EuGH-Vorlage zum Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding
BFH v. 23.9.2020 - XI R 22/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Tätigkeit der Ankauf, die Verwaltung und die Verwertung von eigenem Grundbesitz sowie die Projektierung, Sanierung und Erstellung von Bauvorhaben aller Art ist. Gesellschafter waren im Streitjahr 2013 zu je 50 % A - zugleich alleiniger Geschäftsführer - und B. Die Klägerin war als Kommanditistin an den Unternehmen X-KG und Y-KG beteiligt. Beide Gesellschaften errichteten bestimmte Bauobjekte und veräußerten die einzelnen Wohneinheiten überwiegend umsatzsteuerfrei.
Die X-KG war 2006 als GbR gegründet worden und bestand seit dem 31.10.2012 als GmbH & Co. OHG mit der Klägerin und der Z-KG als Gesellschafter zu je 50 %. Mit Vertrag vom 31.1.2013 veräußerte die Z-KG nominell 44 % ihrer Beteiligung an die Klägerin. Außerdem wurde die Q Verwaltungs-GmbH als weitere Gesellschafterin aufgenommen. Mit gleichem Vertrag wechselte die X-KG ihre Rechtsform in eine GmbH & Co. KG mit der Q Verwaltungs-GmbH als Komplementärin und der Klägerin (nunmehr 94 % Anteile) und der Z-KG (nunmehr 6 % Anteile) als Kommanditisten.
Die Einlage der Klägerin beträgt nach dem Gesellschaftsvertrag 940 €, die der Z-KG 60 €. Die Q Verwaltungs-GmbH hatte keine Einlage zu erbringen und hält keinen Kapitalanteil; sie ist nicht am Gewinn und Verlust beteiligt und besitzt keine Stimmrechte. Geschäftsführer der Q Verwaltungs-GmbH sind B und C. An der Z-KG sind weder A noch B oder ihnen nahestehende Personen, sondern Fremdinvestoren beteiligt.
Das Finanzamt beanstandete die nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Klägerin für das Jahr 2013, in denen sie den vollen Vorsteuerabzug aus ihren Eingangsleistungen vornahm, zunächst nicht. Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung wertete die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge der Klägerin für die X-KG und die Y-KG als nichtsteuerbare Tätigkeiten. Sie hätten nicht der Erzielung von Einnahmen in umsatzsteuerrechtlichem Sinne gedient und seien deshalb nicht der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin zuzuordnen. Vorsteuerbeträge, die direkt und unmittelbar mit diesen Tätigkeiten zusammenhängen, seien nicht abziehbar. Soweit die Klägerin gemischte Aufwendungen beziehe, die nicht unmittelbar und direkt die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge beträfen, seien die Vorsteuerbeträge um 18 % zu kürzen. Das Finanzamt erließ entsprechende Änderungsbescheide.
In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2013 machte die Klägerin u.a. abziehbare Vorsteuerbeträge i.H.v. 413.268 € geltend. Das Finanzamt berücksichtigte lediglich 130.201 €. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamtes hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Gründe:
Es ist i.S. des Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zweifelhaft, ob die Klägerin die Vorsteuer deshalb nicht abziehen kann, weil sie die Eingangsleistungen bezogen hat, um sie in die Tochtergesellschaften einzulegen und diese Leistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen der Tochtergesellschaften stehen. Dem EuGH werden deshalb folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin gehend auszulegen, dass einer geschäftsleitenden Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug auch für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, obwohl die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holding, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen in den Preis der (an die Tochtergesellschaften erbrachten) steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Stellt es einen Rechtsmissbrauch im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften "zwischengeschaltet" wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, oder kann diese Zwischenschaltung durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, obwohl der volle Vorsteuerabzug an sich systemwidrig ist und zu einem Wettbewerbsvorteil von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen führen würde?
BFH online
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Tätigkeit der Ankauf, die Verwaltung und die Verwertung von eigenem Grundbesitz sowie die Projektierung, Sanierung und Erstellung von Bauvorhaben aller Art ist. Gesellschafter waren im Streitjahr 2013 zu je 50 % A - zugleich alleiniger Geschäftsführer - und B. Die Klägerin war als Kommanditistin an den Unternehmen X-KG und Y-KG beteiligt. Beide Gesellschaften errichteten bestimmte Bauobjekte und veräußerten die einzelnen Wohneinheiten überwiegend umsatzsteuerfrei.
Die X-KG war 2006 als GbR gegründet worden und bestand seit dem 31.10.2012 als GmbH & Co. OHG mit der Klägerin und der Z-KG als Gesellschafter zu je 50 %. Mit Vertrag vom 31.1.2013 veräußerte die Z-KG nominell 44 % ihrer Beteiligung an die Klägerin. Außerdem wurde die Q Verwaltungs-GmbH als weitere Gesellschafterin aufgenommen. Mit gleichem Vertrag wechselte die X-KG ihre Rechtsform in eine GmbH & Co. KG mit der Q Verwaltungs-GmbH als Komplementärin und der Klägerin (nunmehr 94 % Anteile) und der Z-KG (nunmehr 6 % Anteile) als Kommanditisten.
Die Einlage der Klägerin beträgt nach dem Gesellschaftsvertrag 940 €, die der Z-KG 60 €. Die Q Verwaltungs-GmbH hatte keine Einlage zu erbringen und hält keinen Kapitalanteil; sie ist nicht am Gewinn und Verlust beteiligt und besitzt keine Stimmrechte. Geschäftsführer der Q Verwaltungs-GmbH sind B und C. An der Z-KG sind weder A noch B oder ihnen nahestehende Personen, sondern Fremdinvestoren beteiligt.
Das Finanzamt beanstandete die nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Klägerin für das Jahr 2013, in denen sie den vollen Vorsteuerabzug aus ihren Eingangsleistungen vornahm, zunächst nicht. Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung wertete die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge der Klägerin für die X-KG und die Y-KG als nichtsteuerbare Tätigkeiten. Sie hätten nicht der Erzielung von Einnahmen in umsatzsteuerrechtlichem Sinne gedient und seien deshalb nicht der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin zuzuordnen. Vorsteuerbeträge, die direkt und unmittelbar mit diesen Tätigkeiten zusammenhängen, seien nicht abziehbar. Soweit die Klägerin gemischte Aufwendungen beziehe, die nicht unmittelbar und direkt die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge beträfen, seien die Vorsteuerbeträge um 18 % zu kürzen. Das Finanzamt erließ entsprechende Änderungsbescheide.
In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2013 machte die Klägerin u.a. abziehbare Vorsteuerbeträge i.H.v. 413.268 € geltend. Das Finanzamt berücksichtigte lediglich 130.201 €. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamtes hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Gründe:
Es ist i.S. des Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zweifelhaft, ob die Klägerin die Vorsteuer deshalb nicht abziehen kann, weil sie die Eingangsleistungen bezogen hat, um sie in die Tochtergesellschaften einzulegen und diese Leistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen der Tochtergesellschaften stehen. Dem EuGH werden deshalb folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin gehend auszulegen, dass einer geschäftsleitenden Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug auch für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, obwohl die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holding, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen in den Preis der (an die Tochtergesellschaften erbrachten) steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Stellt es einen Rechtsmissbrauch im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften "zwischengeschaltet" wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, oder kann diese Zwischenschaltung durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, obwohl der volle Vorsteuerabzug an sich systemwidrig ist und zu einem Wettbewerbsvorteil von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen führen würde?