26.08.2015

Außergewöhnliche Belastungen im Fall wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden

Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Behandlung. Um festzustellen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden; es muss dann die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen.

BFH 18.6.2015, VI R 68/14
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung machten sie Aufwendungen für die operative Beseitigung von Lipödemen bei der Klägerin im Streitjahr i.H.v. 5.500 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Krankenkasse hatte der Klägerin mitgeteilt, dass sie sich nicht an den Kosten der Liposuktion beteiligen könne, weil die Therapie keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherungen sei. Ein amtsärztliches Zeugnis oder eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse wurde weder vor den Operationen noch danach eingeholt.

Die Klägerin legte Berichte des Medizinischen Versorgungszentrums, der Radiologie, Atteste ihrer Ärzte sowie ein fachärztliches Gutachten vor. Danach sei die Erstvorstellung im Oktober 2009 erfolgt und als Diagnose "schmerzhaftes Lipödem der Beine Stad. II" bestätigt worden. Als operative Behandlungsmaßnahme sei die Liposuktion angezeigt. Mit den neuen Möglichkeiten technisierter, lymphbahnschonender Fettabsaugungen bestehe eine definitive Heilungsoption. Die überwiegende Anzahl der Patientinnen werde durch die Behandlung von sämtlichen Symptomen langjährig befreit. Demgegenüber verfügten die konservativen Behandlungsmethoden nicht über diese Möglichkeiten. Durch eine operative Behandlung müssten sich Patientinnen nicht mehr auf lediglich symptomatisch lindernde lebenslang durchzuführende Behandlungen verweisen lassen.

Die Klägerin machte die Aufwendungen für die operative Beseitigung der Lipödeme als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend. Das Finanzamt berücksichtigte die Aufwendungen demgegenüber im Einkommensteuerbescheid 2010 nicht als außergewöhnliche Belastungen.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision der Kläger hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das FG ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, bei der Liposuktion handele es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Methode zur Behandlung eines Lipödems. Demnach hat es das Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen zu Recht verneint, weil die Klägerin kein vor der Behandlung erstelltes amtsärztliches Gutachten vorgelegt hat, aus dem sich die Zwangsläufigkeit der Maßnahme ergibt.

Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, etwa Aufwendungen für einen Rollstuhl.

Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach Bedarf. Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGV V) hat der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist auch im Streitjahr bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden - z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen oder Sauerstoff- und Eigenbluttherapie - erforderlich.

Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute" die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung.

Um zu beurteilen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. Will das FG von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, muss es die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen. Vorliegend ist das FG nach alldem ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, die von der Klägerin durchgeführte Liposuktion sei keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode. Zwar werde durch eine Liposuktion das Fettgewebe reduziert. Es sei aber wissenschaftlich nicht hinreichend bewiesen, dass damit auch eine nachhaltige Reduktion der Lipödembeschwerden einhergehe.

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