15.06.2023

Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei irrtümlich doppelter Erklärung von Einnahmen als Arbeitslohn und als Betriebseinnahmen

Werden Einnahmen eines angestellten Chefarztes aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen im Rahmen der Einkommensteuererklärung irrtümlich sowohl bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit als auch bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärt, weil weder der Chefarzt noch sein Steuerberater erkannt haben und nach den Umständen des Streitfalls auch nicht erkennen mussten, dass diese Einnahmen bereits dem Lohnsteuerabzug unterlegen haben, liegt kein "grobes Verschulden" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor.

Kurzbesprechung
BFH v. 18.4.2023 - VIII R 9/20

AO § 173 Abs 1 Nr. 2, § 174 Abs 1 S 1
EStG § 18 Abs 1 Nr. 1, § 19 Abs 1 S 1


Der Steuerpflichtige war als Chefarzt in der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses angestellt. Für seine Tätigkeit erhielt er eine feste monatliche Vergütung. Außerdem wurde ihm in seinem Dienstvertrag das Liquidationsrecht für von ihm erbrachte wahlärztliche Leistungen eingeräumt. Im Gegenzug war er verpflichtet, einen Teil der hierfür anfallenden Gebühren an das Krankenhaus zu leisten. Einen weiteren Teil hatte er in einen Pool zu zahlen, aus dem die nachgeordneten Ärzte der Abteilung vergütet wurden.

Die Einnahmen des Steuerpflichtigen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen behandelte das Krankenhaus als Bezüge aus dem Dienstverhältnis und unterwarf diese daher dem Lohnsteuerabzug. Die Einnahmen aus der ambulanten wahlärztlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigte es dabei nicht, weil es insoweit von außerhalb des Dienstverhältnisses erbrachten Leistungen ausging. Eine Mitteilung des Krankenhauses, welche der Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen dem Lohnsteuerabzug unterlegen hatten, erhielt der Steuerpflichtige nicht. Die als lohnsteuerpflichtig eingestuften Einnahmen wurden in den Gehaltsmitteilungen des Steuerpflichtigen neben zahlreichen weiteren Angaben und ohne weitere Konkretisierung in der Zeile "Mitversteuerung" ausgewiesen.

In den Einkommensteuererklärungen des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau erklärten sie (steuerlich vertreten) die Vergütungen aus sämtlichen wahlärztlichen Leistungen in der Einnahmen-Überschuss-Rechnung als Einnahmen des Steuerpflichtigen bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit. Dies wurde auch so veranlagt und führte zu bestandskräftigen Steuerbescheiden.

Nachfolgend wurde eine Änderung der Bescheide für die Streitjahre gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO mit der Begründung beantragt, es sei erst nachträglich bekannt geworden, dass die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen vom Krankenhaus dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien. Aufgrund der Übernahme der aus den jeweiligen Lohnsteuerbescheinigungen ersichtlichen Bruttolohnbeträge in den Einkommensteuererklärungen seien diese Einnahmen unerkannt auch als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erklärt und im Ergebnis doppelt besteuert worden. Diese doppelte Versteuerung der Einnahmen sei rückgängig zu machen.

Während das FA und nachfolgend auch das FG das Änderungsbegehren aufgrund vorliegenden groben Verschuldens ablehnten, gab der BFH insoweit der Revision statt und bestätigte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerbescheide zugunsten der Eheleute nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Als grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Eine im Streitfall allein in Betracht kommende grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Allein der Mangel an Kenntnissen eines steuerrechtlich nicht vorgebildeten Steuerpflichtigen ist grundsätzlich nicht geeignet, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu begründen, es sei denn, der Steuerpflichtige geht einer Zweifelsfrage nicht nach, die sich ihm hätte aufdrängen müssen.

Im Streitfall hatte das FG den Begriff des "groben Verschuldens" i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO unzutreffend ausgelegt, weil es an die Voraussetzungen, unter denen die doppelte Erklärung der Einnahmen aus den stationären Wahlleistungen als entschuldbar anzusehen ist, zu hohe Anforderungen gestellt hatte.

Für die in diesem Zusammenhang erforderliche Gesamtwürdigung ist u.a. bedeutsam, ob die Tätigkeit zur Erbringung der wahlärztlichen Leistungen zu den gegenüber dem Krankenhausträger vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben gehört, ob der Arzt nach dem Dienstvertrag ‑ mit Ausnahme der rein ärztlichen Tätigkeit ‑ den Weisungen des Krankenhausträgers unterliegt und hinsichtlich der Erbringung der wahlärztlichen Leistungen in den geschäftlichen Organismus des Krankenhauses eingebunden ist und inwieweit Unternehmerinitiative und Unternehmerrisiko vorliegen bzw. fehlen.

