17.08.2023

Betriebsstätte/feste Einrichtung im Dienstleistungsbereich

1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Annahme einer Betriebsstätte gemäß § 12 Satz 1 der Abgabenordnung eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Es geht darum, dass die eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird ("Verwurzelung" des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit).
2. Diesen Anforderungen, die auch für den abkommensrechtlichen Begriff der Betriebsstätte/festen Einrichtung (hier: DBA-Großbritannien 1964/1970 und 2010) prägend sind, wird entsprochen, wenn dem Dienstleistenden (hier: Flugzeugmechaniker/-ingenieur) im Zusammenhang mit der Erbringung der Dienstleistung (hier: Wartungsarbeiten an Flugzeugen) personenbeschränkte Nutzungsstrukturen an ortsbezogenen Geschäftseinrichtungen (hier: Spind und Schließfach in Gemeinschaftsräumen auf dem Flughafengelände) zur Verfügung gestellt werden.

Kurzbesprechung
BFH v. 7.6.2023 - I R 47/20

AO § 12 S 1
DBA GBR 1964 Art 2 Abs 1 Buchst I, Art 3 Abs 1 Buchst f, Art 3 Abs 1 Buchst g, Art 5, Art 7 Abs 1, Art 11 Abs 1 S 1
EStG § 1 Abs 1, § 1 Abs 1
FGO § 96 Abs 1, § 118 Abs 2,


Streitig war, ob einer inländischen Steuerpflicht mit Blick auf eine inländische feste Einrichtung beziehungsweise Betriebsstätte und eine dortige Erzielung von Einkünften in den Jahren 2008 bis 2014 (Streitjahre) das Abkommensrecht entgegensteht. Der BFH entschied, dass die Besteuerung in Deutschland nicht durch Maßgaben des in den Streitjahren jeweils geltenden DBA Großbritannien gehindert ist. Denn nach Art. XI Abs. 1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 werden Einkünfte, die eine in einem der Gebiete ansässige Person aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Tätigkeit ähnlicher Art bezieht, nur in diesem Gebiet besteuert, es sei denn, dass die Person für die Ausübung ihrer Tätigkeit in dem anderen Gebiet regelmäßig über eine feste Einrichtung verfügt - in diesem Fall kann der Teil der Einkünfte, der dieser Einrichtung zuzurechnen ist, in dem anderen Gebiet besteuert werden (Art. XI Abs. 1 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/1970). Entsprechendes gilt mit Blick auf das Vorliegen einer Betriebsstätte für den Zeitraum, in dem die Einkünfte als gewerblich zu qualifizieren sind.

Der Steuerpflichtige fiel in den subjektiven Anwendungsbereich des jeweiligen DBA-Großbritannien, da er (neben seinem Wohnsitz in Deutschland) einen Wohnsitz in Großbritannien hatte, wo er abkommensrechtlich ansässig war.

Die Besteuerung in Deutschland war abkommensrechtlich nicht gehindert, da die vom Steuerpflichtigen erzielten Tätigkeitseinkünfte durch Nutzung einer ihm in Deutschland regelmäßig zur Verfügung stehenden festen Einrichtung beziehungsweise einer Betriebsstätte erzielt wurden.

Die Annahme einer Betriebsstätte setzt gemäß § 12 Satz 1 AO eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat .Es reichen weder eine tatsächliche Mitbenutzung noch die bloße Berechtigung der Nutzung im Interesse eines anderen sowie eine rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit aus. Allerdings muss die Verfügungsmacht keine alleinige sein. Darüber hinaus muss die Einrichtung oder Anlage der Tätigkeit unmittelbar dienen. Dazu muss dort eine eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt werden und sich in der Bindung eine gewisse "Verwurzelung" (im Sinne einer örtlichen Verfestigung) des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrücken.

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor. Eine Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen im Sinne einer Nutzungsmöglichkeit über die im Zusammenhang mit der Leistungserbringung unerlässlichen Räumlichkeiten (Hangar, Computerraum, Verwaltungs-/Aufenthalts- und Umkleideraum) hatte jedenfalls mittelbar als unabdingbare Voraussetzung seiner Tätigkeit bestanden; dass die Verfügungsmacht keine alleinige war und dass sie hätte entzogen werden können (auch durch Umstände des Hauptauftragsverhältnisses veranlasst, auf die der Steuerpflichtige keinen Einfluss hatte), beeinträchtigt seine Position für die Dauer der noch nicht aufgekündigten Vereinbarung (auch wenn nur das Betreten zur Leistungserbringung gestattet sein sollte) ebenso wenig wie eine (fremde) Sicherheitskontrolle beim Betreten des Geländes.

Darüber hinaus fehlte es im Streitfall auch nicht an der durch die Überlassung personenbeschränkter Nutzungsstrukturen bei Geschäftseinrichtungen vermittelten ortsbezogenen "Verwurzelung" des Unternehmens des Steuerpflichtigen mit dieser Örtlichkeit.

Der BFH hob hervor, dass es für die Entscheidung des Streitfalls nicht darauf ankommt, ob die "Verwurzelung" im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung nur durch Komponenten vermittelt wird, die einen unmittelbaren Leistungsbezug aufweisen. Im Rahmen einer solchen Gesamtwürdigung war im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass im Streitfall zumindest die Möglichkeit bestanden hatte, die persönliche Werkzeugkiste im Hangar zu deponieren.

Diesem Ergebnis stehen auch die Anforderungen des DBA-Begriffs der Betriebsstätte nicht entgegen. Denn es lagen im Streitfall keine als Rückausnahme anzusehenden Funktionen untergeordneter Art vor, da die Gesamtsituation der (Mit-)Verfügungsmacht und der "Verwurzelung" an diesem Ort der Leistungserbringung der unmittelbaren unternehmerischen Tätigkeitsausübung des Steuerpflichtigen ("Haupttätigkeit") entsprach.
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück