BVerfG soll Verfassungsmäßigkeit der Bremer Wettbürosteuer prüfen
FG Bremen v. 19.6.2019 - 2 K 37/19 (1)
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Franchisenehmerin und betreibt mehrere Wettvermittlungsstellen in Bremen, in denen sie für einen im EU-Ausland lizensierten Wettveranstalter Sportwetten als sog. Prematchwetten (Wetten vor Spielbeginn) und sog. Livewetten (Wetten nach Spielbeginn) vermittelt. Kunden können an den Wettautomaten Wetten tätigen, ihre individuellen Wettscheine einsehen und auswerten und das Ergebnis ihres Wettscheins abfragen, außerdem Kundendaten und Wetthistorie sowie das Wettprogramm einsehen.
Bilder von Sportereignissen werden nicht auf die Wettautomaten übertragen. Sportübertragungen laufen vielmehr über den TV-Anbieter Sky Deutschland. Besucher der Wettvermittlungsstellen der Klägerin können die Bildschirme unabhängig davon betrachten, ob sie Wetteinsätze tätigen. Für den Besuch der Wettvermittlungsstellen der Klägerin wird kein Eintrittsgeld erhoben. In den Wettvermittlungsstellen befinden sich jeweils Tische mit Sitzgelegenheiten sowie Getränke-, Snack- und Zigarettenautomaten.
Im Juni 2017 forderte das Finanzamt die Klägerin auf, die in ihren Wettbüros betriebenen Bildschirme künftig monatlich zur Wettbürosteuer anzumelden und die Wettbürosteuer zu entrichten. Die Klägerin teilte der Behörde mit, dass sie schon nicht den Steuertatbestand erfülle. Denn sie betreibe keine Wettbüros i.S.d. § 9 Abs. 1 VergnStG BR. Nach dieser Vorschrift seien Wettbüros solche Wettvermittlungsstellen, die neben der Annahme von Wetten auch das Mitverfolgen der Wettergebnisse an Bildschirmen ermöglichten, was bei ihr allerdings nicht der Fall sei. Das Finanzamt entgegnete, dass ein Bildschirm nach § 11 Abs. 1 VergnStG BR jede feste oder mobile elektrische Anzeige sei, die ermögliche, Wettveranstaltungen oder Wettergebnisse zu verfolgen.
Das FG hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Sache mit der Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob § 11 Abs. 2 des Bremischen Vergnügungssteuergesetzes vom 14.12.1990 in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Wettbürosteuer vom 14.3.2017 mit dem GG unvereinbar und deshalb ungültig ist.
Die Gründe:
Der Senat ist davon überzeugt, dass § 11 Abs. 2 VergnStG BR mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Die Heranziehung der Zahl der Bildschirme als Bemessungsgrundlage für die besondere Vergnügungssteuer auf Wettbüros (Wettbürosteuer) verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab kann nicht deswegen angewendet werden, weil es an einem anderen tauglichen Maßstab für den Aufwand des Wettkunden durch den Einsatz von privaten Mitteln für den Abschluss von Wetten und das Mitverfolgen der Wettergebnisse an Bildschirmen fehlte. Die Verfassungswidrigkeit dieses Maßstabs entfällt nicht dadurch, dass sich andere in der Praxis verwendete Maßstäbe, wie etwa der Flächenmaßstab (dazu BVerwG, Urt. v. 29.6.2017, 9 C 7/16), ebenfalls als mit höherrangigem Recht nicht vereinbar erwiesen haben. Es ist vielmehr Sache der normgebenden Körperschaft, der Besteuerung einen Maßstab zugrunde zu legen, der den erforderlichen Wirklichkeitsbezug aufweist.
Die durch die Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab erzwungene Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte lässt sich auch nicht durch Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität rechtfertigen. Denn bei einer Besteuerung anhand des Wetteinsatzes müsste dieser der steuererhebenden Körperschaft zwar bekannt sein. Die Ermittlung des Wetteinsatzes ist jedoch keine zeitaufwändige und schwierige Aufgabe. Etwaige Praktikabilitätsvorteile, welche die Verwendung der Zahl der Bildschirme anstelle des Wetteinsatzes als Steuermaßstab unter dem Gesichtspunkt verminderter Manipulationsmöglichkeiten und eines verminderten Kontrollaufwands für die steuererhebende Körperschaft erbrächte, können die Beeinträchtigungen des Grundsatzes der gleichen Lastenzuteilung nicht rechtfertigen.
Die Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab kann vor Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht im Hinblick darauf Bestand haben, dass mit der Erhebung der Wettbürosteuer zulässigerweise Lenkungsziele, namentlich in Gestalt des Spielerschutzes und der Eindämmung der Spielsucht bei Wetten, insbesondere Livewetten, verfolgt werden können. Ein derartiger Lenkungszweck rechtfertigt es nicht, Ungleichbehandlungen durch die Verwendung der Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab hinzunehmen. Diesem Maßstab fehlt der erforderliche Bezug zu dem Vergnügungsaufwand der Wettkunden unabhängig davon, ob mit der Steuererhebung Lenkungsziele verfolgt werden oder nicht.
Letztlich ist auch nicht ersichtlich, dass mit dem Wetteinsatz ein wirklichkeitsnäherer Maßstab deswegen nicht zur Verfügung stünde, weil dieser stärker am Aufwand der Wettkunden orientierte Maßstab mit dem Unionsrecht nicht vereinbar wäre. Der Einführung einer an den Wetteinsatz anknüpfenden Wettbürosteuer hätte nämlich dem Unionsrecht nicht entgegengestanden. Eine solche Wettbürosteuer hätte nicht gegen die Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -MwStSystRL- verstoßen.
