Behandlung von Pflegegeldern für die intensivpädagogische Betreuung von Jugendlichen in einer Einrichtung i.S. des § 34 SGB VIII
Kurzbesprechung
BFH v. 30. 11. 2022 - VIII R 13/19
EStG § 3 Nr. 11 S 1, § 8 Abs 1, § 18 Abs 1 Nr. 1 S 2
SGB 8 § 33, § 34, § 35, § 78a, § 78b, § 78c
Streitig war, ob Pflegegelder für die intensivpädagogische Betreuung mehrerer Jugendlicher durch die Steuerpflichtige steuerfreie Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung gemäß § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind.
Gemäß § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln steuerfrei, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern. Ersetzen die Pflegegeldzahlungen den sachlichen und zeitlichen Aufwand der Pflegeeltern nicht und ist dies auch nicht beabsichtigt, sind sie als steuerfreie Beihilfe i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG anzusehen.
Am Charakter einer Beihilfe i.S. des § 3 Nr. 11 EStG fehlt es hingegen, wenn die Pflegegelder für Erziehungsleistungen gezahlt werden, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden. Pflegegelder, die an die Betreiber von Einrichtungen und sonstiger Formen betreuten Wohnens i.S. des § 34 SGB VIII gezahlt werden, sind keine steuerfreien Beihilfen, weil typisierend davon auszugehen ist, dass sie die Sachkosten in angemessenem Umfang ersetzen und die Erziehungsleistungen vergüten.
Eine steuerfreie Beihilfe kann hingegen vorliegen, wenn ein einzelner Jugendlicher in den Haushalt der Betreuungsperson zeitlich unbefristet aufgenommen und dort intensivpädagogisch i.S. des § 35 SGB VIII betreut wird. In diesem Fall entspricht das Pflegeverhältnis seinem Inhalt und der Durchführung nach ‑ unabhängig von der sozialrechtlichen Qualifikation des Betreuungsverhältnisses als intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung i.S. des § 35 SGB VIII ‑ der Betreuung des Jugendlichen im Rahmen einer nicht erwerbsmäßigen Vollzeitpflege i.S. des § 33 SGB VIII.
Werden mehrere Jugendliche zeitlich unbefristet in den Haushalt der Betreuungsperson aufgenommen und dort intensivpädagogisch i.S. des § 35 SGB VIII betreut, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob die Anzahl der durch die Pflegeperson betreuten Kinder bzw. Jugendlichen oder andere Umstände für eine erwerbsmäßige Betreuung und den Vergütungscharakter der gezahlten Pflegegelder sprechen.
Die von der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII angewandte Vermutungsregel, dass eine erwerbsmäßige Betreuung nicht vorliegt, wenn nicht mehr als sechs Kinder gleichzeitig in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen und betreut werden, greift in den Fällen der intensivpädagogischen Betreuung mehrerer Jugendlicher, die unbefristet in den Haushalt der Betreuungsperson aufgenommen werden, daher nicht.
Im Streitfall hatte das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Pflegesatzzahlungen an die Steuerpflichtige keine steuerfreien Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind. Die Würdigung des FG, die Jugendlichen seien von der Steuerpflichtigen im Rahmen einer Heimunterbringung oder anderen Form des sonstigen betreuten Wohnens gemäß § 34 i.V.m. § 35 SGB VIII erwerbsmäßig betreut worden, war nicht zu beanstanden.
Zwar sind Privathaushalte der Erzieher, in denen dem Jugendlichen ein Zimmer überlassen wird, keine Einrichtungen i.S. des § 34 SGB VIII. In sog. Mischfällen kann jedoch trotz einer familienähnlichen Betreuung auch von der Betreuung der Kinder und Jugendlichen in einer Einrichtung i.S. des § 34 SGB VIII auszugehen sein. Ein solcher Mischfall lag angesichts der räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen im Streitfall vor.
Umstände, die für eine stationäre Betreuung der Jugendlichen in einer Einrichtung (Kleinstheim) oder in einer Form des sonstigen betreuten Wohnens i.S. des § 34 SGB VIII sprechen (abgetrennte Wohnbereiche, Gemeinschafträume und der Einsatz von Personal), sind neben weiteren Umständen (der Zuweisung der Jugendlichen zur persönlichen Betreuung durch die Steuerpflichtige und ihrer Unterbringung bei der Steuerpflichtigen) vorhanden, die für eine Betreuung der Jugendlichen wie in einer Vollzeitpflegestelle gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII sprechen. Schon die Betreuung und Unterbringung der Jugendlichen in einer Einrichtung spricht nach der typisierenden Betrachtung der Rechtsprechung unabhängig von der Betreuungsintensität für den Entgeltcharakter der gezahlten Pflegegelder. Zudem waren aufgrund der Anzahl der betreuten Jugendlichen und der weiteren Rahmenbedingungen der Betreuung im Streitfall Umstände vorhanden, die selbst bei Annahme einer intensivpädagogischen Betreuung unter Aufnahme der Jugendlichen in den Haushalt der Steuerpflichtigen auf eine erwerbsmäßige Betreuung schließen lassen. Das FG hatte den Vergütungscharakter der gezahlten Pflegegelder darüber hinaus in nicht zu beanstandender Weise daraus abgeleitet, die Bezugnahme auf die Regelungen in "§§ 34, 35 SGB VIII" und auf die Regelung des § 78f SGB VIII in den zugrunde liegenden Betreuungsverträgen zeigt, dass der Steuerpflichtigen leistungsgerechte Pflegegelder nach den sog. landesrechtlichen Rahmenverträgen i.V.m. §§ 78f, 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gezahlt wurden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 3 Nr. 11 S 1, § 8 Abs 1, § 18 Abs 1 Nr. 1 S 2
SGB 8 § 33, § 34, § 35, § 78a, § 78b, § 78c
Streitig war, ob Pflegegelder für die intensivpädagogische Betreuung mehrerer Jugendlicher durch die Steuerpflichtige steuerfreie Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung gemäß § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind.
