11.05.2012

Ausschließliche Besteuerung der an gebietsfremde OGAW ausgeschütteten Dividenden inländischer Herkunft unzulässig

Das EU-Recht steht französischen Rechtsvorschriften entgegen, die für Dividenden inländischer Herkunft, die von gebietsansässigen und gebietsfremden Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) bezogen werden, eine unterschiedliche steuerliche Regelung eingeführt haben. Diese Beschränkung ist auch nicht nach den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr gerechtfertigt.

EuGH 10.5.2012, C-338/11 u.a.
Hintergrund:
Das EU-Recht verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Dieses Verbot berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Diese Vorschriften dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs darstellen.

Der Sachverhalt:
Den verbundenen Rechtssachen liegen Streitigkeiten über die französische steuerliche Regelung für Dividenden zugrunde, die von einer in Frankreich ansässigen Gesellschaft an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), die nicht in diesem Staat ansässig sind, ausgeschüttet werden.

Die OGAW (Investmentfonds, die von einer Verwaltungs- oder Investmentgesellschaft verwaltet werden) erlauben einem Anleger (Anteilsinhaber), die Verwaltung seines Kapitals einem Fachmann anzuvertrauen, der sich um die Investition seines Kapitals auf einem oder mehreren bestimmten Finanzmärkten kümmert. Nach der französischen Steuerregelung unterliegen die Dividenden, die an nicht in Frankreich ansässige OGAW ausgeschüttet werden, einer Quellensteuer von 25 Prozent, während solche Dividenden nicht besteuert werden, wenn sie an einen gebietsansässigen OGAW ausgeschüttet werden.

Zehn belgische, deutsche, spanische und US amerikanische OGAW, die insbes. in Aktien französischer Gesellschaften investieren und aus diesen Investitionen Dividenden beziehen, die der Quellensteuer unterliegen, fochten die französische Regelung an. Sie machen eine Diskriminierung im Hinblick auf die vom Unionsrecht gewährleistete Kapitalverkehrsfreiheit geltend.

Das mit diesen Klagen befasste Gericht in Frankreich hat sich mit der Frage an den EuGH gewendet, ob das Recht der Union der französischen Regelung entgegensteht, die die Dividenden inländischer Herkunft, die an OGAW ausgeschüttet werden, je nach dem Ort, an dem der die Dividenden beziehende Organismus ansässig ist, steuerlich unterschiedlich behandelt.

Die Gründe:
Das Unionsrecht steht der französischen Regelung entgegen, die die Dividenden inländischer Herkunft einer Quellensteuer unterwirft, wenn sie von in einem anderen Staat ansässigen OGAW bezogen werden, während solche Dividenden, die von im ersten Staat ansässigen OGAW bezogen werden, von der Steuer befreit sind.

Zu den Maßnahmen, die nach dem Recht der Union als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, gehören solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten. Eine unterschiedliche steuerliche Behandlung der Dividenden, je nachdem, wo der OGAW seinen Sitz hat, ist geeignet, gebietsfremde OGAW von Investitionen in Gesellschaften, die in Frankreich ansässig sind, und in Frankreich ansässige Anleger vom Erwerb von Anteilen an gebietsfremden OGAW abzuhalten. Die französische Regelung stellt daher eine nach dem Recht der Union grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

Diese Beschränkung ist auch nicht nach den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr gerechtfertigt. Eine Ungleichbehandlung kann nur dann als mit dem EU-Recht vereinbar angesehen werden, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situation stellt sich die Frage, ob die Situation der Anteilsinhaber zusammen mit derjenigen der OGAW zu berücksichtigen ist. Dies hat der EuGH vorliegend verneint. Entscheidend ist insoweit die Einführung eines maßgeblichen Unterscheidungskriteriums, das auf den Ort des Sitzes des OGAW abstellt. Somit kann die unterschiedliche Behandlung der gebietsansässigen OGAW und der gebietsfremden OGAW nicht durch einen erheblichen in der Situation begründeten Unterschied gerechtfertigt werden.

Die unterschiedliche Behandlung ist auch nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Eine Ungleichbehandlung kann zwar zulässig sein, wenn mit der nationalen Regelung Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht des Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden. Hat sich jedoch ein Mitgliedstaat dafür entschieden, die gebietsansässigen OGAW, die Dividenden inländischer Herkunft beziehen, nicht zu besteuern, kann er sich nicht auf die Notwendigkeit einer ausgewogene Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten berufen, um die Besteuerung der gebietsfremden OGAW, die derartige Einkünfte haben, zu rechtfertigen.

Ebenso kann die französische Regelung nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle zu gewährleisten, da die Besteuerung nur und spezifisch Gebietsfremde trifft. Und schließlich kann die durch die französische Regelung eingeführte unterschiedliche Behandlung auch nicht durch die Notwendigkeit der Wahrung der Kohärenz der Steuerregelung gerechtfertigt werden, da zwischen der Befreiung der von einem gebietsansässigen OGAW bezogenen Dividenden inländischer Herkunft von der Quellensteuer und der Besteuerung dieser Dividenden als Einkünfte der Anteilsinhaber dieses OGAW kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Linkhinweis:
Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte PM zu dieser Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 58 vom 10.5.2012
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