Auslegung eines Gewinnabführungsvertrags - Zur Frage der steuerlichen Rückwirkung eines notariellen Nachtragsvermerks nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG
Kurzbesprechung
BFH v. 13. 7. 2022 - I R 42/18
KStG § 14 Abs 1 S 1 Nr. 3, § 17 Abs 1 S 1
BeurkG § 44a Abs 2 S 1
AktG § 298, § 303
AO § 38
HGB § 15
Sowohl nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG (i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG) in seiner aktuellen Fassung als auch in früheren Fassungen bis ins Jahr 1991 (z.B. § 14 Nr. 4 KStG i.d.F. der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes vom 11.03.1991, BGBl I 1991, 638, BStBl I 1991, 135) ist Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft u.a. ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener Gewinnabführungsvertrag (GAV), der auch zivilrechtlich wirksam ist. Hieran fehlte es im Streitfall.
Vereinbarungen der Gesellschafter mit korporationsrechtlichem Charakter ‑ zu denen ein GAV als gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag gehört ‑ sind nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kommen dabei ebenso maßgebende Bedeutung zu wie dem systematischen Bezug einer Klausel zu anderen Vertragsregelungen. Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte im Vertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden.
So sind z.B. außerhalb des Vertrags liegende Sachzusammenhänge bei einer Kündigungsklausel eines GAV auch dann nicht einzubeziehen, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden kann. Insbesondere gilt dies für nicht allgemein erkennbare Umstände außerhalb der zum Handelsregister eingereichten Unterlagen, wie z.B. der Entstehungsgeschichte sowie Vorstellungen und Äußerungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen.
Der aus § 133 BGB abzuleitende und grundsätzlich auch auf formbedürftige Verträge anzuwendende Grundsatz "falsa demonstratio non nocet", nach dem ohne Rücksicht auf einen abweichenden Wortlaut das von den Vertragsschließenden tatsächlich Gemeinte als Inhalt des Vertrags gilt, kann im Bereich der objektiven Auslegung korporationsrechtlicher Vereinbarungen nicht uneingeschränkt angewendet werden. Findet sich nämlich im Vertrag und in den allgemein zugänglichen Unterlagen kein eindeutiger Beleg für den dem Wortlaut entgegenstehenden subjektiven Willen der Vertragsparteien, ist kein Raum für dessen Berücksichtigung.
An diesen strengen Auslegungskriterien hält der BFH ungeachtet der in der Literatur geäußerten Kritik weiterhin fest. Denn sie begründen sich mit der Notwendigkeit, den Finanzbehörden eine sichere Prüfungs- und Beurteilungsgrundlage zu geben, ob ‑ durch die Organschaft ‑ ausnahmsweise ein Steuersubjekt an die Stelle eines anderen Subjekts tritt. Es muss ausgeschlossen sein, dass den Vertragsparteien ‑ je nach wirtschaftlicher und steuerlicher Situation ‑ ein "faktisches Wahlrecht" eingeräumt wird, sich auf den konkreten Vertragstext oder auf ein Redaktionsversehen zu berufen.
Im Streitfall hatte das FG rechtsfehlerfrei festgestellt, dass in den Streitjahren 2006 und 2009 kein wirksamer GAV mehr bestanden hatte.
Der mehr als 20 Jahre nach Vertragsschluss vom Amtsnachfolger des beurkundenden Notars gefertigte Nachtragsvermerk (§ 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG) konnte für die Streitjahre nicht zur steuerrechtlichen Anerkennung eines GAV führen. Nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG kann der Notar zwar auch nach Abschluss der Niederschrift durch einen von ihm zu unterschreibenden Nachtragsvermerk offensichtliche Unrichtigkeiten richtigstellen. Von einer "offensichtlichen Unrichtigkeit" werden über Schreibversehen hinaus auch Auslassungen und Unvollständigkeiten erfasst, wenn sie versehentlich erfolgt sind und sich dies aus dem Gesamtzusammenhang der Beurkundung ergibt, wobei die Umstände auch außerhalb der Urkunde liegen können.
Ob im Streitfall eine nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG berichtigungsfähige offensichtliche Unrichtigkeit vorliegt, ist nach Auffassung des BFH jedoch zweifelhaft. Denn "offensichtlich" ist allenfalls die beschriebene Unstimmigkeit des § 4 GAV in der beurkundeten Fassung durch das Fehlen eines Absatzes 2, nicht aber auch der von den Vertragsparteien stattdessen tatsächlich gewollte Vertragsinhalt. Der an der Vertragsbeurkundung selbst nicht beteiligte Amtsnachfolger des beurkundenden Notars hatte mit dem Nachtragsvermerk versucht, eine aus seiner Sicht bestehende Vertragslücke zu füllen, ohne dass die Vertragsurkunde dahingehend zumindest andeutungsweise einen bestimmten Erklärungsinhalt hatte erkennen lassen.
Selbst wenn für einen Nachtragsvermerk nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG ggf. auch auf die Erinnerung des beurkundenden Notars abgestellt werden könnte, wäre hierfür in der vorliegenden Konstellation eines durch einen Amtsnachfolger gefertigten Nachtragsvermerks kein Raum. Im Übrigen würde der im September 2012 gefertigte Nachtragsvermerk jedenfalls steuerlich nicht in die Streitjahre zurückwirken können.
