17.03.2022

Cum-Ex-Geschäfte: Übergang des wirtschaftlichen Eigentums beim Handel mit Aktien

Der BFH hat vorliegend über sog. Cum-Ex-Aktiengeschäfte entschieden. Er erteilt einem "Geschäftskonzept" eine Absage, das Unsicherheiten bei der eindeutigen wirtschaftlichen Zuordnung von Aktien in der Weise "nutzen" wollte, dass eine einmal einbehaltene Abzugsteuer vom Fiskus möglicherweise zweifach oder sogar mehrfach angerechnet oder ausgezahlt wird.

BFH v. 2.2.2022 - I R 22/20
Der Sachverhalt:
Der im Streitfall klagende und nach dem zwischenstaatlichen Abkommensrecht (DBA-USA 1989/2008) von einer inländischen Abzugsteuer befreite US-amerikanische Pensionsfonds begehrte vorliegend Steuererstattung, da er kurz vor dem jeweiligen Dividendenstichtag Aktien deutscher Aktiengesellschaften als sog. Futures "cum (mit) Dividende" erworben hatte, die ihm nach den üblichen Börsenusancen zeitverzögert erst nach dem Stichtag "ex (ohne) Dividende" zivilrechtlich übereignet wurden (Gutschrift auf seinem inländischen Wertpapierdepot); zugleich erhielt er eine sog. Dividendenkompensationszahlung (in einem "Nettobetrag", also rechnerisch der Dividendenanspruch nach Abzug der bei einer Ausschüttung anfallenden Abzugsteuer).

Der im zeitlichen Zusammenhang mit den Geschäften errichtete und finanziell gering ausgestattete Pensionsfonds (eine Rechtsperson mit einem Begünstigten) war dabei Teil eines mit mehreren Parteien eng aufeinander abgestimmten Kaufs- und kurzfristigen Verkaufsgeschehens mit Aktien im finanziellen Umfang von mehreren Mrd. €, wobei das Risiko der Realisierung der Erstattungsforderung wiederum vollen Umfangs auf einen von einer Bank aufgelegten luxemburgischen Anlegerfonds gegen das Versprechen einer Kurzfrist-Rendite von über 15 % übertragen worden war. Der Kläger machte geltend, der Erstattungsanspruch beziehe sich auf den Abzugsteuereinbehalt bei der Ausschüttung (ein das zivilrechtliche Eigentum des Anteilsinhabers verdrängendes wirtschaftliches Eigentum vor dem Dividendenstichtag sei durch das Erwerbsgeschäft begründet worden) bzw. folge unmittelbar aus dem Bezug einer "Nettodividende".

Das FG wies die Klage ab; ob es sich beim Aktien-Erwerb um eine "Leerverkaufssituation" handelte (Erwerbsgeschäft mit einem "Noch-Nicht-Inhaber" als Verkäufer) oder ein Erwerb vom Aktieninhaber vorlag, konnte nach der entscheidungstragenden Begründung des Urteils unaufgeklärt bleiben. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung von Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag für das Streitjahr 2011 nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b DBA-USA 1989/2008 besteht nicht.

Ein US-amerikanischer Pensionsfonds hat nur dann einen Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag) gem. § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, wenn er nach Maßgabe nationalen Steuerrechts Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuer "einbehalten und abgeführt" worden ist. Gläubiger der Kapitalerträge ist dabei die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt (§ 20 Abs. 5 EStG); dies ist die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) nach § 39 Abs. 1 AO zivilrechtlich oder - wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat - nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind.

Wirtschaftliches Eigentum über die Anteile wird bei sog. Cum-Ex-Geschäften mit Aktien allerdings nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll, er vielmehr nur die Funktion hat, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als "passiver Teilnehmer" ("Transaktionsvehikel") im Geschäftsablauf anzusehen ist. Ob sich die maßgebenden Transaktionen "außerbörslich" (Erwerb von sog. Single Stock Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG) oder "börslich" (im Rahmen sog. Schlussauktionen) abgespielt haben, ist ohne Bedeutung.

Die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer einer Aktie kann nur einnehmen, wer den Aktieninhaber zugleich von den wesentlichen Rechten (Dividendenbezug, Stimmrecht) ausschließt ("Alternativität"). Diese Position gegenüber dem Aktieninhaber kann allein durch eine rechtlich gesicherte Erwerbsaussicht und einen (wirtschaftlichen) Dividendenbezug nicht vermittelt werden (auch wenn frühere BFH-Rechtsprechung in diesem Sinne verstanden wurde), ebenfalls nicht durch Teilnahme an einer "Gesamtvertragskonzeption", die geradezu ausschließt, dass diese Person die wesentlichen Rechte der Aktieninhaberschaft einnehmen und das finanzielle Risiko der Transaktionen tragen soll.

Hinweis:
Das Urteil des BFH berücksichtigt spätere gesetzliche Änderungen nicht, da diese im Streitjahr noch nicht galten. Der BGH hat für ähnlich gelagerte Strukturen (dort auf der Grundlage einer Feststellung, dass eine sog. Leerverkaufssituation vorlag) auf eine strafbare Steuerhinterziehung erkannt.

Mehr zum Thema:
  • Kurzbeitrag: Aktuelle Rechtsprechung zum Steuerstrafrecht (EStB 2022, R5)
  • Kurzbeitrag: § 15 FAO Selbststudium: Steuerliche Behandlung von "Cum/Cum-Transaktionen" durch das BMF-Schreiben v. 9.7.2021 (EStB 2022, R8)
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BFH PM Nr. 9 vom 15.3.2022
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