29.06.2023

Erweiterte Kürzung: Keine teleologische Reduktion im Fall von Sondervergütungen an nicht der Gewerbesteuer unterliegende Mitunternehmer

1. § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG ist auch dann anzuwenden, wenn der die Sondervergütung beziehende Gesellschafter nicht der Gewerbesteuer unterliegt.
2. Für Zwecke der zeitlichen Anwendungsbestimmung des § 36 Abs. 6a Satz 2 GewStG i.d.F. des JStG 2009 bzw. § 9 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 2 GewStG kommt es in den Fällen, in denen die Vergütungsvereinbarung vor Begründung der Gesellschafterstellung getroffen worden ist, auf die Begründung der Gesellschafterstellung an.

Kurzbesprechung
BFH v. 9.3.2023 - IV R 11/20

GewStG § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a S 1, § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 2, § 35b Abs. 1, § 36 Abs. 6a Satz 2,
EStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 15 Abs. 3 Nr. 2


Streitig war, ob § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG auch dann anzuwenden ist, wenn der Empfänger der Sondervergütungen nicht der Gewerbesteuer unterliegt.

Gem. § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 1 GewStG, der § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 (JStG 2009) vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794) entspricht, gelten § 9 Nr. 1 Sätze 2 und 3 GewStG (erweiterte Kürzung) nicht, soweit der Gewerbeertrag Vergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG enthält, die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern, mit Ausnahme der Überlassung von Grundbesitz, bezogen hat. Nach § 36 Abs. 6a Satz 2 GewStG i.d.F. des JStG 2009 ist § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG i.d.F. des JStG 2009 erstmals auf Vergütungen anzuwenden, die nach dem 18.6.2008 erstmals vereinbart worden sind; eine wesentliche Änderung einer vor diesem Zeitpunkt getroffenen Vereinbarung über die Vergütungen gilt als neue Vereinbarung.

Gem. § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 2 GewStG i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (KroatienAnpG) vom 25.7.2014 (BGBl I 2014, 1266) ist § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 1 GewStG auch auf Vergütungen anzuwenden, die vor dem 19.6.2008 erstmals vereinbart worden sind, wenn die Vereinbarung nach diesem Zeitpunkt wesentlich geändert wird. Diese Fassung des Gesetzes ist erstmals für den Erhebungszeitraum 2015 anzuwenden (§ 36 Abs. 1 GewStG i.d.F. des KroatienAnpG).

Der BFH hält § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG auch dann für einschlägig, wenn der Vergütungsempfänger nicht der Gewerbesteuer unterliegt. Denn der Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 1 GewSt setzt allein "Vergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG" voraus, "die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern, mit Ausnahme der Überlassung von Grundbesitz, bezogen hat". Dass der Gesellschafter als Vergütungsempfänger der Gewerbesteuer unterliegt, verlangt die Norm dagegen nicht.

Auch Sinn und Zweck der Norm sowie historische Erwägungen rechtfertigen keine einschränkende Auslegung. Systematische Erwägungen, die für das gegenteilige Auslegungsergebnis sprechen, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

§ 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG kann auch in den Fällen, in denen der Vergütungsempfänger nicht der Gewerbesteuer unterliegt, nicht teleologisch reduziert werden.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass die Sondervergütungen nach § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG nicht der erweiterten Kürzung unterliegen. § 9 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG gelangt zur Anwendung, soweit die an die Kommanditisten gezahlten Sondervergütungen (Darlehenszinsen, Arbeitslohn) betroffen sind. Die streitgegenständlichen Aufwendungen (Darlehenszinsen, Arbeitslohn) stellen Vergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG dar.

Dagegen konnte der BFH im Hinblick auf die Haftungsvergütung der Komplementär-GmbH nicht abschließend beurteilen, ob diese § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG unterfällt. Zwar handelt es sich dabei ebenfalls um eine Vergütung i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG. Es fehlten jedoch Feststellungen des FG dazu, ob die Haftungsvergütung nach dem 18.6.2008 erstmals vereinbart bzw. ob die betreffende Vereinbarung nach diesem Zeitpunkt wesentlich geändert worden ist. Sollte dies nicht der Fall sein, würde die Abrede als sog. Altvereinbarung Bestandsschutz nach § 36 Abs. 6a Satz 2 GewStG i.d.F. des JStG 2009 bzw. § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a Satz 2 GewStG genießen. Die erforderlichen Feststellungen muss das FG daher im Hinblick auf die Erhebungszeiträume 2014 und 2015 im zweiten Rechtsgang nachholen.

Der BFH entschied zudem, dass die Änderungsnorm des § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG nicht (zwingend) eine Anpassung des im Gewerbesteuermessbescheid angesetzten Gewinns an die im Gewinnfeststellungsbescheid getroffenen Feststellungen ermöglicht, sondern allein, die im Gewinnfeststellungsbescheid vorgenommene Erhöhung (oder Minderung) des gewerblichen Gewinns durch eine Erhöhung (oder Minderung) des Gewerbeertrags im Gewerbesteuermessbescheid nachzuvollziehen. Daher kann eine Korrektur von Rechtsfehlern nicht auf § 35b Abs. 1 GewStG gestützt werden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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