Ausgehend hiervon mag die Zuordnung der Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen des Steuerpflichtigen zu seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit im Rahmen der Einkommensteuererklärungen der Streitjahre rechtlich fehlerhaft gewesen sein. Beruht eine fehlerhafte Steuererklärung jedoch (auch) auf einem Rechtsirrtum, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten.

Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige regelmäßig nur dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet. Dies war jedoch nicht der Fall. Im Streitfall war dem Steuerpflichtigen auch nicht als grob schuldhaft vorzuwerfen, dass er es unterließ, die Lohnsteuerbescheinigungen und die monatlichen Gehaltsabrechnungen daraufhin abzugleichen, ob abweichend von seinen im Dienstvertrag vereinbarten Vergütungsbestandteilen auch Einnahmen aus der stationären wahlärztlichen Tätigkeit von seinem Arbeitgeber dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden waren.

Zwar hätte ihm auffallen müssen, dass in den monatlichen Gehaltsabrechnungen unter dem Titel "Bruttounwirksam" mit der Bezeichnung "Mitversteuerung" weitere Beträge aufgeführt waren. Das FG hätte bei der Gewichtung und Abwägung des dem Steuerpflichtigen insoweit zur Last fallenden Verschuldens aber auch berücksichtigen müssen, dass er keine Mitteilung erhalten hatte, als das Krankenhaus dazu übergegangen war, die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen ‑ anders als die Einnahmen aus der ambulanten Tätigkeit ‑ dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen.

Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Steuerpflichtige sämtliche Vergütungen aus den Privatliquidationen der Streitjahre unverändert auf seinem privaten Bankkonto vereinnahmte, stellt sich sein Verhalten, ohne nähere Prüfung seiner Gehaltsabrechnungen davon auszugehen, es handele sich bei diesen Vergütungen um von ihm noch zu versteuernde Einnahmen, zwar als nachlässig, nicht aber als eine die Grenze zur groben Fahrlässigkeit überschreitende Sorgfaltspflichtverletzung dar.

Auch lag kein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters vor, das dem Steuerpflichtigen zuzurechnen wäre. Im Streitfall hatte das FG ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters bei Anfertigung der Einkommensteuererklärungen zu Unrecht daraus abgeleitet, dass dieser die Angaben der Steuerpflichtigen zu den Einnahmen aus der wahlärztlichen Tätigkeit ohne zumindest einmalige rechtliche Überprüfung für die Gewinnermittlung übernommen hatte. Denn der Steuerberater ist gerade nach Prüfung der steuerlichen Rechtslage zu der Auffassung gelangt, dass die Einnahmen des Steuerpflichtigen aus der Erbringung wahlärztlicher Leistungen zu Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören. Es liegt daher kein grobes Verschulden darin, dass er angesichts der Angabe der gesamten Einnahmen aus der wahlärztlichen Tätigkeit als Betriebseinnahmen und der Auszahlung der Vergütungen außerhalb der Lohnzahlungen nicht geprüft hatte, ob diese Einnahmen beim Steuerpflichtigen als angestelltem Chefarzt vom Arbeitgeber auch noch teilweise oder vollständig der Lohnsteuer unterworfen worden waren, und er die bescheinigten Lohneinkünfte bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärt hatte.

Die zu Lasten der Steuerpflichtigen unzutreffende Einkommensteuerfestsetzung beruhte vielmehr darauf, dass die Einnahmen aus den stationären Chefarztbehandlungen unerkannt in dem aus den Lohnsteuerbescheinigungen ersichtlichen Bruttoarbeitslohn enthalten waren, so dass dessen Übertragung in die Einkommensteuererklärung im Ergebnis zu einer doppelten steuerlichen Erfassung dieser Einnahmen führte. Kausal für den Doppelansatz der Einnahmen war also nicht die unzureichende "Prüfung der steuerlichen Rechtslage" durch den Steuerberater, sondern die fehlende Erkennbarkeit der Zusammensetzung des Bruttoarbeitslohns, die darauf beruhte, dass ihm bei der Anfertigung der Steuererklärung weder der Dienstvertrag noch die monatlichen Gehaltsabrechnungen des Steuerpflichtigen vorgelegen hatten.

Insbesondere begründete auch der Umstand, dass der steuerliche Berater die Angaben in der Einkommensteuererklärung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur anhand der Lohnsteuerbescheinigungen erstellt und nicht auch die monatlichen Gehaltsabrechnungen vom Steuerpflichtigen angefordert hatte, nicht den Vorwurf der groben Sorgfaltspflichtverletzung. Der steuerliche Berater hatte daher keinen Anlass, die Richtigkeit der Lohnsteuerbescheinigungen in Zweifel zu ziehen. Eine weitere Überprüfung der in der Steuererklärung gemachten Angaben anhand der monatlichen Lohnsteuerbescheinigungen musste sich ihm nicht aufdrängen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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