Verlag Dr. Otto Schmidt
KStG § 14 Abs 1 S 1 Nr. 3, § 17 Abs 1 S 1
BeurkG § 44a Abs 2 S 1
AktG § 298, § 303
AO § 38
HGB § 15
Sowohl nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG (i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG) in seiner aktuellen Fassung als auch in früheren Fassungen bis ins Jahr 1991 (z.B. § 14 Nr. 4 KStG i.d.F. der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes vom 11.03.1991, BGBl I 1991, 638, BStBl I 1991, 135) ist Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft u.a. ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener Gewinnabführungsvertrag (GAV), der auch zivilrechtlich wirksam ist. Hieran fehlte es im Streitfall.
Vereinbarungen der Gesellschafter mit korporationsrechtlichem Charakter ‑ zu denen ein GAV als gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag gehört ‑ sind nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kommen dabei ebenso maßgebende Bedeutung zu wie dem systematischen Bezug einer Klausel zu anderen Vertragsregelungen. Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte im Vertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden.
So sind z.B. außerhalb des Vertrags liegende Sachzusammenhänge bei einer Kündigungsklausel eines GAV auch dann nicht einzubeziehen, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden kann. Insbesondere gilt dies für nicht allgemein erkennbare Umstände außerhalb der zum Handelsregister eingereichten Unterlagen, wie z.B. der Entstehungsgeschichte sowie Vorstellungen und Äußerungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen.
Der aus § 133 BGB abzuleitende und grundsätzlich auch auf formbedürftige Verträge anzuwendende Grundsatz "falsa demonstratio non nocet", nach dem ohne Rücksicht auf einen abweichenden Wortlaut das von den Vertragsschließenden tatsächlich Gemeinte als Inhalt des Vertrags gilt, kann im Bereich der objektiven Auslegung korporationsrechtlicher Vereinbarungen nicht uneingeschränkt angewendet werden. Findet sich nämlich im Vertrag und in den allgemein zugänglichen Unterlagen kein eindeutiger Beleg für den dem Wortlaut entgegenstehenden subjektiven Willen der Vertragsparteien, ist kein Raum für dessen Berücksichtigung.
An diesen strengen Auslegungskriterien hält der BFH ungeachtet der in der Literatur geäußerten Kritik weiterhin fest. Denn sie begründen sich mit der Notwendigkeit, den Finanzbehörden eine sichere Prüfungs- und Beurteilungsgrundlage zu geben, ob ‑ durch die Organschaft ‑ ausnahmsweise ein Steuersubjekt an die Stelle eines anderen Subjekts tritt. Es muss ausgeschlossen sein, dass den Vertragsparteien ‑ je nach wirtschaftlicher und steuerlicher Situation ‑ ein "faktisches Wahlrecht" eingeräumt wird, sich auf den konkreten Vertragstext oder auf ein Redaktionsversehen zu berufen.
Im Streitfall hatte das FG rechtsfehlerfrei festgestellt, dass in den Streitjahren 2006 und 2009 kein wirksamer GAV mehr bestanden hatte.
Der mehr als 20 Jahre nach Vertragsschluss vom Amtsnachfolger des beurkundenden Notars gefertigte Nachtragsvermerk (§ 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG) konnte für die Streitjahre nicht zur steuerrechtlichen Anerkennung eines GAV führen. Nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG kann der Notar zwar auch nach Abschluss der Niederschrift durch einen von ihm zu unterschreibenden Nachtragsvermerk offensichtliche Unrichtigkeiten richtigstellen. Von einer "offensichtlichen Unrichtigkeit" werden über Schreibversehen hinaus auch Auslassungen und Unvollständigkeiten erfasst, wenn sie versehentlich erfolgt sind und sich dies aus dem Gesamtzusammenhang der Beurkundung ergibt, wobei die Umstände auch außerhalb der Urkunde liegen können.
Ob im Streitfall eine nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG berichtigungsfähige offensichtliche Unrichtigkeit vorliegt, ist nach Auffassung des BFH jedoch zweifelhaft. Denn "offensichtlich" ist allenfalls die beschriebene Unstimmigkeit des § 4 GAV in der beurkundeten Fassung durch das Fehlen eines Absatzes 2, nicht aber auch der von den Vertragsparteien stattdessen tatsächlich gewollte Vertragsinhalt. Der an der Vertragsbeurkundung selbst nicht beteiligte Amtsnachfolger des beurkundenden Notars hatte mit dem Nachtragsvermerk versucht, eine aus seiner Sicht bestehende Vertragslücke zu füllen, ohne dass die Vertragsurkunde dahingehend zumindest andeutungsweise einen bestimmten Erklärungsinhalt hatte erkennen lassen.
Selbst wenn für einen Nachtragsvermerk nach § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG ggf. auch auf die Erinnerung des beurkundenden Notars abgestellt werden könnte, wäre hierfür in der vorliegenden Konstellation eines durch einen Amtsnachfolger gefertigten Nachtragsvermerks kein Raum. Im Übrigen würde der im September 2012 gefertigte Nachtragsvermerk jedenfalls steuerlich nicht in die Streitjahre zurückwirken können.