08.10.2020

Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB im Steuerrecht

Der in § 254 BGB zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ist im Steuerrecht anzuwenden, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ein Vertretenmüssen voraussetzen.
Die in Verwaltungsanweisungen des BZSt geregelte Möglichkeit, die in § 22a Abs. 1 EStG geforderten Angaben bei unverschuldeter Unkenntnis u.a. der Identifikationsnummer des Leistungsempfängers nicht nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu übermitteln, sondern die vorhandenen Teile dieser Angaben in Form einer csv-Datei auf einem Datenträger zu übersenden, stellt eine sachgerechte Konkretisierung der Exkulpationsregelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG dar.

Kurzbesprechung
BFH v. 6.5.2020 - X R 10/19

EStG § 22a Abs. 1, Abs. 2 u. Abs. 5 S. 3
BGB § 254


Wird eine Rentenbezugsmitteilung nicht innerhalb der in § 22a Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. genannten Frist (1. März des Jahres nach dem Zufluss der Leistung) übermittelt, so ist für jeden angefangenen Monat, in dem die Rentenbezugsmitteilung noch aussteht, ein Betrag in Höhe von 10 € für jede ausstehende Rentenbezugsmitteilung an die zentrale Stelle zu entrichten (§ 22a Abs. 5 Satz 1 EStG a.F.). Von der Erhebung ist abzusehen, soweit die Fristüberschreitung auf Gründen beruht, die der Mitteilungspflichtige nicht zu vertreten hat (§ 22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F.).

Schon der Wortlaut dieser Regelung ("soweit") weist klar darauf hin, dass der Gesetzgeber hier eine differenzierende Betrachtung angeordnet hat. Vor allem aber bringt die Vorschrift des § 254 BGB --über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus-- einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, da sie eine besondere Ausprägung des im bürgerlichen und öffentlichen Recht gleichermaßen geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben für das Schadensersatzrecht darstellt. Ebenso ist der Rechtsgedanke des § 254 BGB auf solche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis anzuwenden, die --wie z.B. der Haftungsanspruch nach § 69 AO-- von einem Vertretenmüssen abhängig sind.

Auf dieser Grundlage ist der BFH der Auffassung, dass in Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB von der Erhebung des Verspätungsgeldes --ggf. anteilig-- abzusehen sein kann, soweit die Dauer der Fristüberschreitung im jeweiligen Einzelfall entscheidend dadurch geprägt worden ist, dass ein Mitteilungspflichtiger, der zunächst keine Kenntnis davon hatte, dass er die ihm in § 22a Abs. 1 EStG a.F. auferlegten Pflichten objektiv verletzt hatte, erst durch einen Hinweis der ZfA von seiner Pflichtverletzung Kenntnis erlangt, der ZfA die Pflichtverletzung schon seit langer Zeit bekannt war, ohne dass sie aber den Mitteilungspflichtigen darüber informiert hätte, und der Mitteilungspflichtige die Rentenbezugsmitteilung unverzüglich nach Kenntniserlangung seiner Pflichtverletzung nachübermittelt. Dabei fällt die Abwägung der einzelnen Verursachungsbeiträge in die Zuständigkeit des Tatrichters.

Im Streitfall hatte das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind.
  • In Bezug auf die 67 Fälle, in denen die Klägerin jeweils zunächst einen --gescheiterten-- Versuch zur Übermittlung der Rentenbezugsmitteilungen nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz unternommen hatte und anschließend Teile der in § 22a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 EStG a.F. genannten Daten in Form einer auf einem Datenträger gespeicherten csv-Datei an die ZfA übersandt hat, fehlt es vollständig an tatsächlichen Feststellungen des FG.
  • Die Verwaltungsregelungen über das csv-Verfahren sind in systematischer Hinsicht als Konkretisierung der Exkulpationsvorschrift des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F. anzusehen. Es fehlen aber jegliche Tatsachenfeststellungen des FG zu der Frage, ob die --im Kern auf § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F. zurückzuführenden und daher an dieser Norm zu messenden-- Voraussetzungen für die Nutzung des csv-Verfahrens in den genannten 67 Fällen erfüllt waren. Auch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu einem etwaigen mitwirkenden Verschulden der ZfA fehlen.


