09.07.2012

Erheblich voneinander abweichende Schätzungen des Finanzamts führen nicht grundsätzlich zur Nichtigkeit anschließend ergangener Bescheide

Bescheide sind nicht allein deshalb nichtig, dass ihnen erheblich voneinander abweichende Schätzungen durch das Finanzamt vorausgegangen sind, solange sich die Ergebnisse nicht in Bescheiden niedergeschlagen haben. Dies gilt selbst dann, wenn durch eine zunächst errechnete hohe Steuernachforderung und die Erläuterung der möglichen strafrechtlichen Folgen bei einer Steuerhinterziehung in dieser Größenordnung Druck ausgeübt worden ist.

Schleswig-Holsteinisches FG 6.3.2012, 2 K 101/11
Der Sachverhalt:
Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung bei den Klägern kam das Finanzamt in einem kurz nach der Durchsuchung durchgeführten Erörterungstermin zu dem Ergebnis, die zu erwartenden Mehrsteuern für die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer würden sich auf ca. 800.000 € belaufen. In einem weiteren Termin errechnete das Finanzamt einen Betrag von insgesamt 550.000 € und bot später unter der Voraussetzung einer Zahlung von insgesamt 170.000 € durch die Kläger eine tatsächliche Verständigung an, die nicht zustande kam.

Die aufgrund des Steuerfahndungsberichtes erlassenen Steuerbescheide führten zu Mehrsteuern i.H.v. ca. 480.000 €. Mit im Rahmen des Einspruchsverfahrens geänderten Bescheiden setzte das Finanzamt zuletzt Mehrsteuern i.H.v. insgesamt rund 225.000 € fest. Die Kläger sind der Ansicht, bei der Schätzung von Mehrsteuern zwischen 800.000 € und 170.000 € würde in geradezu abenteuerlicher Weise gegen alle vernünftigen und sich aufdrängenden Schätzungsgrundsätze verstoßen. Derart unterschiedliche Schätzungsergebnisse lägen nicht innerhalb eines Schätzungsrahmens und müssten daher als willkürlich angesehen werden.

Das FG wies die Klage ab. Die von den Klägern eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wird beim BFH unter dem Az. III B 51/12 geführt.

Die Gründe:
Die Schätzungen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Klägers, die sich das FG zu Eigen macht, sind nicht zu beanstanden.

Vorausgegangene Berechnungen sind auch bei einer erheblichen Differenz zwischen den Schätzungsergebnissen im Rahmen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der erlassenen Steuerbescheide ohne Bedeutung, solange sich die Ergebnisse nicht in Bescheiden niedergeschlagen haben. Selbst wenn man vorliegend unterstellt, dass durch die zunächst errechnete hohe Steuernachforderung und die Erläuterung der möglichen strafrechtlichen Folgen bei einer Steuerhinterziehung in dieser Größenordnung Druck ausgeübt worden ist, führt dies nicht zur Nichtigkeit der späteren Bescheide.

Außerdem führen selbst überzogene Schätzungen oder grobe Schätzungsfehler nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Rechtswidrigkeit der Bescheide. Etwas anderes ist allenfalls zu erwägen, wenn sich das Finanzamt nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Solche Willkürmaßnahmen, die einen besonders schweren Fehler i.S.v. § 125 Abs. 1 AO darstellen können, sind jedoch bei der Überprüfung der konkreten Bescheide nicht erkennbar, die Bescheide daher nicht nichtig.

Weiterhin durfte das Finanzamt seiner Schätzung im Streitfall kombinierte Mittelwerte aus der amtlichen Richtsatzsammlung für Imbisse, Pizzerien und Gaststätten zu Grunde legen, soweit die Schätzung in sich schlüssig, das Ergebnis wirtschaftlich möglich und vernünftig ist.

Linkhinweis:

Schleswig-Holsteinisches FG Newsletter vom 29.6.2012
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