06.11.2014

BVerfG-Vorlage: Ausschluss des Werbungskostenabzugs für Berufsausbildungskosten ist verfassungswidrig

Der BFH hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob es mit dem GG vereinbar ist, dass nach § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Die rückwirkende Anwendung des Abzugsverbots auf das Jahr 2004 ist nicht verfassungswidrig.

BFH 17.7.2014, VI R 2/12
Der Sachverhalt:
In sechs der Streitfälle hatten Steuerpflichtige Ausbildungen zum Flugzeugführer auf eigene Kosten (rund 70.000 €) absolviert und waren danach als angestellte Berufspiloten für Fluggesellschaften tätig. In weiteren Fällen hatten die Steuerpflichtigen Berufsausbildungen an Universitäten oder Fachhochschulen absolviert und waren danach auf dieser Grundlage beruflich tätig. Alle Kläger hatten ihre Aufwendungen für die Berufsausbildung jeweils als vorweggenommene Werbungskosten geltend gemacht und die Feststellung entsprechend vortragsfähiger Verluste begehrt, um diese dann in den folgenden Jahren mit ihren aus der Berufstätigkeit erzielten Einkünften verrechnen zu können.

Das Finanzamt sah die Ausbildungskosten allerdings nicht als Werbungskosten an, da in allen Streitfällen § 9 Abs. 6 EStG dem entgegenstehe. Die Vorschrift wurde mit Gesetz vom 7.12.2011 rückwirkend ab 2004 eingeführt; seitdem sind Aufwendungen für die erste Berufsausbildung vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen.

Das FG wies die hiergegen gerichteten Klagen ab. Auf die Revisionen der Kläger setzte der BFH die Verfahren aus und legte dem BVerfG die Sache mit der Frage zur Vorabentscheidung vor, ob § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG insoweit mit dem GG vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.

Die Gründe:
Der Senat ist davon überzeugt, dass § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung des Grundsatzes der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit verfassungswidrig ist, weil die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine eigene Berufsausbildung einkommensteuerrechtlich unberücksichtigt bleiben, indem sie weder als Werbungskosten noch in anderer Weise die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise mindern.

Berufsausbildungskosten stellen schließlich auch keine beliebige Einkommensverwendung dar, sondern gehören zum zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand, der nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers steht. Diese Aufwendungen sind deshalb, jedenfalls unter dem Aspekt der Existenzsicherung einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen. Dem wird nicht entsprochen, wenn für solche Aufwendungen lediglich ein Sonderausgabenabzug i.H.v. 4.000 €/6.000 € in Betracht kommt. Denn der Sonderausgabenabzug bleibt bei Auszubildenden und Studenten nach seiner Grundkonzeption wirkungslos, weil gerade sie typischerweise in den Zeiträumen, in denen ihnen Berufsausbildungskosten entstehen, noch keine eigenen Einkünfte erzielen. Der Sonderausgabenabzug geht daher ins Leere. Er berechtigt - im Gegensatz zum Werbungskostenabzug - auch nicht zu Verlustfeststellungen, die mit späteren Einkünften verrechnet werden könnten.

Dem Revisionsvorbringen, dass die rückwirkende Anwendung des Abzugsverbots auf das Jahr 2004 verfassungswidrig sei, war nicht zu folgen. Insoweit ist die Rückwirkung nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG ausnahmsweise zulässig.

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BFH PM Nr. 73 vom 6.11.2014
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