09.04.2018

Behörden müssen nicht zuerst vom Haftungstatbestand des § 20 Abs.3 ErbStG Gebrauch machen

Die Haftungsvorschrift des § 20 Abs. 3 ErbStG kann mithin nicht den Sinn haben, die Finanzbehörde mit unter Umständen schwierigen Ermittlungen und Prüfungen hinsichtlich der Frage zu belasten, ob eine Steuerforderung anstatt bei dem Steuerschuldner bei den Miterben als Haftungsschuldnern realisiert werden kann. Daher ist eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat.

FG Düsseldorf 21.2.2018, 4 K 1144/17 AO
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Tochter der 2015 verstorbenen Erblasserin. Sie erbte neben ihrem Bruder zu einem Anteil von ½. Zum Nachlass gehörten neben Grundbesitz Geschäftsanteile an der C.-GmbH. Darüber hinaus verfügte die Erblasserin an ihrem Todestag über Wertpapiere, die in Depots bei der D-Bank AG sowie der E-Bank AG verwahrt wurden und einen Kurswert von jeweils etwa 3 Mio. € jeweils zuzüglich Zinsen hatten. Ferner war die Erblasserin Inhaberin von Konten bei der D-Bank AG mit einem Guthaben von etwa 7 Mio. €, bei der F-Bank AG mit einem Guthaben von etwa 79.000 € und bei der E-Bank AG mit einem Guthaben von insgesamt etwa 4 Mio. €.

Das beklagte Finanzamt setzte am 29.7.2016 gegen die Klägerin rund 23,6 Mio. € Erbschaftsteuer fest, die bis zum 11.8.2016 zu entrichten war. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Das beklagte Finanzamt setzte die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids i.H.v. 18 Mio. € aus, so dass noch 5.6 Mio. € zu entrichten waren. Daraufhin beantragte die Klägerin die Forderungen aus dem auf den Namen der Erblasserin bei der D-Bank AG geführten Konto zu pfänden. Ihr Bruder lehne eine Auseinandersetzung des Nachlasses oder von Teilen des Nachlasses ab. Sie selbst sei derzeit nicht in der Lage, die zu entrichtende Erbschaftsteuer aus eigenen Mitteln zu zahlen. Sie sei zwar auch Gesellschafterin der C.-GmbH. Nach deren Gesellschaftsvertrag habe ein Gesellschafter jedoch aus der Gesellschaft auszuscheiden, wenn sein Geschäftsanteil gepfändet werde und die Pfändung länger als zwei Monate andauere.

Das Finanzamt pfändete mit vier Verfügungen aus Dezember 2016 die Forderungen der Klägerin aus ihren Geschäftsbeziehungen mit der D-Bank AG, der E- Bank AG, der M-Bank AG sowie der Sparkasse und ordnete die Einziehung der gepfändeten Forderungen an. Die Drittschuldner zahlten daraufhin insgesamt 133.510 €. Im April 2017 wurden von auf den Namen der Erblasserin lautenden Konten bei der D-Bank AG und der E- Bank AG insgesamt 5,6 Mio. € an das Finanzamt gezahlt. Dieses hob daraufhin die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aus Dezember 2016 auf.

Die Klägerin war der Ansicht, eine Klage sei nach Aufhebung der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Da das Finanzamt mehr als die bislang entrichtete Erbschaftsteuer gegen sie festgesetzt habe, drohten ihr bei einem späteren Widerruf der gewährten Aussetzung der Vollziehung erneut Pfändungs- und Einziehungsverfügungen. Die insgesamt gegen sie festgesetzte Erbschaftsteuer werde sie aus ihrem Privatvermögen nicht entrichten können. Das FG wies die Klage ab. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aus Dezember 2016 waren rechtmäßig.

Rechtsgrundlagen waren die §§ 249 Abs. 1 S. 1, 309 Abs. 1 S. 1 u. 314 Abs. 1 S. 1 AO. Nach § 249 Abs. 1 S. 1 AO können die Finanzbehörden Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken. Ihnen steht hiernach Ermessen zu, die gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 281 ff. AO) gegen den Vollstreckungsschuldner durchzuführen. Dieses Ermessen war im vorliegenden Fall nicht durch die Haftung des Nachlasses für die an dem Erbfall Beteiligten gem. § 20 Abs. 3 ErbStG eingeschränkt.

Der Finanzbehörde soll im öffentlichen Interesse die gebotene Einziehung von Steuerforderungen auch dann ermöglicht werden, wenn ein Miterbe als Steuerschuldner zahlungsunfähig ist oder bei ihm die Forderung aus sonstigen Gründen nicht oder nicht ohne weiteres zu realisieren ist. Die Haftungsvorschrift des § 20 Abs. 3 ErbStG kann mithin nicht den Sinn haben, die Finanzbehörde mit unter Umständen schwierigen Ermittlungen und Prüfungen hinsichtlich der Frage zu belasten, ob eine Steuerforderung anstatt bei dem Steuerschuldner bei den Miterben als Haftungsschuldnern realisiert werden kann.

Daher ist eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat (vgl. BFH-Beschl. v. 8.7.2004, Az. VII B 257/03). Jedenfalls lässt sich aus der Systematik des Steuerschuld- und Haftungsrechts kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung dahingehend herleiten, dass anstatt des in erster Linie verantwortlichen Steuerschuldners ein Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist. Somit konnte sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das beklagte Finanzamt verpflichtet war, anstatt die zu entrichtende Erbschaftsteuer im Wege der Vollstreckung ihr gegenüber geltend zu machen zunächst von dem Haftungstatbestand des § 20 Abs. 3 ErbStG hätte Gebrauch machen müssen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann zwar in Einzelfällen zu einer hiervon abweichenden Beurteilung führen. Denn eine Vollstreckungsmaßnahme darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss für ihn mithin zumutbar sein (BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982, 1 BvL 34/80 u. 1 BvL 55/80). Die Klägerin hatte bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung jedoch nicht dargelegt, dass die vom Finanzamt gegen sie ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen sie übermäßig belastet hätten.

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