20.11.2019

Einheitliche erstmalige Berufsausbildung bei Betriebswirtschaftsstudium im Anschluss an Ausbildung zur Industriekauffrau?

Das FG Münster hat sich mit der Frage des Vorliegens einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung befasst, wenn an die Berufsausbildung zur Industriekauffrau ein berufsbegleitendes Bachelorstudium "Betriebswirtschaft" angeschlossen wird.

FG Münster v. 7.3.2019 - 8 K 1902/18 Kg u.a.
Der Sachverhalt:
Die 1995 geborene Tochter des Klägers (J) absolvierte nach dem Abitur von August 2013 bis Juli 2016 eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Nach dem Ausbildungsabschluss beschäftigte der Ausbildungsbetrieb die Tochter des Klägers - zunächst befristet - im Rahmen einer Vollzeittätigkeit weiter. Bereits während ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau bewarb J sich im April 2016 online um einen berufsbegleitenden Studienplatz bei der IHK. Im Juli 2016 erfolgte die Zuteilung eines Studienplatzes. Seit September 2016 absolviert sie ein berufsbegleitendes Studium Betriebswirtschaft mit dem Ziel "Betriebswirt (in) VWA-Bachelor of Arts" an der FH. Der 1.9.2016 war der frühestmögliche Immatrikulationszeitpunkt für diesen Studiengang.

Zulassungsvoraussetzung für das Studium ist eine abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten kaufmännischen Ausbildungsberuf, ein Beschäftigungsverhältnis in einem Unternehmen sowie die Hochschulzugangsberechtigung. Das von J absolvierte Bachelor-Studium dauert in der Regel sieben Semester (3,5 Jahre). Die Lehrveranstaltungen finden regelmäßig freitags von 16-21 Uhr sowie samstags von 8-13 Uhr statt. Gemäß dem Flyer der FH sollen die Absolventen dazu befähigt werden, betriebswirtschaftliches Know-how im Unternehmen anzuwenden, Betriebsabläufe über alle Funktionsbereiche hinweg, auch im internationalen Bereich, in ihrem Zusammenhang zu erkennen, zu beurteilen sowie kompetent Entscheidungen zu treffen, auf verschiedenen betriebswirtschaftlichen Gebieten Fach- und Führungsaufgaben auf gehobener Leitungsebene zu übernehmen.

Die Familienkasse lehnte die Zahlung von Kindergeld für die Zeit ab September 2016 mit der Begründung ab, J habe eine erste Berufsausbildung abgeschlossen und befinde sich aktuell in einer weiteren Berufsausbildung. J übe nach abgeschlossener Erstausbildung eine Erwerbstätigkeit mit einem Umfang von mehr als 20 Stunden wöchentlich aus. Laut der IHK sei die Berufstätigkeit Voraussetzung für die Zulassung zum Studiengang. Die Berufserfahrung sei daher zwingende Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung. Die berufspraktische Erfahrung von J sei daher unabdingbare Voraussetzung für das Erreichen des weiteren Berufsabschlusses. Es handele sich somit um eine Zweitausbildung.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision zum BFH wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

Die Gründe:
Der Kläger hat für den Zeitraum von September 2016 bis Mai 2018 Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter. J ist für diesen Zeitraum zu berücksichtigen, da sie eine Ausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG absolvierte und noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen hatte.

Das Bachelorstudium im Bereich Betriebswirtschaft an der FH stellt eine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG dar. Die Erlangung des akademischen Grades "Bachelor of Arts" ist das Ausbildungsziel von J. Das Studium vermittelt ihr die hierzu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Grundlage des anvisierten Ausbildungsziels sind. Dies ist den Informationen über das Bachelorstudium auf der Internetseite der IHK zu entnehmen. Der Kindergeldanspruch ist auch nicht wegen der vollen Erwerbstätigkeit von J (39 Stunden/Woche) ausgeschlossen, denn sie hatte im Streitzeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das Bachelorstudium stellt vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar. Mangels Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG war die Erwerbstätigkeit nicht anspruchsausschließend und eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG entfällt.

Der erste berufsqualifizierende Abschluss von J zur Industriekauffrau hat noch nicht zu einem Abschluss der erstmaligen Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geführt. Das Bachelorstudium Betriebswirtschaft steht in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme als Industriekauffrau. Um den Abschluss "Bachelor of Arts" zu erlangen, war J auf ein weiterführendes Studium angewiesen, das auf ihre Ausbildung als Industriekauffrau aufbaut. Der berufsbegleitende Studiengang zeichnet sich durch Praxisnähe aus und beinhaltet Projekte, die beim Arbeitgeber umgesetzt werden.

Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ausbildung als Industriekauffrau und dem Bachelorstudium an FH/IHK N-Stadt ist ebenfalls gegeben. J hat sich bereits während ihrer Ausbildung um einen Studienplatz bei der IHK beworben und am 13.7.2016 eine Zusage erhalten. Mit dem Studium hat sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. zum Wintersemester 2016 (1.9.2016), begonnen. Auch die zwischenzeitlich (allein) ausgeübte praktische Tätigkeit ist nicht schädlich, weil sie der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn des Studiums diente. Das Erfordernis einer Berufstätigkeit vor Ergreifen des Studiums sieht der Studiengang nicht vor. Vielmehr ist lediglich das Abitur, die fachgebundene Hochschulreife bzw. die Fachhochschulreife Zugangsvoraussetzung für das aufgenommene Studium. Diese Voraussetzung erfüllt J mit dem Abitur.

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