05.10.2023

Anwendung des Abzugsverbots des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Bediensteten zwischenstaatlicher Einrichtungen mit Wohnsitz und Beschäftigungsort im Inland

Wenn ein Bediensteter einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der seinen Wohnsitz und Beschäftigungsort im Inland hat, von der Einrichtung Arbeitslohn bezieht, der aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Organisation einkommensteuerfrei ist, können die damit in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden, an ein eigenes Sozialversicherungssystem der Einrichtung gezahlten Vorsorgeaufwendungen nicht als Sonderausgaben abgezogen werden.

Kurzbesprechung
BFH v. 11.7.2023 - X R 17/22

EStG § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AEUV Art. 45
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1


Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG ist Voraussetzung für den Abzug der in § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG bezeichneten Vorsorgeaufwendungen, dass sie nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Die vom Steuerpflichtigen an das eigene Sozialversicherungssystem der Organisation gezahlten Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung stehen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem von der Organisation bezogenen, in Deutschland einkommensteuerfreien Arbeitslohn, so dass das Abzugsverbot eingreift.

Steuerfreie Einnahmen im Sinne der genannten Regelung sind solche, die von der deutschen Einkommensbesteuerung ausgenommen sind. Dies folgt aus der Systematik des deutschen Einkommensteuerrechts. Die Steuerbefreiung kann im Einkommensteuergesetz, in anderen Gesetzen, in völkerrechtlichen Verträgen (z.B. DBA) oder ‑ wie im Streitfall ‑ in einer auf einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen beruhenden Vereinbarung angeordnet sein. In diesem Fall sind die von der Organisation an ihre aktiven Bediensteten gezahlten Gehälter von der deutschen Einkommensteuer befreit und stellen damit steuerfreie Einnahmen im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG dar.

Die an die Organisation gezahlten Vorsorgeaufwendungen des Steuerpflichtigen stehen auch in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem von der Organisation bezogenen steuerfreien Arbeitslohn. Von der Anwendung des Abzugsverbots ist auch nicht aufgrund der Rückausnahme des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG abzusehen, weil deren Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind.

Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG sind Vorsorgeaufwendungen ungeachtet des in Teilsatz 1 angeordneten Abzugsverbots zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a der Vorschrift), diese Einnahmen nach einem DBA im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Im Streitfall fehlt es jedoch an der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. b EStG enthaltenen Voraussetzung, wonach die Einnahmen nach einem DBA im Inland steuerfrei sein müssen.

Der BFH sieht durch seine Entscheidung weder das Unionsrecht verletzt noch durch sie einen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Garantien.

Die an die Organisation gezahlten Renten- und Krankenversicherungsbeiträge können auch nicht im Rahmen des ‑ für den steuerfreien Arbeitslohn geltenden ‑ Progressionsvorbehalts bei der Ermittlung des auf das steuerpflichtige Einkommen anzuwendenden Steuersatzes als Abzugsposten berücksichtigt werden. Denn nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 32b EStG gehen nur "Einkünfte" in die Ermittlung des besonderen Steuersatzes ein. Da Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben nicht bereits bei Ermittlung der Einkünfte berücksichtigt, sondern vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, beeinflussen sie die Höhe der Einkünfte nicht.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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