Degressiver Zweitwohnungsteuertarif bedarf hinreichend gewichtiger Sachgründe
BVerfG 15.1.2014, 1 BvR 1656/09Der Beschwerdeführer hatte von Januar 2002 bis August 2006 eine ihm von seinen Eltern überlassene Wohnung im Stadtgebiet von Konstanz inne und war dort mit Nebenwohnsitz gemeldet. Die beklagte Stadt zog den Beschwerdeführer für diesen Zeitraum aufgrund einer Satzung zur Zweitwohnungsteuer i.H.v. (zuletzt) 2.974,32 € heran.
Die Steuertarife in der Satzung orientierten sich am jährlichen Mietaufwand und pauschalieren den Steuerbetrag durch Bildung von fünf (Zweitwohnungsteuersatzung 1989) bzw. acht Mietaufwandsgruppen (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006). Die konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führte insgesamt zu einem - in Relation zum Mietaufwand - degressiven Steuerverlauf. Zwar stieg der absolute Betrag der Zweitwohnungsteuer mit zunehmender Jahresmiete in Stufen an. Nicht nur auf den jeweiligen Stufen, sondern auch über die Stufen hinweg sank jedoch der sich aus dem Mietaufwand und dem zu zahlenden Steuerbetrag ergebende Steuersatz mit steigendem Mietaufwand ab.
Das VG wies die Klage ab. Der VGH wies den Antrag auf Zulassung der Berufung zurück. Das Gericht war der Ansicht, die generalisierende degressive Staffelung der Steuersätze halte sich im Rahmen des dem Satzungsgeber zukommenden Gestaltungsspielraums. Die prozentual stärkere Belastung der unteren Mietaufwandsgruppen sei gerechtfertigt. Die Beklagte dürfe bei der Steuererhebung den Nebenzweck verfolgen, insbesondere das Halten kleinerer und billigerer Zweitwohnungen einzudämmen und dadurch das Wohnungsangebot für die einheimische Bevölkerung - insbesondere für Studierende - zu erhöhen.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war vor dem BVerfG erfolgreich.
Die Gründe:
Die Zweitwohnungsteuersatzungen der Stadt Konstanz der Jahre 1989, 2002 und 2006 waren nichtig. Die degressive Ausgestaltung der Zweitwohnungsteuertarife sowie die Entscheidungen der Beklagten und der Fachgerichte verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und waren deshalb aufzuheben.
Das wesentliche Merkmal einer örtlichen Aufwandsteuer i.S.v. Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG (hier: die Zweitwohnungsteuer) besteht darin, die in der Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu treffen; diese spiegelt der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der Zweitwohnungsteuer wider. Der degressive Steuertarif bewirkte hier jedoch eine Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastete als wirtschaftlich leistungsfähigere. Diese Ungleichbehandlung ließ sich bereits durch Vergleich der jeweiligen mittleren Steuersätze in den Steuerstufen feststellen.
Zwar sind degressive Steuertarife nicht generell unzulässig. Bei der Rechtfertigung unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Bindungen durch das Leistungsfähigkeitsprinzip als materiellem Gleichheitsmaß. Vom BVerfG ist hierbei nur zu untersuchen, ob der Normgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat, nicht hingegen ob er die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Und im vorliegenden Fall war die Ungleichbehandlung aufgrund der degressiven Steuertarife nicht mehr gerechtfertigt.
Von vornherein nicht zur Vereinfachung geeignet war der insgesamt, d.h. über verschiedene Steuerstufen hinweg, degressiv gestaltete Verlauf des Steuertarifs. Zwar bewirkten die Steuerstufen eine gewisse Vereinfachung dadurch, dass nicht in jedem Einzelfall die exakte Jahresnettokaltmiete ermittelt und in Zweifelsfällen verifiziert werden mussten. Doch war dieser Effekt nicht von hinreichendem Gewicht. Denn bereits die Differenz zwischen der höchsten und niedrigsten Steuerbelastung auf der gleichen Stufe erreichte ein beträchtliches Ausmaß, das angesichts des insgesamt degressiven Tarifverlaufs nicht hinnehmbar war.
Letztlich erwies sich die steuerliche Differenzierung auch nicht zur Erreichung von Lenkungszwecken geeignet, noch war sie erforderlich. Zwar mochte die Steuererhebung insgesamt geeignet gewesen sein, Zweitwohnungsinhaber zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu bewegen; die degressive Ausgestaltung des Steuertarifs selbst förderte diesen Lenkungszweck jedoch nicht. Denn dieses Lenkungsziel würde in gleicher Weise durch einen linearen oder gar progressiven Steuertarif erreicht, bei dem die hier festgestellte Ungleichbehandlung nicht vorläge. Gleiches gilt für den Lenkungszweck, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen.
Fristen
Das BVerfG hat im vorliegenden Fall zudem die Sorgfaltsanforderungen für die Einhaltung von Fristen bei Einlegung von Verfassungsbeschwerden per Telefax konkretisiert: Danach die erforderliche Sorgfalt regelmäßig erfüllt, wer - über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinaus - einen Sicherheitszuschlag von 20 Minuten bis Fristende einkalkuliert.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.