17.07.2015

Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht ist verfassungswidrig

Die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage gem. § 8 Abs. 2 GrEStG im Grunderwerbsteuerrecht ist mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 30.6.2016 rückwirkend zum 1.1.2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31.12.2008 ist die Vorschrift weiter anwendbar.

BVerfG 23.6.2015, 1 BvL 13/11 u.a.
Hintergrund:
Regelbemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung, insbesondere der Kaufpreis. Auf die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG ist zurückzugreifen, wenn eine Gegenleistung fehlt, bei Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie bei Übertragung von mindestens 95% der Anteile an Gesellschaften. Kommt es auf die Ersatzbemessungsgrundlage an, bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach den §§ 138 ff. BewG.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu Az.: 1 BvL 13/11 ist eine Körperschaft US-amerikanischen Rechts. Am 26.4.2001 hatte sie eine GmbH und eine GbR gekauft, zu deren Gesellschaftsvermögen zahlreiche unbebaute, bebaute sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke gehörten.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu Az.: 1 BvL 14/11 ist eine GmbH. Sie hatte am 18.12.2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines unbebauten und eines bebauten Grundstücks war, gekauft.

Die Klagen gegen die jeweiligen Grunderwerbsteuerbescheide blieben erfolglos. Auf die Revisionen der Klägerinnen hat der BFH die beiden Ausgangsverfahren ausgesetzt und die Sache dem BVerfG im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
§ 8 Abs. 2 GrEStG ist mit dem Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

Wird die Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 2 GrEStG mit Hilfe der Bewertungsvorschriften gem. §§ 138 ff. BewG bestimmt, hat dies eine erhebliche Ungleichbehandlung gegenüber den Steuerschuldnern zur Folge, deren Grunderwerbsteuer auf der Grundlage der Regelbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG berechnet wird. Da die Vertragschließenden meist gegenläufige Interessen verfolgen, wird die Gegenleistung regelmäßig dem gemeinen Wert (d.h. dem Verkehrswert) des Grundstücks entsprechen. Liegt die vereinbarte Gegenleistung im Einzelfall deutlich darunter oder darüber, geht die Rechtspraxis jedoch davon aus, dass insoweit eine Schenkung vorliegt, die dementsprechend der Schenkungsteuer unterfällt.

Demgegenüber weichen die Werte, die nach den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG als Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt werden, erheblich vom gemeinen Wert ab. Dies ergibt sich aus den Feststellungen im BVerfG-Beschluss vom 7.11.2006 (Az.: 1 BvL 10/02), die auch in diesem Verfahren verwertbar sind. Entscheidend hierfür ist, dass die Anwendung der Bewertungsregeln in beiden Steuerarten letztlich auf das gleiche Ziel gerichtet ist, den gemeinen Wert festzustellen.

Für bebaute Grundstücke führt das in § 146 Abs. 2 BewG angeordnete, vereinfachte Ertragswertverfahren zu Werten, die im Durchschnitt 50% unter dem Kaufpreis und damit unter dem gemeinen Wert liegen. Außerdem ist der starre Vervielfältiger von 12,5 zur Bestimmung des Durchschnittsertrags strukturell ungeeignet, um eine gleichheitsgerechte Annäherung an den gemeinen Wert zu erzielen; die Einzelergebnisse differieren zwischen weniger als 20% und über 100% des gemeinen Werts. Der Wert eines unbebauten Grundstücks bestimmt sich gem. § 145 Abs. 3 BewG nach dem um 20% ermäßigten Bodenrichtwert. Berücksichtigt man den vorsichtigen Ansatz der Bodenrichtwerte, wird so durchschnittlich lediglich ein Bewertungsniveau von rund 70% der Verkehrswerte erreicht.

Der land- und forstwirtschaftliche Grundbesitzwert wird nach § 144 BewG aus dem Betriebswert, dem Wert der Betriebswohnungen und dem Wert des Wohnteils gebildet. Für den Wert der Betriebswohnung und des Wohnteils ergeben sich dieselben Ungleichheiten wie bei der Bewertung bebauter Grundstücke. Zudem erreicht der land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzwert im Durchschnitt lediglich rund 10% des Verkehrswerts. Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich; sie ist daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

Die Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG ist auf die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage beschränkt; sie ist ab dem 1.1.2009 nicht mehr anwendbar und vom Gesetzgeber durch eine Neuregelung zu ersetzen. Die Tarifnorm des § 11 Abs. 1 GrEStG wird davon nicht erfasst. Die Unanwendbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage steht der Steuererhebung in den Fällen der Regelbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 1 GrEStG nicht entgegen.

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 55 vom 17.7.2015
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