Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach der ICSI-Methode als außergewöhnliche Belastungen
BFH 17.5.2017, VI R 34/15Der Kläger leidet an einer sog. Subfertilität aufgrund einer Spermienanomalie. Im Streitjahr (2010) wurden bei der Ehefrau des Klägers, mit der er damals noch nicht verheiratet war, im Wege der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) mehrere Versuche unternommen, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Auf diese Weise wurden zunächst vier, dann sieben Eizellen befruchtet. Nach Durchführung der sog. Blastozystenkultur (extrakorporale Kultur während der ersten vier bis sechs Tage nach Vornahmen der ICSI) wurden der Ehefrau die jeweils verbliebenen zwei Embryonen eingesetzt. Die Behandlung fand in einer Klinik Österreich statt.
In seiner Einkommensteuererklärung für 2010 machte der Kläger für die Behandlung angefallene Kosten i.H.v. rd. 17.000 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Bei den Aufwendungen handelte es sich um an die spätere Ehefrau des Klägers gerichtete Rechnungen der "IVF" sowie auf diese ausgestellte Apothekenrezepte. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung der Aufwendungen ab. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Einspruch.
Das Finanzamt teilte dem Kläger daraufhin unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 10.5.2007 (III R 47/05) mit, Kosten für eine In-vitro-Fertilisation könnten außergewöhnliche Belastungen sein, wenn die Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen worden seien. Es werde daher eine Bescheinigung der Klinik oder der Krankenkasse benötigt, dass die durchgeführten Maßnahmen mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen nach deutschem Recht übereinstimmten. Dies beziehe sich insbesondere auf das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG). Daraufhin übersandte der Kläger dem Finanzamt eine Stellungnahme der Klinik. Darin war u.a. ausgeführt, es könne nicht bestätigt werden, dass der Wortlaut des deutschen ESchG im Sinne der "Dreier-Regel" eingehalten worden sei. Das Finanzamt wies den Einspruch daraufhin zurück.
Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Die Gründe:
Aufwendungen für die künstliche Befruchtung werden dann als Behandlung bei Sterilität anerkannt, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind oder wegen eines Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden.
Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das ESchG verstößt und mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte im Einklang steht. Vorliegend hat das FG zu Unrecht angenommen, § 1 Abs. 1 Nr.5 ESchG verbiete, mehr als drei Eizellen zu befruchten. Auch verbieten die Berufsordnungen der Ärzte bei einer ICSI nicht, mehr als drei Eizellen zu befruchten. Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG liegt nicht vor, wenn zwar mehr als drei Eizellen befruchtet werden, aber lediglich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen zum Zwecke der Übertragung entstehen sollen und der Behandlung eine vorherige sorgfältige individuelle Prognose zugrunde liegt (sog. deutscher Mittelweg).
Für die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG ("sollen") kommt es damit entscheidend darauf an, welchen Zweck der behandelnde Arzt mit der gewählten Vorgehensweise verfolgt. Beabsichtigt er das Entstehen von lediglich ein bis zwei entwicklungsfähigen Embryonen zum Zwecke der Übertragung, so widerspricht die Behandlung selbst dann nicht den Vorgaben des ESchG, wenn trotz sorgfältiger Prognose und individuell angepasster Vorgehensweise im Einzelfall unbeabsichtigt mehr entwicklungsfähige Embryonen entstehen sollten. Damit ist der sog. deutsche Mittelweg mit den Regelungen des ESchG vereinbar, wenn anhand der individuell maßgeblichen Parameter (z.B. Alter, Gewicht, Vorerkrankungen) aufgrund einer sorgfältigen und individuellen Prognose so viele Eizellen befruchtet werden, dass voraussichtlich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen entstehen, die dann übertragen werden sollen.
Da das FG bisher nicht geprüft hatte, ob die aufwandsbegründenden Behandlungen dem sog. deutschen Mittelweg entsprechen, war die Sache an das FG zurückzuverweisen. Sollte sich im zweiten Rechtszug ergeben, dass die Behandlungen im Einklang mit dem ESchG stehen, steht einem Abzug als außergewöhnliche Belastungen nicht entgegen, dass die für die Behandlung gestellten Rechnungen an die spätere Ehefrau des Klägers gerichtet waren. Denn die Aufwendungen dienten dazu, eine Fertilitätsstörung des Steuerpflichtigen auszugleichen, und waren als insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung darauf gerichtet, die Störung zu überwinden und die Krankheit zu lindern. Die Behandlung ist insoweit ebenso wie eine heterologe Insemination als untrennbare Einheit zu sehen. Daher sind auch die spätere Ehefrau betreffende Behandlungsmaßnahmen Aufwendungen zur Behandlung einer Krankheit des Steuerpflichtigen, die dieser als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend machen kann, soweit er sie getragen hat.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.