Gemäß § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln steuerfrei, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern. Ersetzen die Pflegegeldzahlungen den sachlichen und zeitlichen Aufwand der Pflegeeltern nicht und ist dies auch nicht beabsichtigt, sind sie als steuerfreie Beihilfe i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG anzusehen.
Am Charakter einer Beihilfe i.S. des § 3 Nr. 11 EStG fehlt es hingegen, wenn die Pflegegelder für Erziehungsleistungen gezahlt werden, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden. Pflegegelder, die an die Betreiber von Einrichtungen und sonstiger Formen betreuten Wohnens i.S. des § 34 SGB VIII gezahlt werden, sind keine steuerfreien Beihilfen, weil typisierend davon auszugehen ist, dass sie die Sachkosten in angemessenem Umfang ersetzen und die Erziehungsleistungen vergüten.
Eine steuerfreie Beihilfe kann hingegen vorliegen, wenn ein einzelner Jugendlicher in den Haushalt der Betreuungsperson zeitlich unbefristet aufgenommen und dort intensivpädagogisch i.S. des § 35 SGB VIII betreut wird. In diesem Fall entspricht das Pflegeverhältnis seinem Inhalt und der Durchführung nach ‑ unabhängig von der sozialrechtlichen Qualifikation des Betreuungsverhältnisses als intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung i.S. des § 35 SGB VIII ‑ der Betreuung des Jugendlichen im Rahmen einer nicht erwerbsmäßigen Vollzeitpflege i.S. des § 33 SGB VIII.
Werden mehrere Jugendliche zeitlich unbefristet in den Haushalt der Betreuungsperson aufgenommen und dort intensivpädagogisch i.S. des § 35 SGB VIII betreut, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob die Anzahl der durch die Pflegeperson betreuten Kinder bzw. Jugendlichen oder andere Umstände für eine erwerbsmäßige Betreuung und den Vergütungscharakter der gezahlten Pflegegelder sprechen.
Die von der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII angewandte Vermutungsregel, dass eine erwerbsmäßige Betreuung nicht vorliegt, wenn nicht mehr als sechs Kinder gleichzeitig in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen und betreut werden, greift in den Fällen der intensivpädagogischen Betreuung mehrerer Jugendlicher, die unbefristet in den Haushalt der Betreuungsperson aufgenommen werden, daher nicht.
Im Streitfall hatte das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Pflegesatzzahlungen an die Steuerpflichtige keine steuerfreien Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind. Die Würdigung des FG, die Jugendlichen seien von der Steuerpflichtigen im Rahmen einer Heimunterbringung oder anderen Form des sonstigen betreuten Wohnens gemäß § 34 i.V.m. § 35 SGB VIII erwerbsmäßig betreut worden, war nicht zu beanstanden.
Zwar sind Privathaushalte der Erzieher, in denen dem Jugendlichen ein Zimmer überlassen wird, keine Einrichtungen i.S. des § 34 SGB VIII. In sog. Mischfällen kann jedoch trotz einer familienähnlichen Betreuung auch von der Betreuung der Kinder und Jugendlichen in einer Einrichtung i.S. des § 34 SGB VIII auszugehen sein. Ein solcher Mischfall lag angesichts der räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen im Streitfall vor.
Umstände, die für eine stationäre Betreuung der Jugendlichen in einer Einrichtung (Kleinstheim) oder in einer Form des sonstigen betreuten Wohnens i.S. des § 34 SGB VIII sprechen (abgetrennte Wohnbereiche, Gemeinschafträume und der Einsatz von Personal), sind neben weiteren Umständen (der Zuweisung der Jugendlichen zur persönlichen Betreuung durch die Steuerpflichtige und ihrer Unterbringung bei der Steuerpflichtigen) vorhanden, die für eine Betreuung der Jugendlichen wie in einer Vollzeitpflegestelle gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII sprechen. Schon die Betreuung und Unterbringung der Jugendlichen in einer Einrichtung spricht nach der typisierenden Betrachtung der Rechtsprechung unabhängig von der Betreuungsintensität für den Entgeltcharakter der gezahlten Pflegegelder. Zudem waren aufgrund der Anzahl der betreuten Jugendlichen und der weiteren Rahmenbedingungen der Betreuung im Streitfall Umstände vorhanden, die selbst bei Annahme einer intensivpädagogischen Betreuung unter Aufnahme der Jugendlichen in den Haushalt der Steuerpflichtigen auf eine erwerbsmäßige Betreuung schließen lassen. Das FG hatte den Vergütungscharakter der gezahlten Pflegegelder darüber hinaus in nicht zu beanstandender Weise daraus abgeleitet, die Bezugnahme auf die Regelungen in "§§ 34, 35 SGB VIII" und auf die Regelung des § 78f SGB VIII in den zugrunde liegenden Betreuungsverträgen zeigt, dass der Steuerpflichtigen leistungsgerechte Pflegegelder nach den sog. landesrechtlichen Rahmenverträgen i.V.m. §§ 78f, 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gezahlt wurden.