Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen
Kurzbesprechung
BFH v. 1.6.2022 - I R 30/18
EStG § 50d Abs. 8, § 50d Abs. 9
DBA FRA Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, Art. 13, Art. 18
DBA CHE Art. 15 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
BGBEG Art. 4
Streitig war das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt.
Die Steuerpflichtigen (Eheleute) sind aufgrund ihrer inländischen Wohnung unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 AO). Daraus folgt, dass der Ehemann aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG erzielte. Da er seine Tätigkeit in der Schweiz ausübte, sind diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010).
Der BFH entschied, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unilateralen Rückfallklausel im Streitfall nicht erfüllt sind. Dies gilt sowohl für § 50d Abs. 8 EStG als auch für § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG.
Ein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 EStG schied bereits deshalb aus, weil im Streitfall feststand, dass die Schweiz hinsichtlich der streitigen Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) auf ihr durch das DBA-Schweiz 1971/2010 zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet hatte und dadurch ein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 50d Abs. 8 EStG vorlag.
Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG waren ebenfalls nicht erfüllt. Denn die Nichtbesteuerung in der Schweiz ist keine Folge der Anwendung und Auslegung des DBA-Schweiz 1971/2010 durch die Schweiz, sondern der Zuweisung des Besteuerungsrechts durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich.
Schließlich kam auch ein Besteuerungsrückfall gem. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht in Betracht. Diese Vorschrift setzt voraus, dass Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind und diese Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht aufgrund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist.
Die Besteuerung in der Schweiz entfiel zwar nicht allein deshalb, weil der Ehemann in der Schweiz nicht unbeschränkt steuerpflichtig war. Vielmehr unterlag sein Arbeitslohn aus seiner in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit als Altenpfleger sowohl im Fall der unbeschränkten als auch im Fall der beschränkten Steuerpflicht einer Schweizerischen Besteuerung. Diese Besteuerung wurde lediglich durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich ausgeschlossen. Abkommensrechtliche Vorschriften sind aber grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn ein Steuerpflichtiger in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz hat und dort unbeschränkt steuerpflichtig ist, d.h. im Streitfall auch dann, wenn der Ehemann einen (weiteren) Nebenwohnsitz in der Schweiz gehabt hätte.
Vor diesem Hintergrund bestanden im Streitfall keine Anhaltspunkte, dass die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG ausstrahlt. Nach dem Gesetzeswortlaut ("nur deshalb") reichte die Steuerbefreiung aufgrund des DBA-Schweiz/Frankreich nicht aus, um einen Rückfall zu begründen.
Auch die abkommensrechtliche Dreieckskonstellation rechtfertigte keine Besteuerung in Deutschland. Die Dreieckskonstellation ergab sich im Streitfall daraus, dass der Ehemann sowohl in Deutschland als auch in Frankreich einen Wohnsitz hatte, seine Einkünfte aber aus dem Quellenstaat Schweiz bezog. Bei isolierter Betrachtung der jeweiligen DBA steht das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 dem Quellenstaat Schweiz, nach dem DBA-Schweiz/Frankreich Frankreich (Grenzpendlerregelung) und nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zu. Die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Deutschland durch das DBA-Frankreich 1959/2001 kann die Steuerfreistellung für den Arbeitslohn des Ehemannes nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 nicht aufheben. Verteilungsnormen der von Deutschland abgeschlossenen Abkommen stehen daher grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 50d Abs. 8, § 50d Abs. 9
DBA FRA Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, Art. 13, Art. 18
DBA CHE Art. 15 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
BGBEG Art. 4
Streitig war das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt.
Die Steuerpflichtigen (Eheleute) sind aufgrund ihrer inländischen Wohnung unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 AO). Daraus folgt, dass der Ehemann aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG erzielte. Da er seine Tätigkeit in der Schweiz ausübte, sind diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010).
Der BFH entschied, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unilateralen Rückfallklausel im Streitfall nicht erfüllt sind. Dies gilt sowohl für § 50d Abs. 8 EStG als auch für § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG.
Ein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 EStG schied bereits deshalb aus, weil im Streitfall feststand, dass die Schweiz hinsichtlich der streitigen Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) auf ihr durch das DBA-Schweiz 1971/2010 zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet hatte und dadurch ein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 50d Abs. 8 EStG vorlag.
Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG waren ebenfalls nicht erfüllt. Denn die Nichtbesteuerung in der Schweiz ist keine Folge der Anwendung und Auslegung des DBA-Schweiz 1971/2010 durch die Schweiz, sondern der Zuweisung des Besteuerungsrechts durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich.
Schließlich kam auch ein Besteuerungsrückfall gem. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht in Betracht. Diese Vorschrift setzt voraus, dass Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind und diese Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht aufgrund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist.
Die Besteuerung in der Schweiz entfiel zwar nicht allein deshalb, weil der Ehemann in der Schweiz nicht unbeschränkt steuerpflichtig war. Vielmehr unterlag sein Arbeitslohn aus seiner in der Schweiz ausgeübten Tätigkeit als Altenpfleger sowohl im Fall der unbeschränkten als auch im Fall der beschränkten Steuerpflicht einer Schweizerischen Besteuerung. Diese Besteuerung wurde lediglich durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich ausgeschlossen. Abkommensrechtliche Vorschriften sind aber grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn ein Steuerpflichtiger in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz hat und dort unbeschränkt steuerpflichtig ist, d.h. im Streitfall auch dann, wenn der Ehemann einen (weiteren) Nebenwohnsitz in der Schweiz gehabt hätte.
Vor diesem Hintergrund bestanden im Streitfall keine Anhaltspunkte, dass die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG ausstrahlt. Nach dem Gesetzeswortlaut ("nur deshalb") reichte die Steuerbefreiung aufgrund des DBA-Schweiz/Frankreich nicht aus, um einen Rückfall zu begründen.
Auch die abkommensrechtliche Dreieckskonstellation rechtfertigte keine Besteuerung in Deutschland. Die Dreieckskonstellation ergab sich im Streitfall daraus, dass der Ehemann sowohl in Deutschland als auch in Frankreich einen Wohnsitz hatte, seine Einkünfte aber aus dem Quellenstaat Schweiz bezog. Bei isolierter Betrachtung der jeweiligen DBA steht das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 dem Quellenstaat Schweiz, nach dem DBA-Schweiz/Frankreich Frankreich (Grenzpendlerregelung) und nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zu. Die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Deutschland durch das DBA-Frankreich 1959/2001 kann die Steuerfreistellung für den Arbeitslohn des Ehemannes nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 nicht aufheben. Verteilungsnormen der von Deutschland abgeschlossenen Abkommen stehen daher grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen.