Aktive Nutzungspflicht des beSt frühestens nach Abschluss des erstmaligen System-Roll outs
Niedersächsisches FG v. 14.4.2023 - 9 K 10/23
Der Sachverhalt:
Mit ihrer durch ihre Prozessbevollmächtigte am 9.2.2023 per Telefax erhobenen Klage wenden sich die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 2021 vom 9.5.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.1.2023. Auf den mit der Eingangsverfügung erteilten Hinweis des Gerichts auf die Regelung des § 52d FGO teilte die Prozessbevollmächtigte der Kläger mit - ebenfalls per Telefax übermitteltem - Schriftsatz vom 22.2.2023 mit, dass sie ihre "Zugangsdaten" am 5.1.2023 von der Bundessteuerberaterkammer erhalten habe. Mitte Januar 2023 habe sie einen Unfall erlitten, infolgedessen sie vier Wochen ausgefallen sei. Dem Schriftsatz waren die Kopie einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 20.1.2023 bis zum 17.2.2023 und eine handschriftliche Notiz beigefügt, der zufolge der Unfall am 12.1.2023 erfolgt sei, am 13.1.2023 Untersuchungen im Krankenhaus stattgefunden hätten, an die sich ein Krankenhausaufenthalt in dem Zeitraum vom 16. bis 18.1.2023 angeschlossen habe.
Die Bundessteuerberaterkammer teilte mit, dass der "Initialversand" der Registrierungsbriefe mit den Zugangsdaten zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (sog. Registrierungstoken, § 15 Abs. 1 Nr. 2 StBPPV), der in mehreren alphabetischen Tranchen per einfacher Post erfolgt sei, am 17.3.2023 abgeschlossen worden sei. Parallel dazu sei "bis Ende März" das sog. "Fast Lane"-Verfahren geöffnet gewesen, das Steuerberatern auf Antrag zur Verfügung gestanden habe, die ihre Zugangsdaten vor dem für den Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens vorgesehenen Termin erhalten wollten oder aber auch nach Ablauf dieses Termins noch nicht erhalten hatten.
Das FG entschied per Zwischengerichtsbescheid über die Zulässigkeit der Klage. Die Revision des Finanzamts ist beim BFH anhängig.
Die Gründe:
Die Klage ist formwirksam per Telefax erhoben worden. Ihrer Zulässigkeit steht insoweit auch nicht die Reglung des § 52d Satz 2 FGO entgegen. Denn im Zeitpunkt der Klageerhebung unterlag die Prozessbevollmächtigte der Kläger noch keiner aktiven Nutzungspflicht des beSt gem. § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 FGO i.V.m. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG.
Eine aktive Nutzungspflicht des beSt besteht erst mit Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" des beSt. Hierbei erscheint es angemessen, auf den Zeitpunkt der Versendung der "letzten" Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen System-Roll-outs zzgl. einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt abzustellen. Erst mit Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" steht der sichere Übertragungsweg zur Verfügung (§ 52d Satz 2 FGO).
Damit tritt die Entscheidung des 9. Senats der im Gerichtsbescheid vom 7. Senat des Niedersächsischen FG vom 20.3.2023 (7 K 183/22) ebenso wie der vom BFH mit zwischenzeitlich ergangenem Beschluss vom 28.4.2023 (IX B 101/22) vertretenen Auffassung entgegen. Der 9. Senat begründet dies mit der Gesetzessystematik der betroffenen Regelungen § 52d Satz 2 i.V.m. Satz 1 FGO, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und § 86d Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 157e) StBerG sowie mit verfassungsrechtlichen (d.h. grundrechtlichen) Erwägungen.
