Enteignung stellt kein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft dar
FG Münster v. 28.11.2018 - 1 K 71/16 EDie miteinander verheirateten Kläger wurden in den Streitjahren 2009 und 2012 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hatte im Jahr 2005 das Alleineigentum an einem unbebauten Grundstück erworben. Im Jahr 2008 führte die Stadt ein Bodensonderungsverfahren durch und erließ dabei in Bezug auf das Grundstück einen sog. Sonderungsbescheid gegenüber dem Kläger, infolgedessen das Eigentum auf die Stadt übergehen sollte. Als Entschädigung für den Eigentumsübergang zahlte die Stadt einen Betrag von 600.000 € an den Kläger.
Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Enteignung des Grundstücks durch die Stadt ein steuerpflichtiges privates Veräußerungsgeschäft darstelle, da zwischen Erwerb und Enteignung weniger als zehn Jahre vergangen seien und deshalb ein Veräußerungsgewinn (sog. "Spekulationsgewinn") von rund 175.000 € von den Klägern zu versteuern sei. Hiergegen wandten sich die Kläger. Sie waren der Auffassung, dass eine Veräußerung i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG die entgeltliche und vor allem willentliche Übertragung des Eigentums an einem Grundstück erfordere. Die Grundstücksübertragung müsse daher von einem rechtsgeschäftlichen Willen getragen sein. Dieses Merkmal sei bei einer Enteignung gerade nicht gegeben.
Das FG gab der gegen die Einkommensteuerbescheide gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az.: IX R 28/18 anhängig.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat die in dem Sonderungsbescheid angeordnete hoheitliche Übertragung des Eigentums an dem streitgegenständlichen Grundstück auf die Stadt zu Unrecht als Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG eingeordnet. Die dem Kläger in den Streitjahren für die Enteignung zugeflossenen Entschädigungszahlungen sind demzufolge nicht gem. § 22 Nr. 2 EStG steuerbar.
Der Senat ist der Auffassung, dass ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG voraussetzt, dass die Eigentumsübertragung auf eine wirtschaftliche Betätigung des Veräußernden zurückzuführen ist und dass hierzu regelmäßig ein auf die Veräußerung gerichteter rechtsgeschäftlicher Wille des Veräußernden vorhanden sein muss. Für diese Auslegung des Besteuerungstatbestandes spricht zunächst der in § 23 EStG verwendete Begriff des privaten Veräußerungsgeschäfts.
Die vom Senat vertretene eher enge Auslegung des Veräußerungsbegriffs im Rahmen des § 23 EStG ist auch deshalb angezeigt, weil nach der Konzeption des EStG Wertveränderung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens - im Unterschied zu Wertzuwächsen bei Wirtschaftsgütern eines Betriebsvermögens - grundsätzlich nicht der Besteuerung unterliegen (sog. Dualismus der Einkünfte). Zwar hat der Gesetzgeber zuletzt mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz 2007 die Besteuerung von Wertzuwächsen im Privatvermögen erheblich ausgedehnt, indem Wertpapiergeschäfte einheitlich in den Anwendungsbereich von § 20 EStG fallen. Gleichwohl folgt hieraus nicht die Umkehrung des Grundsatzes in eine Ausnahme.
Vielmehr bleibt es insbesondere bei Grundstücken und sonstigen Wirtschaftsgütern des Privatvermögens dabei, dass (realisierte) Wertveränderungen des Privatvermögens nur dann steuerpflichtig sind, wenn ein Steuertatbestand dies (ausnahmsweise) bestimmt. Im Rahmen der Auslegung des § 23 EStG ist diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis und der gesetzgeberischen Grundentscheidung für einen Einkünftedualismus (Gewinn- und Überschusseinkünfte) Rechnung zu tragen. Das Erfordernis einer wirtschaftlichen Betätigung des Veräußernden lässt sich nach Auffassung des Senats ferner aus der Rechtsprechung des BFH zum Begriff der Anschaffung i.S.d. § 23 EStG ableiten.
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