Auslegung und Umdeutung von Erklärungen eines Steuerberaters
BFH 14.6.2016, IX R 11/15Die Klägerin ist eine aus den Ehegatten M. und I. bestehende GbR. Sie wurden von dem Steuerberater H. beraten. Die Eheleute werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt (Steuernummer 2). Dem Finanzamt sind auf den H. lautende Empfangsvollmachten der Ehegatten für die Einkommensteuer und das Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus der Vermietung eines Wohn- und Geschäftshauses (Steuernummer 1) im Streitjahr 2010 zugegangen. Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ging am 25.9.2012 ein. Dieser war eine Anlage V beigefügt, in der allein die I. die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Wohn- und Geschäftshaus erklärt hatte. Am 18.10.2012 nahm das Finanzamt gegenüber H. hierzu schriftlich Stellung. Dieser antwortete zunächst nicht.
Da für das Streitjahr keine Feststellungserklärung abgegeben worden war, erließ das Finanzamt am 5.12.2012 einen Bescheid für 2010, in dem es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung schätzte. Der Bescheid war inhaltlich an die Klägerin gerichtet und wurde dem H. für die Klägerin bekanntgegeben. Am 3.1.2013 faxte H. seine Antwort auf das Schreiben vom 18.10.2012. Im Betreff war die Steuernummer der Einkommensteuerveranlagungen (Steuernummer 2) angegeben. Ferner waren der Einkommensteuerbescheid 2010 mit Datum, der Einspruch vom 11.7.2012 und "Ihr Schreiben" vom 18.10.2012 erwähnt. Die Unterzeichnerin jenes Schreibens wurde in der Anrede namentlich angesprochen und die in dem Schreiben der Behörde vom 18.10.2012 enthaltenen Aussagen wurden der Reihenfolge nach beantwortet. Dennoch erhöhte das Finanzamt die Einkommensteuerfestsetzung mit Teil-Einspruchsentscheidung vom 19.11.2013.
Das hiergegen gerichtete Klageverfahren wurde vom FG bis zur rechtskräftigen Entscheidung, ob der Feststellungsbescheid vom 5.12.2012 bestandskräftig geworden ist, ausgesetzt. Die hiesige Klägerin machte mit Schriftsatz vom 10.7.2014 gegenüber dem Finanzamt geltend, mit der Stellungnahme vom 3.1.2013 Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5.12.2012 eingelegt zu haben. Das Finanzamt verwarf den "Einspruch" der Klägerin. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage per Zwischenurteil statt, da der Schriftsatz vom 3.1.2013 in einen fristgerecht erhobenen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid umzudeuten sei. Auf die Revision des Finanzamtes hob der BFH das Zwischenurteil auf
Gründe:
Die Annahme des FG, der Schriftsatz vom 3.1.2013 sei in einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5.12.2012 umzudeuten, hielt einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Zwar hatte das FG zunächst zutreffend angenommen, dass der Schriftsatz vom 3.1.2013 nicht als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 5.12.2012 auszulegen war. Denn die vom Steuerberater stammende Formulierung, die ausdrücklich auf den Einkommensteuerbescheid für 2010 mit Datum und Steuernummer der Einkommensteuerveranlagung (Steuernummer 2), den Einspruch vom 11.7.2012 und das amtliche Schreiben vom 18.10.2012 Bezug genommen hatte, war eindeutig und nicht auslegungsbedürftig.
Die für die Eheleute M. und I. abgegebene Stellungnahme des Steuerberaters vom 3.1.2013 konnte jedoch nicht in einen Einspruch der Klägerin gegen den Feststellungsbescheid vom 5.12.2012 umgedeutet werden. Zwar ist eine Umdeutung grundsätzlich auch bei Verfahrenserklärungen denkbar. Es ist jedoch ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige wie Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte mit ihren Verfahrenserklärungen beim Wort zu nehmen. Insofern folgte bereits aus der Eindeutigkeit des vom Steuerberater formulierten Schreibens vom 3.1.2013, dass eine Umdeutung im Streitfall ausschied.
Es besteht auch kein Anlass, der unmissverständlichen Stellungnahme eines steuerlichen Beraters, die sich ausdrücklich auf den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr bezieht, einen anderen Sinn beizumessen, als sie nach ihrem Wortlaut und ihrem Zweck hat. Eine abweichende Beurteilung ergab sich hier auch nicht aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Denn der Rechtsschutz der Klägerin wurde ohne die Umdeutung nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert oder verhindert. Vielmehr standen der steuerlich beratenen Klägerin innerhalb der gesetzlichen Fristen alle Möglichkeiten offen, ein etwaiges Rechtsschutzziel zu verfolgen.
Aber auch wenn die Umdeutung von Verfahrenserklärungen der Steuerberater grundsätzlich möglich wäre und der Rechtsgedanke des § 140 BGB im Steuerrecht gilt, erforderte eine Umdeutung in entsprechender Anwendung des § 140 BGB das Vorliegen einer nichtigen oder wegen Anfechtung unwirksamen Verfahrenserklärung, mithin abstrakt-generell eine Fehlerhaftigkeit der Verfahrenserklärung. Daran fehlte es jedoch hier. Schließlich schied die Umdeutung im Streitfall auch aus dem Grund aus, dass nur der Inhalt einer Erklärung, nicht aber die Person des Erklärenden der Umdeutung fähig ist.
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