen des Unionsrechts insoweit, als sie eine Höchstdauer von einem Jahr für aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge von Seeleuten festlegen und eine Sanktion im Fall der missbräuchlichen Verwendung solcher Verträge vorsehen. Die nationalen Gerichte müssen jeden Einzelfall prüfen, um sich zu vergewissern, dass solche Verträge von den Arbeitgebern nicht missbräuchlich verwendet werden.

EuGH 3.7.2014, C-362/13 u.a.
Hintergrund:
In Italien unterliegen die Arbeitsverträge von Seeleuten dem Codice della navigazione (Gesetzbuch über die Seeschifffahrt und Luftfahrt). Dieses Gesetzbuch legt die Höchstdauer von befristeten Arbeitsverträgen auf ein Jahr fest und verlangt die Angabe des Anfangszeitpunkts und der Dauer des Vertrags. Für den Fall, dass mehrere Verträge für eine bestimmte Dauer oder für genau bezeichnete Reisen geschlossen werden, wird die Arbeit als ununterbrochen angesehen, wenn zwischen den beiden Verträgen höchstens 60 Tage liegen.

Diese Arbeitsverhältnisse unterliegen somit nicht den Vorschriften, die speziell erlassen wurden, um die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge umzusetzen. Diese Rahmenvereinbarung, die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen geschlossen wurde, stellt die allgemeinen Grundsätze und Minimalvorschriften über befristete Arbeit auf und legt einen allgemeinen Rahmen fest, der die Gleichbehandlung befristet beschäftigter Arbeitnehmer sicherstellen soll.

Der Sachverhalt:
Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind im Seemannsregister eingetragene Seeleute. Nach dem Jahr 2001 wurden sie von Rete Ferroviaria Italiana (RFI) auf der Grundlage aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge angeheuert, die für eine oder mehrere Reisen und für höchstens 78 Tage geschlossen wurden. Die betreffenden Seeleute gingen auf Fähren an Bord, um Fahrten zwischen Sizilien und Kalabrien durchzuführen. Sie arbeiteten mindestens ein Jahr lang für RFI, wobei zwischen zwei Verträgen jedesmal ein Zeitraum von weniger als 60 Tagen lag.

Da sie der Ansicht waren, dass ihre Arbeitsverträge rechtswidrig gekündigt worden seien, klagten die genannten Seeleute vor einem italienischen Gericht auf Nichtigerklärung der Verträge und auf deren Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Außerdem verlangten sie ihre Wiedereinstellung und Schadensersatz.

Das letztinstanzlich mit dem Rechtsstreit befasste Gericht in Italien fragt den EuGH, ob die Rahmenvereinbarung für die Arbeit zur See gilt und ob nationale Rechtsvorschriften zulässig sind, die vorsehen, dass befristete Arbeitsverträge die Dauer des Vertrags (nicht aber ihren Endzeitpunkt) angeben müssen, nur die Angabe der durchzuführenden Reise(n) als objektive Rechtfertigung ansehen und die Umwandlung der aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in den Fällen vorsehen, in denen der Arbeitnehmer ohne Unterbrechung während mehr als einem Jahr beschäftigt war (wobei das Arbeitsverhältnis als ununterbrochen angesehen wird, wenn zwischen den Verträgen höchstens 60 Tage liegen).

Die Gründe:
Der Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung betrifft sämtliche "befristet beschäftigten Arbeitnehmer"; Verträge der Seeleute sind von dieser Rahmenvereinbarung nicht ausgeschlossen. Die Vereinbarung über das Seearbeitsübereinkommen 2006, das sich im Anhang der Richtlinie über die Arbeit zur See befindet, enthält genauso wie die anderen Bestimmungen der Union über den Seeverkehr keine Vorschriften, die dazu bestimmt sind, die Anwendung des Verbots der Diskriminierung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern sicherzustellen oder die Missbräuche, die sich aus der Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge ergeben, zu verhindern. Daraus folgt, dass für Seeleute jede andere Bestimmung, die spezieller ist oder ein höheres Schutzniveau bietet, Anwendung findet. Das ist bei der Rahmenvereinbarung der Fall.

Italien war berechtigt, in Anbetracht des Unionsrechts in seinen Rechtsvorschriften vorzusehen, dass nur die Dauer des Vertrags (und nicht sein Endzeitpunkt) genannt werden muss. Um die missbräuchliche Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern, verlangt die Rahmenvereinbarung von den Mitgliedstaaten entweder, die sachlichen Gründe, die die Verlängerung des Vertrags rechtfertigen, oder die Höchstdauer der Verträge oder die Zahl der möglichen Verlängerungen des Vertrags vorzusehen. Hingegen verpflichtet sie sie nicht, die Umwandlung befristeter in unbefristete Arbeitsverträge vorzusehen, und schreibt nicht vor, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge verwendet werden dürfen, sofern das nationale Recht die missbräuchliche Verwendung befristeter Arbeitsverträge wirksam verhindert.

Die nationalen Behörden müssen daher verhältnismäßige, wirksame und abschreckende Maßnahmen erlassen, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen sicherzustellen. Die italienischen Rechtsvorschriften genügen diesen Anforderungen, da sie sowohl eine präventive Maßnahme (Höchstdauer von einem Jahr für aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge) als auch eine Sanktionsmaßnahme im Fall des Missbrauchs vorsieht (Umwandlung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, wenn ein Arbeitnehmer von demselben Arbeitgeber ununterbrochen länger als ein Jahr beschäftigt wurde).

Die nationalen Gerichte müssen, wenn sie dazu aufgerufen sind, über aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu entscheiden, die Umstände des Einzelfalls prüfen und dabei die Zahl der aufeinanderfolgenden Verträge berücksichtigen, die mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossen wurden, damit ausgeschlossen wird, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Ein Missbrauch könnte festgestellt werden, wenn die Höchstdauer nicht je nach der Anzahl der von diesen Verträgen abgedeckten Kalendertage, sondern je nach der Anzahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitstage berechnet würde.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 92 vom 3.7.2014
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