Antrag auf Herabsetzung der Vorauszahlungen zum Solidaritätszuschlag
FG Nürnberg 29.7.2020, 3 K 1098/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater tätig. Mit Bescheid vom 18.2.2019 hatte das Finanzamt u.a. die Vorauszahlungen für den Solidaritätszuschlag ab 2020 und weitere Jahre i.H.v. vierteljährlich 453 € festgelegt. Mit Schreiben vom 9.5.2019 beantragte der Kläger die Herabsetzung der Vorauszahlungen des Solidaritätszuschlags ab VZ 2020 auf 0 € mit dem Hinweis darauf, dass die "Aufbauhilfen" für die neuen Bundesländer in 2019 auslaufen würden. Da gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG Ergänzungsabgaben nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürften, verbiete dieser Ausnahmecharakter eine immerwährende Erhebung. Auch die Haushaltssituation gebiete keine weitergehende Erhebung. Da der Solidaritätszuschlag nur dem Bundeshaushalt zufließe, sei das vom GG vorgesehene Finanzierungssystem empfindlich gestört.
Das FG lehnte den Antrag ab. Das FG gab der Klage teilweise statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Die Klage ist nur insoweit begründet, als die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 2021 den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen des Solidaritätszuschlaggesetzes anzupassen waren.
Die erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Soldaritätszuschlaggesetzes für Veranlagungszeiträume ab 2020 hat der Senat im Streitfall nicht gewinnen können. Der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG findet nach Auffassung des Senats nach derzeitigem Stand auch für die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage. Es handelt sich um eine echte Steuer i.S.d. § 3 AO, für die der Bund die Ertragshoheit und alleinige Gesetzgebungskompetenz hat. Innerhalb der durch Art. 105 und Art. 20 GG vorgegebenen, weit zu interpretierenden Typusbegriffe steht es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu "erfinden".
Auch das BVerfG räumt dem Gesetzgeber in Bezug auf eine Ergänzungsabgabe, insbesondere was die Laufzeit angeht, einen sehr weiten Gestaltungsspielraum ein. Unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 9.2.1972 (1 BvL 16/69) hält der Senat die Erhebung noch im Jahr 2020 und nach dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags für Zeiträume ab 2021 nach derzeitigem Stand nicht für verfassungswidrig. So teilt der Senat ausdrücklich nicht die These, dass "automatisch" mit Auslaufen des Solidarpakts II (und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs) auch der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung verliert. Hier mag zwar eine gewisse politische Verbindung bestehen, eine rechtliche Verbindung dahingehend, dass alleine der Solidarpakt II einen Mehrbedarf des Bundes zur Finanzierung der Lasten der Wiedervereinigung zu begründen vermag, sieht der Senat nicht.
Nach Auffassung des Senats ist die Begründung des Gesetzgebers - insbesondere, weil es sich hier nur um eine Prognose handeln kann - unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ausreichend, um die Erhebung des Solidaritätszuschlags über das Jahr 2019 hinaus weiterhin zu rechtfertigen. Die Anforderungen an die Begründung sind insoweit nicht zu hoch zu stecken (so auch Urteile des BFH vom 21.7.2011 II R 52/10; II R 50/09). Der Senat sieht auch keine Veranlassung vor dem Hintergrund politisch motivierter Äußerungen daran zu zweifeln, dass die Begründung des Gesetzgebers die willensbildenden Faktoren wiedergibt.
Übersehen werden darf dabei auch nicht, dass nach der Begründung ein "überschießender" Bedarf des Bundes finanziert werden soll. Würde man - so wie die Kläger es für verfassungsrechtlich geboten halten - den Solidaritätszuschlag in den Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuertarif einarbeiten, müsste diese Erhöhung - vergröbert ausgedrückt - doppelt so hoch ausfallen, wie jetzt der Solidaritätszuschlag, da bei Erhöhung der Gemeinschaftssteuern (§ 106 Abs. 3 GG) die Länder proportional ihren Anteil erhalten. Dem gegenüber ist somit die Erhebung des Solidaritätszuschlags das "mildere" Mittel.
Der Senat sieht zudem keine Verletzung des Gleichheitssatzes darin, dass die Körperschaften nicht in die Abschmelzung des Solidaritätszuschlags ab 2021 einbezogen sind. Bezogen auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt keine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung (von wesentlich Gleichem) vor. Körperschaftssteuersubjekte und Einkommensteuersubjekte werden ohnehin nicht gleichbehandelt: die Steuersätze und die Tarifstruktur sind unterschiedlich, sozialstaatliche Erwägungen spielen bei der Körperschaftssteuer keine Rolle. Der Kläger als natürliche Person wäre zudem im Vergleich zu den Subjekten der KSt nicht benachteiligt, sondern begünstigt. Die begünstigte Gruppe kann keinen Verfassungsverstoß rügen.
Zusammenfassend konnte der Senat nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags entsprechend dem SolZG 1995 über den Veranlagungszeitraum 2020 und in der formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Fassung des Gesetzes zur Rückführung des SolZG 1995 vom 10.12.2019 nach derzeitigem Stand verfassungswidrig ist. Es handelt sich beim Solidaritätszuschlag nach wie vor um den Typus Ergänzungsabgabe i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Die Frage, ob die fortgesetzte Erhebung des Solidaritätszuschlags ab 2020 verfassungsrechtlich zulässig ist, berührt allerdings das Interesse einer Vielzahl von Steuerpflichtigen. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt noch nicht vor, weshalb die Revision zugelassen wurde.