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Die Klägerin ist Franchisenehmerin und betreibt mehrere Wettvermittlungsstellen in Bremen, in denen sie für einen im EU-Ausland lizensierten Wettveranstalter Sportwetten als sog. Prematchwetten (Wetten vor Spielbeginn) und sog. Livewetten (Wetten nach Spielbeginn) vermittelt. Kunden können an den Wettautomaten Wetten tätigen, ihre individuellen Wettscheine einsehen und auswerten und das Ergebnis ihres Wettscheins abfragen, außerdem Kundendaten und Wetthistorie sowie das Wettprogramm einsehen.
Bilder von Sportereignissen werden nicht auf die Wettautomaten übertragen. Sportübertragungen laufen vielmehr über den TV-Anbieter Sky Deutschland. Besucher der Wettvermittlungsstellen der Klägerin können die Bildschirme unabhängig davon betrachten, ob sie Wetteinsätze tätigen. Für den Besuch der Wettvermittlungsstellen der Klägerin wird kein Eintrittsgeld erhoben. In den Wettvermittlungsstellen befinden sich jeweils Tische mit Sitzgelegenheiten sowie Getränke-, Snack- und Zigarettenautomaten.
Im Juni 2017 forderte das Finanzamt die Klägerin auf, die in ihren Wettbüros betriebenen Bildschirme künftig monatlich zur Wettbürosteuer anzumelden und die Wettbürosteuer zu entrichten. Die Klägerin teilte der Behörde mit, dass sie schon nicht den Steuertatbestand erfülle. Denn sie betreibe keine Wettbüros i.S.d. § 9 Abs. 1 VergnStG BR. Nach dieser Vorschrift seien Wettbüros solche Wettvermittlungsstellen, die neben der Annahme von Wetten auch das Mitverfolgen der Wettergebnisse an Bildschirmen ermöglichten, was bei ihr allerdings nicht der Fall sei. Das Finanzamt entgegnete, dass ein Bildschirm nach § 11 Abs. 1 VergnStG BR jede feste oder mobile elektrische Anzeige sei, die ermögliche, Wettveranstaltungen oder Wettergebnisse zu verfolgen.
Das FG hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Sache mit der Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob § 11 Abs. 2 des Bremischen Vergnügungssteuergesetzes vom 14.12.1990 in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Wettbürosteuer vom 14.3.2017 mit dem GG unvereinbar und deshalb ungültig ist.
Die Gründe:
Der Senat ist davon überzeugt, dass § 11 Abs. 2 VergnStG BR mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Die Heranziehung der Zahl der Bildschirme als Bemessungsgrundlage für die besondere Vergnügungssteuer auf Wettbüros (Wettbürosteuer) verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab kann nicht deswegen angewendet werden, weil es an einem anderen tauglichen Maßstab für den Aufwand des Wettkunden durch den Einsatz von privaten Mitteln für den Abschluss von Wetten und das Mitverfolgen der Wettergebnisse an Bildschirmen fehlte. Die Verfassungswidrigkeit dieses Maßstabs entfällt nicht dadurch, dass sich andere in der Praxis verwendete Maßstäbe, wie etwa der Flächenmaßstab (dazu BVerwG, Urt. v. 29.6.2017, 9 C 7/16), ebenfalls als mit höherrangigem Recht nicht vereinbar erwiesen haben. Es ist vielmehr Sache der normgebenden Körperschaft, der Besteuerung einen Maßstab zugrunde zu legen, der den erforderlichen Wirklichkeitsbezug aufweist.
Die durch die Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab erzwungene Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte lässt sich auch nicht durch Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität rechtfertigen. Denn bei einer Besteuerung anhand des Wetteinsatzes müsste dieser der steuererhebenden Körperschaft zwar bekannt sein. Die Ermittlung des Wetteinsatzes ist jedoch keine zeitaufwändige und schwierige Aufgabe. Etwaige Praktikabilitätsvorteile, welche die Verwendung der Zahl der Bildschirme anstelle des Wetteinsatzes als Steuermaßstab unter dem Gesichtspunkt verminderter Manipulationsmöglichkeiten und eines verminderten Kontrollaufwands für die steuererhebende Körperschaft erbrächte, können die Beeinträchtigungen des Grundsatzes der gleichen Lastenzuteilung nicht rechtfertigen.
Die Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab kann vor Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht im Hinblick darauf Bestand haben, dass mit der Erhebung der Wettbürosteuer zulässigerweise Lenkungsziele, namentlich in Gestalt des Spielerschutzes und der Eindämmung der Spielsucht bei Wetten, insbesondere Livewetten, verfolgt werden können. Ein derartiger Lenkungszweck rechtfertigt es nicht, Ungleichbehandlungen durch die Verwendung der Zahl der Bildschirme als Steuermaßstab hinzunehmen. Diesem Maßstab fehlt der erforderliche Bezug zu dem Vergnügungsaufwand der Wettkunden unabhängig davon, ob mit der Steuererhebung Lenkungsziele verfolgt werden oder nicht.
Letztlich ist auch nicht ersichtlich, dass mit dem Wetteinsatz ein wirklichkeitsnäherer Maßstab deswegen nicht zur Verfügung stünde, weil dieser stärker am Aufwand der Wettkunden orientierte Maßstab mit dem Unionsrecht nicht vereinbar wäre. Der Einführung einer an den Wetteinsatz anknüpfenden Wettbürosteuer hätte nämlich dem Unionsrecht nicht entgegengestanden. Eine solche Wettbürosteuer hätte nicht gegen die Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -MwStSystRL- verstoßen.
Linkhinweis:
- Der Volltext des Urteils ist erhältlich auf der Internetseite des Finanzgerichts Bremen.
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