Abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen des Ausfalls von Rentenzahlungen
BFH 22.10.2014, II R 4/14Die im Jahr 1936 geborene Klägerin erhielt aufgrund eines Vermächtnisses ihres 1980 verstorbenen Lebensgefährten (L) einen geldbetrag sowie eine wertgesicherte Leibrente von anfangs mtl. 8.000 DM. Mit dem Vermächtnis waren der Sohn (S) und die Tochter (T) des L als Erben beschwert. Nach Abschluss eines wegen des Vermächtnisses geführten Rechtsstreits zwischen der Klägerin und den Erben wurde T zu Lasten des S aus der Vermächtnisverpflichtung entlassen. S stellte eine Bankbürgschaft i.H.v. 1 Mio. DM.
Die Klägerin beantragte beim Finanzamt, die Rente nach § 23 Abs. 1 ErbStG in der für 1980 geltenden Fassung mit dem Jahreswert zu besteuern. Das Finanzamt setzte im September 1982 eine jährliche Erbschaftsteuer für die Rente i.H.v. 48.000 DM fest. Die Klägerin entrichtete die jeweils am 28.2./1.3. fällige Jahressteuer. In den Jahren 1997/1998 wurde S zahlungsunfähig. Die Rentenzahlungen an die Klägerin wurden bis einschließlich Mai 2005 aus der Bankbürgschaft geleistet. Für die Zeit ab Juni 2005 erhielt sie wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des S keine Rentenzahlungen mehr.
Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin beim Finanzamt, die Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG abzulösen und wegen des Vermögensverfalls des S die Erbschaftsteuer für die Ablösung des Jahresbetrags mit 0 € anzusetzen. Das Finanzamt lehnte per Bescheid eine Steuerfestsetzung mit 0 € ab und setzte zugleich die für die Ablösung zu entrichtende Erbschaftsteuer auf rd. 190.000 € fest.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf, gab der Klage statt und verpflichtete das Finanzamt, die Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer auf 0 € festzusetzen.
Die Gründe:
Die Ablehnung einer abweichenden Festsetzung der Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer durch das Finanzamt ist entgegen der Auffassung des FG ermessensfehlerhaft. Die Klägerin hat im Hinblick auf die besonderen Umstände des Streitfalls einen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen auf 0 €.
Nach § 163 S. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Wird für eine von Todes wegen erworbene Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG die jährliche Besteuerung des Jahreswerts gewählt und fallen die Rentenzahlungen später wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Verpflichteten aus, kann eine abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG i.V.m. § 163 S. 1 AO gerechtfertigt sein, wenn der Rentenberechtigte als Erwerber den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer erst lange Zeit nach Beginn des Zahlungsausfalls stellt und nicht damit zu rechnen ist, dass er weitere Rentenzahlungen erhalten wird. Entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls.
Die Besteuerung geht bei einer von Todes wegen erworbenen Leibrente davon aus, dass der Erwerber als Berechtigter die Rente bis zu seinem Ableben erhält. Wählt der Erwerber die Besteuerung nach dem Jahreswert der Rente gem. § 23 Abs. 1 ErbStG, muss er die Jahressteuer grundsätzlich in unveränderter Höhe bis zu seinem Ableben entrichten. Im Zusammenhang mit der Besteuerung einer solchen Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG kann eine sachliche Unbilligkeit dadurch eintreten, dass die Besteuerung an die lebenslängliche Leistung der Rente anknüpft und die Rentenzahlungen tatsächlich aufgrund von Umständen entfallen, die der Rentenberechtigte nicht zu vertreten hat. Insoweit kommt es zu einem ungewollten Überhang des Steuertatbestandes, weil der Rentenberechtigte zwar keine Zahlungen mehr erhält, aber weiterhin bis zu seinem Ableben nach § 23 Abs. 1 ErbStG die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten hat.
Die Klägerin hat vorliegend bereits seit Juni 2005 keine Rentenzahlungen mehr erhalten. Den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG hat sie erst im Dezember 2010 gestellt. Bis zum Zeitpunkt der Antragstellung sind über fünf Jahre vergangen, in denen keine Rentenzahlungen geleistet wurden. Während dieses Zeitraums haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass S als Verpflichteter die Rentenzahlungen an die Klägerin wieder aufnehmen wird. Für eine abweichende Steuerfestsetzung spricht auch, dass die Klägerin für den Erwerb des Rentenstammrechts aufgrund der Wahl der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 ErbStG insgesamt eine wesentlich höhere Erbschaftsteuer zu entrichten hatte, als bei einer Sofortbesteuerung mit dem Kapitalwert nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 14 Abs. 1 BewG in der für 1980 geltenden Fassung fällig gewesen wäre (mehr als das Doppelte). Es war deshalb allein ermessensgerecht, die Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer abweichend von § 23 Abs. 2 ErbStG auf 0 € festzusetzen.
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