09.08.2018

Auch eine rechtswidrige Bescheinigung der Gemeindebehörde kann Bindungswirkung entfalten

Hat die zuständige Gemeindebehörde eine bindende Entscheidung über die von ihr nach § 7h Abs. 1 EStG zu prüfenden Voraussetzungen getroffen, hat das Finanzamt diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen, es sei denn, die Bescheinigung wird förmlich zurückgenommen, widerrufen oder ist nach § 44 VwVfG nichtig und deshalb unwirksam.

BFH 17.4.2018, IX R 27/17
Der Sachverhalt:

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem vermieteten Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in einem Sanierungsgebiet. Sie haben das Gebäude in den Jahren 2006 und 2007 saniert und modernisiert. Die Herstellungskosten betrugen 450.370 €. Die baulichen Maßnahmen beruhten weder auf einem Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot i.S.d. § 177 BauGB noch existierte eine Verpflichtung der Steuerpflichtigen gegenüber der Stadt zur Durchführung der Arbeiten.

Die Kläger legten sie dem Finanzamt eine von der zuständigen Gemeindebehörde ausgestellte "Bescheinigung gem. § 7h EStG" vom 7.7.2010 vor, wonach das Gebäude im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liege, "Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB" an diesem Gebäude durchgeführt und diese nicht mit Städtebaufördermitteln oder Zuschüssen der Stadt unterstützt worden seien. Das Finanzamt lehnte die begehrte erhöhte Abschreibung nach § 7h EStG mit der Begründung ab, die Anspruchsvoraussetzungen lägen nicht vor. Während des sich anschließenden Einspruchsverfahrens remonstrierte die Steuerbehörde gegen die für rechtswidrig erachtete Bescheinigung der Stadt. Diese nahm sie daraufhin zurück.

Das sich anschließende Klageverfahren wurde vom FG zunächst ausgesetzt, weil sich die Kläger darüber hinaus mit einer Klage vor dem VG gegen die Rücknahme der Bescheinigung wandten. Mit rechtskräftigem Urteil des VG wurde der Klage stattgegeben und der Rücknahmebescheid der Stadt aufgehoben. Zwar sei die von der Stadt erteilte Bescheinigung rechtswidrig, soweit darin die Feststellung enthalten sei, dass an dem Gebäude Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB durchgeführt worden seien. Allerdings habe es die Stadt bei der Rücknahme der Bescheinigung pflichtwidrig unterlassen, eine Ermessensentscheidung zu treffen.

Daraufhin wies das FG die Klage mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG seien nicht durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde nachgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Kläger war vor dem BFH erfolgreich.

Gründe:

Die Bescheinigung der Stadt vom 7.7.2010 entfaltet für die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG Bindungswirkung. Denn eine Bescheinigung ist bindend, und zwar unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit.

Die Bindungswirkung der Bescheinigung erstreckt sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG benannten Tatbestandsmerkmale, nämlich auf die Feststellung, ob das Gebäude in einem Sanierungsgebiet belegen ist, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB bzw. Maßnahmen i.S.d. § 7h Abs. 1 S. 2 EStG durchgeführt und ob Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsfördermitteln gewährt worden sind. Allein die Gemeinde prüft, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB durchgeführt wurden, und entscheidet insbesondere nach Maßgabe des BauGB, wie die Begriffe "Modernisierung" und "Instandsetzung" zu verstehen sind.

Hat die Bescheinigungsbehörde eine bindende Entscheidung über eine der in § 7h Abs. 1 EStG genannten Voraussetzungen getroffen, hat das Finanzamt diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen, es sei denn, sie wäre von der Bescheinigungsbehörde förmlich zurückgenommen oder widerrufen worden oder nach §  44 VwVfG nichtig und deshalb unwirksam.

Besteht dagegen eine wirksame Bescheinigung, entfaltet diese die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids. Ist die Bescheinigung hinsichtlich der von der Gemeinde zu prüfenden Voraussetzungen inhaltlich unrichtig, ändert auch dies - ungeachtet der etwaigen Rechtswidrigkeit - nichts an der Bindungswirkung des Grundlagenbescheides.

Im vorliegenden Fall lag eine wirksame Bescheinigung i.S.d. § 7h Abs. 2 S. 1 EStG vor. Diese entfaltet für die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG Bindungswirkung für die Finanzbehörden. Die zuständige Stadt hatte entschieden, dass die Kläger an dem Gebäude Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB durchgeführt haben. Das Finanzamt muss diese Entscheidung infolge der Bindungswirkung der Bescheinigung hinnehmen, auch wenn es sie für unzutreffend hält. Denn das VG hatte den Rücknahmebescheid der Stadt aufgehoben, so dass die ursprünglich erteilte Bescheinigung wieder Gültigkeit erlangt hat.

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