Einsicht in Kindergeldakten
Kurzbesprechung
BFH v. 3.11.2020 - III R 59/19
FGO § 138 Abs. 1, § 143 Abs. 1
AO § 5
SGB 10 § 25
Seit der Übernahme des Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht zum 1.1.1996 richtet sich das Verwaltungsverfahren allein nach der Abgabenordnung. Die AO enthält --anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und § 147 der Strafprozessordnung-- keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Ein solches Einsichtsrecht ist weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO abzuleiten.
Allerdings steht dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zu. Der Anspruch des Einsichtssuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung ist gewahrt, wenn die Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat.
Der Gesetzgeber hat ein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren für nicht praktikabel gehalten, weil diesem Gesichtspunkte des Schutzes Dritter und das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden sowie der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde entgegenstünden, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte und dann das gesamte Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke und Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen hätte. Daraus hat die Rechtsprechung des BFH abgeleitet, dass die Einsichtnahme in die Akten während des laufenden Verwaltungs- oder Steuerermittlungsverfahrens lediglich eine in Anwendung des § 91 AO oder des § 364 AO aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu gewährende Ausnahme sein soll. Das FA kann nach seinem Ermessen Akteneinsicht gewähren, obwohl in der AO ein allgemeines Akteneinsichtsrecht nicht geregelt ist, und dies jedenfalls dann regelmäßig geschehen sollte, wenn Verhältnisse Dritter nicht berührt werden.
Einsichtsgesuche in Kindergeldakten sind nicht nach anderen Grundsätzen zu behandeln als Akteneinsichtsgesuche, die in gewöhnlichen steuerlichen Verwaltungsverfahren gestellt werden.
Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch Kinderfreibeträge und Kindergeld in den §§ 67 ff. EStG einige Sonderregeln verfahrensrechtlicher Art für das Kindergeld geschaffen. Ein Akteneinsichtsrecht ist darin nicht normiert, obwohl die allgemeinen sozialrechtlichen Vorschriften (§ 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch), denen das Verwaltungsverfahren in Kindergeldsachen bis zur Neuregelung unterlag, ein solches im Sozialverwaltungsverfahren grundsätzlich vorsehen.
Somit sind die Interessen des Einsichtssuchenden und die der Familienkasse gegeneinander abzuwägen. Im Streitfall hatte die Familienkasse das ihr eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt, da sie in eine Interessensabwägung überhaupt nicht eingetreten war. Da nach den Umständen des Einzelfalls die Belange der Anspruchsberechtigten, namentlich die Sprachbarriere, das Fehlen von Unterlagen zum Kindergeldverfahren und das Erfordernis, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, die Interessen der Familienkasse jedoch deutlich überwogen, war von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen, und es bestand ein Anspruch der Anspruchsberechtigten auf Einsicht in die Kindergeldakte.
Verlag Dr. Otto Schmidt
FGO § 138 Abs. 1, § 143 Abs. 1
AO § 5
SGB 10 § 25
Seit der Übernahme des Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht zum 1.1.1996 richtet sich das Verwaltungsverfahren allein nach der Abgabenordnung. Die AO enthält --anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und § 147 der Strafprozessordnung-- keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Ein solches Einsichtsrecht ist weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO abzuleiten.
Allerdings steht dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zu. Der Anspruch des Einsichtssuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung ist gewahrt, wenn die Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat.
Der Gesetzgeber hat ein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren für nicht praktikabel gehalten, weil diesem Gesichtspunkte des Schutzes Dritter und das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden sowie der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde entgegenstünden, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte und dann das gesamte Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke und Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen hätte. Daraus hat die Rechtsprechung des BFH abgeleitet, dass die Einsichtnahme in die Akten während des laufenden Verwaltungs- oder Steuerermittlungsverfahrens lediglich eine in Anwendung des § 91 AO oder des § 364 AO aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu gewährende Ausnahme sein soll. Das FA kann nach seinem Ermessen Akteneinsicht gewähren, obwohl in der AO ein allgemeines Akteneinsichtsrecht nicht geregelt ist, und dies jedenfalls dann regelmäßig geschehen sollte, wenn Verhältnisse Dritter nicht berührt werden.
Einsichtsgesuche in Kindergeldakten sind nicht nach anderen Grundsätzen zu behandeln als Akteneinsichtsgesuche, die in gewöhnlichen steuerlichen Verwaltungsverfahren gestellt werden.
Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch Kinderfreibeträge und Kindergeld in den §§ 67 ff. EStG einige Sonderregeln verfahrensrechtlicher Art für das Kindergeld geschaffen. Ein Akteneinsichtsrecht ist darin nicht normiert, obwohl die allgemeinen sozialrechtlichen Vorschriften (§ 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch), denen das Verwaltungsverfahren in Kindergeldsachen bis zur Neuregelung unterlag, ein solches im Sozialverwaltungsverfahren grundsätzlich vorsehen.
Somit sind die Interessen des Einsichtssuchenden und die der Familienkasse gegeneinander abzuwägen. Im Streitfall hatte die Familienkasse das ihr eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt, da sie in eine Interessensabwägung überhaupt nicht eingetreten war. Da nach den Umständen des Einzelfalls die Belange der Anspruchsberechtigten, namentlich die Sprachbarriere, das Fehlen von Unterlagen zum Kindergeldverfahren und das Erfordernis, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, die Interessen der Familienkasse jedoch deutlich überwogen, war von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen, und es bestand ein Anspruch der Anspruchsberechtigten auf Einsicht in die Kindergeldakte.