02.11.2023

Aussetzungsverfahren: Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit von Säumniszuschlägen

1. Bei summarischer Prüfung bestehen nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs vom 23.8.2022 - VII R 21/21 (BStBl II 2023, 304) und vom 15.11.2022 - VII R 55/20 (BStBl II 2023, 621) keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge, auch soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind.
2. Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich auch nicht aus den unionsrechtlichen Grundsätzen des Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzips.

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 16.10.2023 - V B 49/22 (AdV)

FGO § 69
AO § 227, § 240


Streitig war die Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge. Der V. Senat des BFH hat nun im Aussetzungsverfahren entschieden, dass im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der insgesamt verwirkten Säumniszuschläge bestanden. Er verweist hierzu auf zwei Entscheidungen des VII. Senats in Hauptsacheverfahren, mit denen verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO verneint wurden (BFH-Urteile vom 23.8.2022 - VII R 21/21, BStBl II 2023, 304 u. v. 15.11.2022 - VII R 55/20, BStBl II 2023, 621).

Der VII. Senat des BFH begründet dies insbesondere damit, dass die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck sei, und sich beim Säumniszuschlag kein konkreter Anteil bestimmen lasse, der als Zins behandelt werden könne. Ein derartiger Anteil ergebe sich auch nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH, die im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit dem Druckmittelcharakter der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 % zugemessen habe. Aus einer Aufteilung des Säumniszuschlags im Rahmen der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme könne nicht generell ein fester Zinsanteil hergeleitet werden. Aus dieser Rechtsprechung folge auch nicht, dass der Säumniszuschlag anteilig als Zins anzusehen sei. Vielmehr wurde in dem Fall, in dem auf Antrag eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wäre, ein Teilerlass als ermessensgerecht angesehen, da dadurch der Nebenzweck der Gegenleistung berücksichtigt werde. Dabei seien als Maßstab für den Teilerlass die Stundungs- oder Aussetzungszinsen herangezogen worden, um eine Gleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten dergestalt sicherzustellen, dass der säumige Schuldner jedenfalls in der Höhe durch Säumniszuschläge belastet bleibe, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären. Der hälftige Erlass beruhe somit nicht auf der Annahme, der Zinscharakter der Säumniszuschläge sei mit einem bestimmbaren Anteil in einer konkreten Höhe anzusetzen. Lasse sich § 240 AO ein fester und typisierender Zinssatz nicht entnehmen und komme der Norm für die nicht rechtzeitige Leistung der geschuldeten Steuern lediglich als Nebenzweck auch eine Zinsfunktion zu, fehle es jedenfalls an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könne. Somit scheide eine anteilige Behandlung des Säumniszuschlags als Zins aus.

Auf dieser Grundlage könne sich eine Verfassungswidrigkeit nur aus der Höhe von einem Prozent für jeden angefangenen Monat der Säumnis ergeben. Diese Höhe sei allerdings bereits zur Erzwingung der rechtzeitigen Zahlung der fälligen Steuer und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich unbedenklich. Unbilligen Härten im Einzelfall könne durch einen (Teil-)Erlass nach § 227 AO begegnet werden.

Der V. Senat des BFH teilt diese Auffassung auch bei Säumniszuschlägen für Entstehungszeiträume nach dem 31.12.2018. Denn die vorstehende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit durch den VII. Senat des BFH beansprucht Gültigkeit auch für diese Entstehungszeiträume. Im Hinblick hierauf hält der V. Senat an seiner bisherigen Beurteilung in dem Beschluss v. 23.5.2022 - V B 4/22 (AdV) nicht mehr fest.

AdV kommt im summarischen Verfahren auch nicht im Hinblick auf unionsrechtliche Zweifel in Betracht. Denn Verstöße gegen das Äquivalenz-, Effizienz- und Neutralitätsprinzip sind nicht ersichtlich und ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip scheidet jedenfalls unter Berücksichtigung von § 227 AO aus.
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück