13.04.2023

Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft

1. Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" kann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind (Anschluss an das EuGH-Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 - C 868/19, EU:C:2021:285 und insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 02.12.2015 - V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547).
2. Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.
3. Organträger und Organgesellschaft können nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (z.B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (z.B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden (Bestätigung des BFH-Urteils vom 26.08.2021 - V R 13/20, BFHE 273, 364).

Kurzbesprechung
BFH v. 16. 3. 2023 - V R 14/21 (V R 45/19)

UStG § 2 Abs 2 Nr. 2
AO § 34 Abs 3, § 172 Abs 1 S 1 Nr. 2 Buchst a, § 174 Abs 3, § 176 Abs 1 S 1 Nr. 3
EGRL 112/2006 Art 11
HGB §§ 161ff
InsO § 80


Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit nicht Steuerschuldnerin sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.

Zu beachten ist, dass der Grundsatz von Treu und Glauben auch bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zu berücksichtigen ist. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich - wie im Streitfall - die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung (im Streitfall aufgrund der Umsatzsteuererklärung 2010) von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Dabei verstößt es gegen Treu und Glauben ("venire contra factum proprium"), wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer Rechtsprechungsänderung z.B. die Aufhebung eines ihn belastenden Bescheids fordert und erreicht und später geltend macht, er habe auf die Anwendung der früheren Rechtsprechung vertraut und sei nicht bereit, die für ihn negativen Folgen der Rechtsprechungsänderung hinzunehmen.

Dementsprechend kann nicht zugleich beansprucht werden, dass einerseits die KG nach der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organgesellschaft behandelt wird, während andererseits der Gesellschafter - Geschäftsführer, der erst aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organträger anzusehen ist, Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO in die frühere BFH-Rechtsprechung gewährt wird, nach der er nicht Organträger für die KG war.

Dieser Widerstreit ist dahingehend aufzulösen, dass der Unternehmensteil der Organschaft, zu dessen Gunsten der Änderungsschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO wirkt, diesen durch die Stellung eines Änderungsantrags entfallen lassen muss, um so ein widersprüchliches Verhalten in Bezug auf die Besteuerung der Umsätze des anderen Unternehmensteils der Organschaft zu vermeiden.

Dieses Antragserfordernis wirkt in der Weise zu Lasten der KG, die als Organgesellschaft mit dem Gesellschafter - Geschäftsführer gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG verbunden ist, dass eine Aufhebung der für sie vorliegenden Steuerfestsetzung voraussetzt, dass aufgrund eines vom Gesellschafter - Geschäftsführer zu stellenden Antrags eine Besteuerung der Umsätze der KG entsprechend der Rechtsauffassung der KG bei ihm als Organträger erfolgen kann.

Damit kommt eine Aufhebung der für die KG bestehenden Steuerfestsetzung aufgrund ihrer sich erst aus der geänderten BFH-Rechtsprechung ergebenden Stellung als Organgesellschaft nur in Betracht, wenn der Gesellschafter - Geschäftsführer gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO vor Ablauf der für ihn geltenden Festsetzungsfrist beantragt, die Umsätze der KG als Organgesellschaft bei seiner Steuerfestsetzung zu erfassen und damit auf den sich aus § 176 AO ergebenden Vertrauensschutz verzichtet.

Der BFH verwies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da ihm eine Prüfung, ob der Gesellschafter - Geschäftsführereinen Änderungsantrag für eine bei ihm vorzunehmende Versteuerung der Umsätze der KG gestellt hat, verwehrt ist. Dabei kann ein derartiger Antrag auch jetzt noch durch ihn oder im Fall eines noch nicht beendeten Insolvenzverfahrens über sein Vermögen durch seinen Insolvenzverwalter gestellt werden, wenn im Streitfall die Festsetzungsfrist als zeitliche Grenze für den Antrag i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nach § 174 Abs. 3 AO noch nicht abgelaufen ist.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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