Deutsche Pkw-Maut verstößt gegen EU-Recht
EuGH v. 18.6.2019 - C-591/17
Der Sachverhalt:
Deutschland hat 2015 den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Infrastrukturabgabe geschaffen, d.h. einer Abgabe für die Benutzung der Bundesfernstraßen einschließlich der Autobahnen durch Pkw. Mit dieser Abgabe möchte Deutschland teilweise von einem System der Steuerfinanzierung zu einem auf das "Benutzerprinzip" und das "Verursacherprinzip" gestützten Finanzierungssystem übergehen. Die Erträge dieser Abgabe sollen zur Gänze zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet werden und ihre Höhe bemisst sich nach Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Fahrzeugs.
Alle Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen haben die Abgabe in Form einer Jahresvignette mit einem Betrag von höchstens 130 € zu entrichten. Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge ist die Abgabe (vom Halter oder Fahrer) nur im Fall der Benutzung der Autobahnen zu entrichten. Insoweit ist eine Zehntagesvignette (von 2,50 bis 25 €), eine Zweimonatsvignetten (von 7 bis 50 €) oder eine Jahresvignette (höchstens 130 €) verfügbar. Parallel dazu hat Deutschland vorgesehen, dass den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ab Erhebung der Infrastrukturabgabe eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in einer Höhe zugutekommt, die mindestens dem Betrag der Abgabe entspricht, die sie entrichten mussten.
Österreich ist der Ansicht, dass die kombinierte Wirkung der Infrastrukturabgabe und der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge sowie die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe gegen das Unionsrecht, namentlich das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, verstießen. Nachdem Österreich die Kommission um eine Stellungnahme ersucht hatte, die Kommission sich jedoch innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen nicht geäußert hatte, erhob Österreich vor dem EuGH eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland. In diesem Verfahren wird Österreich von den Niederlanden unterstützt, während Deutschland von Dänemark unterstützt wird.
Der EuGH gab der Klage statt.
Die Gründe:
Die Infrastrukturabgabe stellt i.V.m. der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist festzustellen, dass die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bewirkt, dass die von diesen entrichtete Infrastrukturabgabe vollständig kompensiert wird, so dass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt.
Es steht den Mitgliedstaaten zwar frei, das System zur Finanzierung ihrer Straßeninfrastruktur zu ändern, indem sie ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzen. Bei einer solchen Änderung ist jedoch das Unionsrecht (Diskriminierungsverbot) zu beachten. Vorliegend kann Deutschland insbesondere nicht gefolgt werden, wenn es vorträgt, die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge spiegle den Übergang zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur durch alle Nutzer nach dem "Benutzerprinzip" und dem "Verursacherprinzip" wider. Deutschland hat keine näheren Angaben zum Umfang des Beitrags der Steuer zur Finanzierung der Infrastrukturen des Bundes gemacht hat. Damit hat es nicht dargetan, dass der den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gewährte Ausgleich in Form einer Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der Infrastrukturabgabe, die sie entrichten mussten, entspricht, diesen Beitrag nicht übersteigt und somit angemessen ist.
Hinsichtlich der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen wird die Infrastrukturabgabe zudem jährlich und ohne die Möglichkeit geschuldet, eine Vignette für einen kürzeren Zeitraum zu wählen, wenn eine solche der Häufigkeit, mit der sie diese Straßen nutzen, besser entspräche. Diese Gesichtspunkte i.V.m. der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der entrichteten Infrastrukturabgabe entspricht, zeigen, dass der Übergang zu einem Finanzierungssystem, das auf das "Benutzerprinzip" und das "Verursacherprinzip" gestützt ist, in Wirklichkeit ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betrifft, während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip gilt. Im Übrigen hat Deutschland nicht dargetan, wie die festgestellte Diskriminierung durch Umwelterwägungen oder sonstige Erwägungen gerechtfertigt werden könnte.
Hinsichtlich des freien Warenverkehrs ist festzustellen, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Und auch im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr sind die streitigen Maßnahmen geeignet, den Zugang von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern. Die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe sind dagegen nicht diskriminierend. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.
