06.11.2018

Zuständigkeit einer Einigungsstelle für Regelungen zum Gesundheitsschutz (hier: Schutz vor Übergriffen durch Heimbewohner)

Eine Einigungsstelle für Regelungen über den Gesundheitsschutz bei unstreitigen Gefährdungen (hier: Übergriffe von Heimbewohnern) ist auch ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung nicht offensichtlich unzuständig.

LAG Köln 20.8.2018, 9 TaBV 32/18
Der Sachverhalt:

Die Arbeitgeberin unterhält eine Einrichtung für Behinderte. Nachdem es in der Vergangenheit zu Übergriffen von Einrichtungsbewohnern auf Arbeitnehmer gekommen war, begehrte der Betriebsrat mit seinem beim Arbeitsgericht eingereichten Antrag die Einrichtung einer Einigungsstelle zur Festlegung von Maßnahmen, die der Abwendung von Übergriffen seitens der Heimbewohner dienen.

Der Betriebsrat war der Auffassung, dass ihm ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zustehe, da es um betriebliche Regelungen über den Gesundheitsschutz gehe.

Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt und besetzte eine Einigungsstelle. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem LAG keinen Erfolg.

Die Gründe:

Das Arbeitsgericht hat zu Recht eine Einigungsstelle eingerichtet, die die Abwendung von Übergriffen von Bewohnern der Einrichtung betrifft. Die Einigungsstelle ist zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig i.S.v. § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Vielmehr erscheint eine Zuständigkeit der Einigungsstelle gem. § 87 Abs. 2 BetrVG auf Grund des Mitbestimmungstatbestands in § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 ArbSchG zumindest nicht ausgeschlossen.

Gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG besteht ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Regelungen über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungen. Diese Regelungen können auch die Abwendung von Übergriffen von Heimbewohnern betreffen. § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigen beeinflussen, stellt eine dem Gesundheitsschutz dienende Rahmenvorschrift i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG dar. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG besteht bei sehr weit gefassten, ausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Gesundheitsschutzes - wie dem § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG - nicht einschränkungslos, sondern nur bei Vorliegen konkreter Gefährdungen. Im Streitfall liegen im Betrieb der Arbeitgeberin solche konkreten Gefährdungen, die Maßnahmen des Arbeitsschutzes erfordern, vor, nachdem es zu Übergriffen von Heimbewohnern auf das Personal bereits gekommen ist. Es liegen nicht nur konkrete Gefährdungen vor. Es haben sich schon bereits konkrete Gefahren realisiert.

Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist auch nicht deshalb gegeben, weil die Anwendung des § 3 Abs. 1 ArbSchG das Vorliegen von Gefährdungen voraussetzt, die zunächst im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung für jeden Einzelfall festzustellen wäre. Zwar wird die konkrete gesetzliche Handlungspflicht des Arbeitgebers erst dann ausgelöst, wenn Gefährdungen, festgestellt sind. Eine Gefährdungsbeurteilung i.S.d. § 5 Abs. 1 ArbSchG ist daher bei § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG regelmäßig unerlässlich. Im Streitfall ist diese zwar nicht erfolgt, aber die Gefährdung steht auf Grund anderweitiger Erkenntnisse fest. Nach BAG-Rechtsprechung (Beschluss vom 28.3.2017, 1 ABR 25/15) reicht es aus, wenn das Vorliegen von Gefährdungen feststeht oder ihm Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind. In der Vergangenheit ist es bereits mehrfach zu Übergriffen gekommen. Zur Verhütung feststehender Gefährdungen bedarf es nicht vorher in jedem Einzelfall einer Beurteilung der von einzelnen Bewohnern ausgehenden Gefahren durch eine Gefährdungsbeurteilung. Der generellen Problematik kann auch generell-präventiv begegnet werden. Dies schließt zusätzliche konkrete, nicht mitbestimmungspflichtige, Einzelmaßnahmen der Heimleitung nicht aus.

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