Wenn die Verwaltungsregelungen über das csv-Verfahren der Konkretisierung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F. dienen, müssen sie sich in ihrer Ausgestaltung an dieser Vorschrift messen lassen. Dies folgt bereits aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Jedenfalls soweit die Regelungen über das csv-Verfahren im Streitfall entscheidungserheblich sind, enthalten sie eine sachgerechte Konkretisierung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F.

Auch in Bezug auf die weiteren 123 Fälle, in denen die Klägerin von vornherein vom Versuch einer Datenübermittlung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz abgesehen und die ihr vorliegenden --unvollständigen-- Daten sogleich in Form einer csv-Datei übersandt hat, war dem BFH eine eigene Beurteilung mangels ausreichender tatrichterlicher Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht möglich. Die Beteiligten streiten insoweit im Wesentlichen darüber, ob die Klägerin das in § 22a Abs. 2 EStG a.F. vorgesehene Verfahren zur Ermittlung der Identifikationsnummer des Leistungsempfängers korrekt durchgeführt hat bzw. ob sie etwaige Fehler, die ihr bei der Durchführung dieses Verfahrens nach Auffassung der ZfA unterlaufen sein sollen, nicht zu vertreten hat.

Aus § 22a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Satzteil 1 EStG a.F. folgt, dass der Mitteilungspflichtige die Identifikationsnummer vorrangig beim Leistungsempfänger zu erheben hat. Teilt dieser die Identifikationsnummer trotz Aufforderung nicht mit, hat der Mitteilungspflichtige eine Anfrage beim BZSt zu unternehmen (§ 22a Abs. 2 Satz 2 Satzteil 2 EStG a.F.), die über die zentrale Stelle zu leiten ist (§ 22a Abs. 2 Satz 4 EStG a.F.). Der Mitteilungspflichtige muss seine Anfrage nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln (§ 22a Abs. 2 Satz 8 i.V.m. § 22a Abs. 1 Satz 2 EStG a.F.).Demgegenüber ließ § 52 Abs. 38a Satz 2 EStG a.F. für bestimmte Fälle auch eine Anfrage beim BZSt ohne vorherige Aufforderung des Mitteilungspflichtigen an den Leistungsempfänger zur Benennung seiner Identifikationsnummer zu.

Für den Fall, dass die übermittelten Daten nicht mit den beim BZSt gespeicherten Daten übereinstimmten, enthielt § 52 Abs. 38a Satz 4 EStG a.F. einen Rückverweis auf § 22a Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG a.F., d.h. in diesen Fällen hatte sich der Mitteilungspflichtige zwingend zunächst an den Leistungsempfänger zu wenden. Hier hätte das FG zunächst in rechtlicher Hinsicht prüfen müssen, ob die Klägerin in den streitgegenständlichen Einzelfällen von dem in § 52 Abs. 38a Satz 2 EStG a.F. zugelassenen Ausnahmeverfahren noch hat Gebrauch machen dürfen.

Sollte die Klägerin diesen Weg zu Recht beschritten haben, hätte überprüft werden müssen, ob ein Vertretenmüssen darin liegen könnte, dass es die Klägerin trotz der Ergebnislosigkeit ihrer Abfrage und dem Erhalt des "Returncode 1" unterlassen hat, unverzüglich in das Regel-Abfrageverfahren nach § 22a Abs. 2 EStG a.F. überzugehen bzw. ob dieses Verhalten auf Gründen beruhen könnte, die sie nicht zu vertreten hat (§22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F.). Sollten demgegenüber die Voraussetzungen für eine Abfrage nach § 52 Abs. 38a Satz 2 EStG a.F. von vornherein nicht erfüllt gewesen sein, hätte es einer Prüfung bedurft, ob dies für die Klägerin erkennbar war und ob der "Returncode 1", der der Klägerin übermittelt worden war ("keine IdNr. ermittelt; Anfrage beim Bürger erforderlich"), hinreichend deutlich auf die Wahl eines nicht eröffneten Übermittlungsverfahrens hingewiesen hat.

Der BFH hat im gegenwärtigen Verfahrensstadium davon abgesehen, zu der (Rechts-)Frage der Auslegung des § 52 Abs. 38a Satz 2 EStG a.F. mit Bindungswirkung für das FG Stellung zu nehmen.

Verlag Dr. Otto Schmidt
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