Bayern.Recht
Der Kläger ist als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater tätig. Mit Bescheid vom 18.2.2019 hatte das Finanzamt u.a. die Vorauszahlungen für den Solidaritätszuschlag ab 2020 und weitere Jahre i.H.v. vierteljährlich 453 € festgelegt. Mit Schreiben vom 9.5.2019 beantragte der Kläger die Herabsetzung der Vorauszahlungen des Solidaritätszuschlags ab VZ 2020 auf 0 € mit dem Hinweis darauf, dass die "Aufbauhilfen" für die neuen Bundesländer in 2019 auslaufen würden. Da gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG Ergänzungsabgaben nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürften, verbiete dieser Ausnahmecharakter eine immerwährende Erhebung. Auch die Haushaltssituation gebiete keine weitergehende Erhebung. Da der Solidaritätszuschlag nur dem Bundeshaushalt zufließe, sei das vom GG vorgesehene Finanzierungssystem empfindlich gestört.
Das FG lehnte den Antrag ab. Das FG gab der Klage teilweise statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Die Klage ist nur insoweit begründet, als die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 2021 den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen des Solidaritätszuschlaggesetzes anzupassen waren.
Die erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Soldaritätszuschlaggesetzes für Veranlagungszeiträume ab 2020 hat der Senat im Streitfall nicht gewinnen können. Der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG findet nach Auffassung des Senats nach derzeitigem Stand auch für die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage. Es handelt sich um eine echte Steuer i.S.d. § 3 AO, für die der Bund die Ertragshoheit und alleinige Gesetzgebungskompetenz hat. Innerhalb der durch Art. 105 und Art. 20 GG vorgegebenen, weit zu interpretierenden Typusbegriffe steht es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu "erfinden".
Auch das BVerfG räumt dem Gesetzgeber in Bezug auf eine Ergänzungsabgabe, insbesondere was die Laufzeit angeht, einen sehr weiten Gestaltungsspielraum ein. Unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 9.2.1972 (1 BvL 16/69) hält der Senat die Erhebung noch im Jahr 2020 und nach dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags für Zeiträume ab 2021 nach derzeitigem Stand nicht für verfassungswidrig. So teilt der Senat ausdrücklich nicht die These, dass "automatisch" mit Auslaufen des Solidarpakts II (und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs) auch der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung verliert. Hier mag zwar eine gewisse politische Verbindung bestehen, eine rechtliche Verbindung dahingehend, dass alleine der Solidarpakt II einen Mehrbedarf des Bundes zur Finanzierung der Lasten der Wiedervereinigung zu begründen vermag, sieht der Senat nicht.
Nach Auffassung des Senats ist die Begründung des Gesetzgebers - insbesondere, weil es sich hier nur um eine Prognose handeln kann - unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ausreichend, um die Erhebung des Solidaritätszuschlags über das Jahr 2019 hinaus weiterhin zu rechtfertigen. Die Anforderungen an die Begründung sind insoweit nicht zu hoch zu stecken (so auch Urteile des BFH vom 21.7.2011 II R 52/10; II R 50/09). Der Senat sieht auch keine Veranlassung vor dem Hintergrund politisch motivierter Äußerungen daran zu zweifeln, dass die Begründung des Gesetzgebers die willensbildenden Faktoren wiedergibt.
Übersehen werden darf dabei auch nicht, dass nach der Begründung ein "überschießender" Bedarf des Bundes finanziert werden soll. Würde man - so wie die Kläger es für verfassungsrechtlich geboten halten - den Solidaritätszuschlag in den Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuertarif einarbeiten, müsste diese Erhöhung - vergröbert ausgedrückt - doppelt so hoch ausfallen, wie jetzt der Solidaritätszuschlag, da bei Erhöhung der Gemeinschaftssteuern (§ 106 Abs. 3 GG) die Länder proportional ihren Anteil erhalten. Dem gegenüber ist somit die Erhebung des Solidaritätszuschlags das "mildere" Mittel.
Der Senat sieht zudem keine Verletzung des Gleichheitssatzes darin, dass die Körperschaften nicht in die Abschmelzung des Solidaritätszuschlags ab 2021 einbezogen sind. Bezogen auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt keine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung (von wesentlich Gleichem) vor. Körperschaftssteuersubjekte und Einkommensteuersubjekte werden ohnehin nicht gleichbehandelt: die Steuersätze und die Tarifstruktur sind unterschiedlich, sozialstaatliche Erwägungen spielen bei der Körperschaftssteuer keine Rolle. Der Kläger als natürliche Person wäre zudem im Vergleich zu den Subjekten der KSt nicht benachteiligt, sondern begünstigt. Die begünstigte Gruppe kann keinen Verfassungsverstoß rügen.
Zusammenfassend konnte der Senat nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags entsprechend dem SolZG 1995 über den Veranlagungszeitraum 2020 und in der formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Fassung des Gesetzes zur Rückführung des SolZG 1995 vom 10.12.2019 nach derzeitigem Stand verfassungswidrig ist. Es handelt sich beim Solidaritätszuschlag nach wie vor um den Typus Ergänzungsabgabe i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Die Frage, ob die fortgesetzte Erhebung des Solidaritätszuschlags ab 2020 verfassungsrechtlich zulässig ist, berührt allerdings das Interesse einer Vielzahl von Steuerpflichtigen. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt noch nicht vor, weshalb die Revision zugelassen wurde.