Wie auch das obiter dictum des Hessischen FG in seinem Beschluss vom 21.3.2023 (10 V 67/23) und der zwischenzeitlich veröffentlichte Zwischengerichtsbescheid des FG Münster ebenfalls vom 14.4.2023 (7 K 86/23 E) zieht auch die Entscheidung des 9. Senats eine Verbindung zwischen dem "Zur-Verfügung-Stehen" i.S.d. § 52d Satz 2 FGO und der gesetzlichen Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des beSt. Anders als das Hessische FG und das FG Münster unterscheidet der 9. Senat des Niedersächsischen FG dabei jedoch begrifflich zwischen der "Errichtung" des elektronischen Postfachs i.S.d. von § 52d Satz 2 FGO in Bezug genommenen § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und der "Einrichtung" des beSt i.S.d. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG. Dementsprechend versteht er das Tatbestandsmerkmal des "Zur-Verfügung-Stehens" nicht personen-, sondern infrastrukturbezogen. Zur Begründung führt der 9. Senat neben einem Verweis auf die Gesetzessystematik u.a. an, dass eine derart verstandene Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügung-Stehens" dem auf Förderung der Prozessökonomie gerichteten Gesetzeszweck besser entspricht.
Ähnlich wie auch das FG Münster hält der 9. Senat das sog. "Fast Lane"-Verfahren für ungeeignet, um eine frühere, bereits mit Ablauf des 31.12.2022 beginnende aktive Nutzungspflicht zu begründen. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete hat die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des beSt einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zu dulden. Ihn trifft indes - insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage - keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im "Fast Lane"-Verfahren zu beteiligen. Mangels Entscheidungserheblichkeit konnte vorliegend offenbleiben, ob die Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Abs. 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, die "Errichtung" des beSt damit mit Ablauf des 31.3.2023 abgeschlossen ist und der "sichere Übermittlungsweg" seit diesem Zeitpunkt auch "zur Verfügung" steht.
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Wie auch das obiter dictum des Hessischen FG in seinem Beschluss vom 21.3.2023 (10 V 67/23) und der zwischenzeitlich veröffentlichte Zwischengerichtsbescheid des FG Münster ebenfalls vom 14.4.2023 (7 K 86/23 E) zieht auch die Entscheidung des 9. Senats eine Verbindung zwischen dem "Zur-Verfügung-Stehen" i.S.d. § 52d Satz 2 FGO und der gesetzlichen Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des beSt. Anders als das Hessische FG und das FG Münster unterscheidet der 9. Senat des Niedersächsischen FG dabei jedoch begrifflich zwischen der "Errichtung" des elektronischen Postfachs i.S.d. von § 52d Satz 2 FGO in Bezug genommenen § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und der "Einrichtung" des beSt i.S.d. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG. Dementsprechend versteht er das Tatbestandsmerkmal des "Zur-Verfügung-Stehens" nicht personen-, sondern infrastrukturbezogen. Zur Begründung führt der 9. Senat neben einem Verweis auf die Gesetzessystematik u.a. an, dass eine derart verstandene Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügung-Stehens" dem auf Förderung der Prozessökonomie gerichteten Gesetzeszweck besser entspricht.
Ähnlich wie auch das FG Münster hält der 9. Senat das sog. "Fast Lane"-Verfahren für ungeeignet, um eine frühere, bereits mit Ablauf des 31.12.2022 beginnende aktive Nutzungspflicht zu begründen. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete hat die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des beSt einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zu dulden. Ihn trifft indes - insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage - keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im "Fast Lane"-Verfahren zu beteiligen. Mangels Entscheidungserheblichkeit konnte vorliegend offenbleiben, ob die Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Abs. 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, die "Errichtung" des beSt damit mit Ablauf des 31.3.2023 abgeschlossen ist und der "sichere Übermittlungsweg" seit diesem Zeitpunkt auch "zur Verfügung" steht.
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Verfahren Klageerhebung durch einen Steuerberater ausnahmsweise noch per Telefax zulässig bei fehlender Registrierung für das beSt
FG Münster vom 14.04.2023 - 7 K 86/23 E
Enthalten im Aktionsmodul Steuerrecht:
Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Steuerrechtspraktiker fünf Beratermodule zur Verfügung. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Aktionsmodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!