15.06.2023

Besteuerung von Vermögensübertragungen aus der Auflösung US-amerikanischer Trusts teilweise wegen Rückwirkung verfassungswidrig

Vermögenübertragungen nach Auflösung US-amerikanischer Trusts stellen Kapitaleinkünfte dar. Es dürfen aber nur solche Wertsteigerungen erfasst werden, die nach der Verkündung des JStG 2010 am 8.12.2010 entstanden sind.

FG Münster v. 23.3.2023 - 1 K 2478/21 E
Der Sachverhalt:
Die aus den USA stammende Klägerin lebt mit ihrem Ehemann, dem Kläger, seit vielen Jahren in Deutschland. Im Jahr 1984 begründeten ihr Vater und ihr Großvater als sog. "grantors" Trusts, in die sie Vermögenswerte - insbesondere Wertpapiere - einbrachten. Nach den Gründungsurkunden hatten die Gründer keine Zugriffsmöglichkeiten mehr auf das Vermögen und die Trusts waren unwiderruflich (sog. "irrevocable trusts"). Die Laufzeit beider Trusts war bis zum Tod des Vaters begrenzt. Während dieser Zeit wurde das Vermögen von sog. "trustees" verwaltet und dem Vater standen die laufenden Erträge zu. Nach dessen Tod sollte das Vermögen der Trusts gleichmäßig zwischen der Klägerin und ihren Geschwistern (sog. "beneficiaries") aufgeteilt werden. Hierzu kam es im Streitjahr 2016.

Das Finanzamt behandelte die Vermögenszuflüsse aus beiden Trusts abzgl. des von den Gründern eingebrachten Anfangsvermögens als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Hiergegen wandten die Kläger ein, dass bereits der Tatbestand dieser Vorschrift nicht erfüllt sei, weil die Trusts nicht mit inländischen Körperschaften und die Vermögensverteilung nach Auflösung nicht mit Gewinnausschüttungen vergleichbar seien. Darüber hinaus liege eine unzulässige Doppelbesteuerung mit Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer vor. Schließlich stelle die Einbeziehung ausländischer Gebilde durch das JStG 2010 in Bezug auf vor dessen Verkündung eingetretene Wertsteigerungen eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar.

Das FG gab der Klage teilweise statt. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Der gesetzlichen Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist erfüllt. Wegen der Ausgestaltung der beiden Trusts als "irrevocable trusts" ist ein Typenvergleich zu inländischen Körperschaften zu bejahen, da weder die Gründer noch die Begünstigten während der Laufzeit Zugriff auf das Trust-Vermögen hatten. Die von der Klägerin erhaltenen Bezüge sind zwar nicht mit Gewinnausschüttungen vergleichbar, jedoch mit der Verteilung des Liquidationsendvermögens nach Auflösung einer Körperschaft. Vor diesem Hintergrund ist es nicht schädlich, dass die Begünstigten auf die Höhe und den Zeitpunkt der Vermögenszuflüsse keinen Einfluss nehmen konnten.

Eine unzulässige Doppelbesteuerung liegt nicht vor. Die gesetzlichen Tatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG schließen sich nicht gegenseitig aus. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BFH. Tatsächlich liegt hier auch keine Übermaßbesteuerung vor, da das für Erbschaft- und Schenkungsteuer zuständige Finanzamt die Vermögenszuflüsse aus dem Trust des Vaters freigestellt und bei dem Trust des Großvaters einen hohen persönlichen Freibetrag von 400.000 € berücksichtigt hat.

Allerdings liegt eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung in Bezug auf solche Wertsteigerungen vor, die bis zum 8.12.2010 entstanden waren. An diesem Tag wurde das JStG 2010 verkündet, mit dem mit inländischen Körperschaften vergleichbare ausländische Gebilde erstmals in den Tatbestand einbezogen worden waren. Bis dahin erfasste das Gesetz nur Bezüge von inländischen Körperschaften. Die Rechtsprechung des BVerfG, das in der Verlängerung der Spekulationsfrist für private Grundstücke in § 23 EStG und in der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG eine unzulässige unechte Rückwirkung gesehen hat,  ist insofern auf den Streitfall übertragbar. Dabei ist davon auszugehen, dass der Klägerin bereits eine hinreichend verfestigte Vermögensposition zustand. Dem steht nicht entgegen, dass sie zivilrechtlich noch nicht Inhaberin eines Gesellschaftsanteils war, da das Gesetz sie wirtschaftlich wie eine Gesellschafterin behandelt hat. Die Rückwirkung ist auch nicht gerechtfertigt. Hierfür reicht insbesondere die Schließung von Besteuerunglücken nicht aus.

Von einer Vorlage an das BVerfG war abzusehen. Stattdessen nahm das FG eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend vor, dass lediglich die ab dem 8.12.2010 zu verzeichnenden Wertsteigerungen als Kapitalerträge erfasst wurden. Dies führte im Ergebnis zu einer in etwa hälftigen Klagestattgabe.

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Rechtsprechung:
Verfahrensrechtliche Wirkung des § 50d Abs. 1 Satz 11 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG
FG Köln vom 16.11.2022 - 2 K 750/19
Matthias Korff / Gary Rüsch, ISR 2023, 164
ISR0055276

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FG Münster NL vom 15.6.2023
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