Linkhinweis:
EuGH PM Nr. 75 vom 18.6.2019
Deutschland hat 2015 den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Infrastrukturabgabe geschaffen, d.h. einer Abgabe für die Benutzung der Bundesfernstraßen einschließlich der Autobahnen durch Pkw. Mit dieser Abgabe möchte Deutschland teilweise von einem System der Steuerfinanzierung zu einem auf das "Benutzerprinzip" und das "Verursacherprinzip" gestützten Finanzierungssystem übergehen. Die Erträge dieser Abgabe sollen zur Gänze zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet werden und ihre Höhe bemisst sich nach Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Fahrzeugs.
Alle Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen haben die Abgabe in Form einer Jahresvignette mit einem Betrag von höchstens 130 € zu entrichten. Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge ist die Abgabe (vom Halter oder Fahrer) nur im Fall der Benutzung der Autobahnen zu entrichten. Insoweit ist eine Zehntagesvignette (von 2,50 bis 25 €), eine Zweimonatsvignetten (von 7 bis 50 €) oder eine Jahresvignette (höchstens 130 €) verfügbar. Parallel dazu hat Deutschland vorgesehen, dass den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ab Erhebung der Infrastrukturabgabe eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in einer Höhe zugutekommt, die mindestens dem Betrag der Abgabe entspricht, die sie entrichten mussten.
Österreich ist der Ansicht, dass die kombinierte Wirkung der Infrastrukturabgabe und der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge sowie die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe gegen das Unionsrecht, namentlich das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, verstießen. Nachdem Österreich die Kommission um eine Stellungnahme ersucht hatte, die Kommission sich jedoch innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen nicht geäußert hatte, erhob Österreich vor dem EuGH eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland. In diesem Verfahren wird Österreich von den Niederlanden unterstützt, während Deutschland von Dänemark unterstützt wird.
Der EuGH gab der Klage statt.
Die Gründe:
Die Infrastrukturabgabe stellt i.V.m. der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist festzustellen, dass die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bewirkt, dass die von diesen entrichtete Infrastrukturabgabe vollständig kompensiert wird, so dass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt.
Es steht den Mitgliedstaaten zwar frei, das System zur Finanzierung ihrer Straßeninfrastruktur zu ändern, indem sie ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzen. Bei einer solchen Änderung ist jedoch das Unionsrecht (Diskriminierungsverbot) zu beachten. Vorliegend kann Deutschland insbesondere nicht gefolgt werden, wenn es vorträgt, die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge spiegle den Übergang zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur durch alle Nutzer nach dem "Benutzerprinzip" und dem "Verursacherprinzip" wider. Deutschland hat keine näheren Angaben zum Umfang des Beitrags der Steuer zur Finanzierung der Infrastrukturen des Bundes gemacht hat. Damit hat es nicht dargetan, dass der den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gewährte Ausgleich in Form einer Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der Infrastrukturabgabe, die sie entrichten mussten, entspricht, diesen Beitrag nicht übersteigt und somit angemessen ist.
Hinsichtlich der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen wird die Infrastrukturabgabe zudem jährlich und ohne die Möglichkeit geschuldet, eine Vignette für einen kürzeren Zeitraum zu wählen, wenn eine solche der Häufigkeit, mit der sie diese Straßen nutzen, besser entspräche. Diese Gesichtspunkte i.V.m. der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der entrichteten Infrastrukturabgabe entspricht, zeigen, dass der Übergang zu einem Finanzierungssystem, das auf das "Benutzerprinzip" und das "Verursacherprinzip" gestützt ist, in Wirklichkeit ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betrifft, während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip gilt. Im Übrigen hat Deutschland nicht dargetan, wie die festgestellte Diskriminierung durch Umwelterwägungen oder sonstige Erwägungen gerechtfertigt werden könnte.
Hinsichtlich des freien Warenverkehrs ist festzustellen, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Und auch im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr sind die streitigen Maßnahmen geeignet, den Zugang von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern. Die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe sind dagegen nicht diskriminierend. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.
Linkhinweis:
- Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.