31.08.2023

Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist für den Erlass eines Grunderwerbsteuerbescheids

Bei einer Besteuerung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) kommt einer Anzeige nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG oder nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG jedenfalls dann keine die Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung) beendende Wirkung für die Feststellungs- und für die Festsetzungsfrist der zu erlassenden Bescheide zu, wenn die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben in Bezug auf ein Grundstück vollständig fehlen.

Kurzbesprechung
BFH v. 25.4.2023 - II R 10/21

AO § 163, § 169 Abs 1 S 1, § 169 Abs 2 S 1 Nr. 2, § 170 Abs 2 S 1 Nr. 1, § 171 Abs 10, § 227
GrEStG § 1 Abs 3 Nr. 1, § 17 Abs 3 S 1 Nr. 2, § 18 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 19 Abs 1 S 1 Nr. 4, § 10 Abs 1 Nr. 2, § 20 Abs 1 Nr. 3


Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG müssen die beurkundenden Notare, nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 GrEStG müssen Steuerschuldner über die Rechtsvorgänge nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG Anzeige erstatten. Die Anzeigen sind innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Vorgang vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn der Vorgang von der Besteuerung ausgenommen ist (§§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 3 GrEStG).

Die Anzeigen sind an das für die Besteuerung, in den Fällen des § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG an das für die gesonderte Feststellung zuständige FA zu richten (§§ 18 Abs. 5, 19 Abs. 4 Satz 1 GrEStG).

Die Anzeigen der Steuerschuldner sind Steuererklärungen im Sinne der AO (§ 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG).In dem mehrstufigen Verfahren der Festsetzung der Grunderwerbsteuer haben die Anzeigen in Bezug auf die Beendigung der Anlaufhemmung sowohl für die Feststellungsfrist als auch für die Festsetzungsfrist Bedeutung.

Durch den Feststellungbescheid nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG werden unter anderem die Steuerpflicht des Erwerbsvorgangs dem Grunde nach, die Steuerschuldner und die Grundstücke, die von dem Erwerbsvorgang betroffen sind, festgestellt. Erst aufgrund dieses Bescheids kann die gesonderte Wertfeststellung gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes für die betroffenen Grundstücke erfolgen, weil vorher nicht feststeht, dass und für welche Grundstücke Werte festzustellen sind.

Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts für Grunderwerbsteuerzwecke ist dann auch (bindender) Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO für den Grunderwerbsteuerbescheid als Folgebescheid.

Durch die Anzeigen sollen sowohl die für die Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen zuständigen Finanzämter als auch das für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer zuständige FA in die Lage versetzt werden, die mögliche Grunderwerbsteuerbarkeit des angezeigten Rechtsvorgangs zu prüfen. Dem Feststellungsfinanzamt soll durch die Angaben in der Anzeige ermöglicht werden, die Besteuerungsgrundlagen festzustellen, die das für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer zuständige Finanzamt benötigt.

Der notwendige Inhalt der Anzeigen ergibt sich aus § 20 GrEStG. Unter anderem verlangen § 20 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GrEStG die Bezeichnung des Grundstücks nach Grundbuch, Kataster, Straße und Hausnummer sowie die Größe des Grundstücks und bei bebauten Grundstücken die Art der Bebauung. Gehören zum Vermögen der Gesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mehrere Grundstücke, gelten diese Anforderungen für jedes einzelne Grundstück.

Der BFH stellte heraus, dass einer Anzeige nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG oder nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG bei einer Besteuerung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG jedenfalls dann keine die Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) beendende Wirkung für die Feststellungs- und für die Festsetzungsfrist der zu erlassenden Bescheide zukommt, wenn die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben in Bezug auf ein Grundstück vollständig fehlen. Diese Rechtsfolge erstreckt sich auf alle von dem Rechtsvorgang der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG betroffenen Grundstücke und nicht nur auf die nicht angegebenen Grundstücke, da die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 Abs. 3 GrEStG bei einem Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG für alle zum Vermögen der Gesellschaft gehörenden Grundstücke in nur einem Feststellungsbescheid zu erfolgen hat.

Seiner Pflicht zur einheitlichen Feststellung kann das Feststellungsfinanzamt nur dann ordnungsgemäß nachkommen, wenn in der Anzeige alle betroffenen Grundstücke vollständig aufgelistet sind. Dasselbe gilt für die Pflicht aller Festsetzungsfinanzämter zur Festsetzung der Grunderwerbsteuer. Fehlt in der Anzeige ein Grundstück, ist weder das für die Feststellung zuständige FA in der Lage, die Besteuerungsgrundlagen für alle von dem Rechtsvorgang erfassten Grundstücke zutreffend festzustellen, noch kann das Festsetzungsfinanzamt die Grunderwerbsteuer gegebenenfalls schätzen, da es die von dem Rechtsvorgang der Anteilsvereinigung betroffenen Grundstücke nicht kennt.

Ob eine unvollständige Anzeige die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beendet, ist entsprechend dem Normzweck dieser Vorschrift danach zu beurteilen, ob insoweit die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wurde. Entscheidend ist, ob die Anzeige derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Anzeige hinausläuft.

Schließlich ist auch der Anlauf der Festsetzungsfrist nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen unendlich gehemmt. Denn nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Hierdurch wird ein fairer Ausgleich zwischen dem Interesse der Finanzverwaltung hinsichtlich einer angemessenen Bearbeitungszeit und dem Interesse des Steuerpflichtigen an Bestandskraft und Rechtsfrieden erreicht.

Im Streitfall war das FG im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der streitige Grunderwerbsteuerbescheid innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen war. Denn weder die notarielle Anzeige noch die klägerische Anzeige waren ordnungsgemäß im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 20 GrEStG. In beiden Anzeigen fehlten zwei von der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG betroffene Grundstücke. Die vierjährige Festsetzungsfrist war daher bei Erlass des Grunderwerbsteuerbescheids noch nicht abgelaufen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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