21.02.2019

Anspruch auf Kindergeld bei mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen

Entgegen der Verwaltungsauffassung, nach der Erklärungen, die eine Absicht glaubhaft machen sollen, nur ab dem Zeitpunkt des Eingangs der schriftlichen Erklärung bei der Familienkasse gelten, genügt es, wenn die Sachverhaltsumstände im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind. Entscheidend ist nicht, was erklärt wurde, sondern die tatsächliche Lage, denn es handelt sich hier nicht um eine rechtsgestaltende Erklärung, sondern um eine im Wege der Glaubhaftmachung zu würdigende Tatsachenbekundung.

FG Düsseldorf v. 18.7.2018 - 7 K 1480/18 Kg
Der Sachverhalt:

Der Kläger bezog fortlaufend für seine 1993 geborene Tochter A Kindergeld. Nach dem Erwerb der Fachhochschulreife begann A eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten die sie mit dem Bestehen der Abschlussprüfung am 1.7.2014 mit der Note "gut" beendete. Anschließend absolvierte sie vom 24.10.2014 bis 12.7.2017 eine Ausbildung zur Verwaltungsfachwirtin. Die Tochter bestand die Abschlussprüfung wiederum mit der Note "gut". Seit Juli 2014 arbeitete sie mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden in der Stadtverwaltung. A beantragte selbst am 7.12.2017 Kindergeld und machte geltend, sie habe sich vor Beginn der Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten bei Kommunen beworben, in denen ihr Berufswunsch Verwaltungsfachwirtin in einem Studiengang hätte erfüllt werden können. Leider seien die Bewerbungen erfolglos geblieben.

Sie habe sich daher für die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten bei der hiesigen Stadt entschieden, wobei ihr bekannt war, dass sie im Anschluss an diese Ausbildung durch eine weitere Ausbildung zur Verwaltungsfachwirtin den gewünschten Abschluss erlangen könne. Es habe ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten bestanden. Die Wartezeit zwischen dem Abschluss der Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten und der zur Verwaltungsfachwirtin sei nicht von ihr verschuldet, da die Ausbildung zur Verwaltungsfachwirtin immer erst im Herbst beginne. Eine berufspraktische Erfahrung oder zwischenzeitliche Berufstätigkeit seien keine Voraussetzung. Sie gehe davon aus, dass sie nach Erreichen der Volljährigkeit selbst einen Kindergeldantrag stellen könne.

Die Familienkasse lehnte diesen Antrag ab und führte aus, ein Anspruch auf Kindergeld für das Kind selbst sei nach dem EStG nicht vorgesehen. Daraufhin beantragte der Kläger mit Antrag vom 30.12.2017 Kindergeld für A und wiederholte zur Begründung die Auffassung seiner Tochter. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse ebenfalls ab mit der Begründung, die Tochter des Klägers habe bereits eine erste Berufsausbildung abgeschlossen, so dass keine anspruchsbegründende mehraktige Ausbildung vorläge. Die Tochter gehe einer Erwerbstätigkeit nach und könne daher nicht mehr berücksichtigt werden.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Revision zum BFH wurde zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Die Gründe:

Der Kläger hat einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter für den Zeitraum August 2014 bis Juli 2017.

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S.d. §§ 8 und 8a SGB IV sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG). A befand sich bis zum Abschluss des Verwaltungslehrgangs II - vormals Angestelltenlehrgang II - in einer Erstausbildung zur Verwaltungsfachwirtin. Mit der Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten lag noch keine abgeschlossene Erstausbildung vor.

Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

Vorliegend ergibt sich der erforderliche fachliche Zusammenhang daraus, dass sich die Ausbildungsgänge inhaltlich und schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich (Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung) beziehen und nach den Ausbildungsplänen aufeinander aufbauen. Für den zeitlichen Zusammenhang reicht es aus, dass die Ausbildungen zur Verwaltungsfachangestellten und zur Verwaltungsfachwirtin im direkten Anschluss erfolgt sind. Angestrebtes Berufsziel der Tochter des Klägers war eine Tätigkeit in der Kommunalverwaltung, für die die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt erforderlich ist. Nach ihrer schlüssigen und glaubhaften Zeugenaussage hatte sie sich hierfür bereits nach der Beendigung der Schule bei verschiedenen Kommunen beworben, aber keine Zusage erhalten, so dass sie den Einstieg über die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten genommen hat, um unmittelbar danach den Verwaltungslehrgang/Angestelltenlehrgang II zu besuchen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Tochter erst im Dezember 2017 eine Fortsetzung der Berufsausbildung mitgeteilt hatte. Entgegen der Verwaltungsauffassung, nach der Erklärungen, die eine Absicht glaubhaft machen sollen, nur ab dem Zeitpunkt des Eingangs der schriftlichen Erklärung bei der Familienkasse gelten, genügt es, wenn die Sachverhaltsumstände im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind. Entscheidend ist nicht, was erklärt wurde, sondern die tatsächliche Lage, denn es handelt sich hier nicht um eine rechtsgestaltende Erklärung, sondern um eine im Wege der Glaubhaftmachung zu würdigende Tatsachenbekundung. Danach steht es dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, dass er den Antrag auf Kindergeld erst wesentlich nach Beendigung der Ausbildung seiner Tochter zur Verwaltungsfachangestellten gestellt hat. Dies beruht offensichtlich auf einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage, ändert aber nichts daran, dass die Tochter von vorne herein eine Tätigkeit im gehobenen Dienst angestrebt hat.

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