Aufhebung der Kindergeldfestsetzung in Doppelzahlungsfällen
BFH 6.4.2017, III R 33/15Der Kläger ist seit Mai 1995 als Lehrkraft beim Land Schleswig-Holstein beschäftigt. Er war zunächst zeitlich befristet im Angestelltenverhältnis tätig und wurde im November 1999 verbeamtet. Er ist verheiratet und Vater der im Februar 1996 ehelich geborenen Tochter A. Die beklagte Familienkasse bewilligte Kindergeld, das der Kläger im Februar 1996 mit Zustimmung seiner Ehefrau beantragt hatte. Dabei ging sie aufgrund einer telefonischen Mitteilung der Gattin des Klägers davon aus, dass der Zeitvertrag des Klägers mit dem Land Schleswig-Holstein Ende März 1996 auslaufen würde. Tatsächlich wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers jedoch verlängert.
Nach seiner Verbeamtung erhielt der Kläger Kindergeld für A auch vom Dienstherrn. Diese Zahlungen wurden in den jeweiligen Gehaltsbescheinigungen aufgeführt und erfolgten ohne Antrag des Klägers und ohne formelle Kindergeldfestsetzung. Eine vom Kläger im November 2000 beim Dienstherrn eingereichte Erklärung zum Familienzuschlag enthielt unter der Rubrik "Kinder" Angaben zum Namen und zum Geburtsdatum der Tochter, zum Kindschaftsverhältnis und zur Zahlung des Kindergeldes an den Kläger. Die Verbeamtung des Klägers blieb der Familienkasse unbekannt. Sie zahlte weiterhin Kindergeld für A, so dass der Kläger dieses ab November 1999 zweifach vereinnahmte. Die Doppelzahlungen wurden erst im August 2008 durch einen vom Bundesrechnungshof initiierten Datenabgleich aufgedeckt und sowohl dem Dienstherrn als auch der Familienkasse zur Kenntnis gebracht.
Die Familienkasse stellte ihre Zahlungen ab September 2008 ein. Sie hob mit Bescheid von November 2009 die Festsetzung des Kindergeldes gem. § 70 Abs. 2 EStG für den Zeitraum von November 1999 bis August 2008 auf und forderte die Rückerstattung überzahlten Kindergeldes i.H.v. rd. 16.000 €. Der Kläger zahlte auf den geltend gemachten Erstattungsanspruch für den Zeitraum Januar 2005 bis August 2008 insgesamt rd. 6.800 €. Wegen der Kindergeldaufhebung und Rückforderung für den Zeitraum November 1999 bis Dezember 2004 beruft er sich auf Verjährung.
Das FG wies die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Familienkasse durfte die Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 2 EStG aufheben.
Die bei den Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit eingerichteten Familienkassen sind sachlich nicht zuständig, wenn gem. § 72 EStG eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder die Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG oder Deutsche Telekom AG als Familienkasse das Kindergeld an Angehörige des öffentlichen Dienstes festzusetzen und zu zahlen haben. Der Wechsel der sachlichen Zuständigkeit der für die Kindergeldgewährung zuständigen Behörde, d.h. der Übergang der Verpflichtung von einem auf einen anderen Rechtsträger, ist eine i.S.d. § 70 Abs. 2 EStG für den Anspruch auf Kindergeld erhebliche Änderung, so dass die Familienkasse im Streitfall die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufheben konnte.
Dem steht nicht entgegen, dass beim Wechsel der sachlichen Zuständigkeit nicht zwingend ein neuer Bescheid ergehen muss, sondern - was im Streitfall allerdings nicht geschehen war - die zuständig gewordene Familienkasse aus Vereinfachungsgründen aufgrund des bisherigen Bescheids leisten kann, wenn sie den Kindergeldberechtigten schriftlich darauf hinweist, dass sie als nunmehr zuständige Familienkasse das Kindergeld in der bisher festgesetzten Höhe unverändert auszahlt und die ursprünglich zuständige Familienkasse sachlich unzuständig geworden ist und deshalb die Kindergeldzahlungen einstellt.
Vorliegend war die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auch nicht durch Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO) ausgeschlossen, da der Anspruchsberechtigte nach § 68 Abs. 1 Alt. 1 EStG verpflichtet war, der Familienkasse Veränderungen in den für die Leistung erheblichen Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen, dies jedoch nicht erfolgt war und daher durch den zweifachen Bezug von Kindergeld, das als Steuervergütung gewährt wird, nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt wurden. Insoweit lag eine leichtfertige Steuerverkürzung vor mit der Folge, dass sich die Festsetzungsfrist auf fünf Jahre verlängerte und sie gem. § 171 Abs. 7 AO nicht endete, bevor die Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit verjährte. Im Streitfall war sie bei Erlass des Aufhebungsbescheids noch nicht abgelaufen, so dass dieser verfahrensrechtlich zutreffend ergangen war.
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