EuGH-Vorlage zur Auslegung des Art. 239 Abs. 1 zweiter Anstrich Zollkodex
FG Düsseldorf v. 5.2.2020 - 14 K 3341/15 E
Der Sachverhalt:
Die Klägerin stellt Arzneimittel her und vertreibt diese. Das beklagte Hauptzollamt erteilte der Klägerin im Oktober 2008 eine Bewilligung, als zugelassene Ausführerin Gemeinschaftswaren ausführen zu dürfen. Die Klägerin hatte im Dezember 2014 beim beklagten Hauptzollamt (HZA) 12,5 kg aus dem nichteuropäischen Ausland eingeführtes AAA, das sie zur Herstellung eines Arzneimittels verwenden wollte, zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet. Das HZA nahm die Anmeldungen an und setzte gegen die Klägerin 181.491 € Zoll fest. Der bei der Klägerin für die Einfuhr zuständige Angestellte kennzeichnete das eingeführte AAA daraufhin in ihrem Datenverarbeitungssystem als Gemeinschaftsware, indem er die Abkürzung "IM" verwendete.
In der Folgezeit entschloss sich die Klägerin, das eingeführte AAA im Rahmen eines aktiven Veredelungsverkehrs zu verarbeiten. Deshalb beantragte sie beim HZA, ihr rückwirkend eine entsprechende Bewilligung zu erteilen. Die Behörde erteilte der Klägerin rückwirkend ab Dezember 2014 die Bewilligung einer aktiven Veredelung im Nichterhebungsverfahren für die Herstellung von Arzneimitteln aus dem eingeführten AAA und erklärte die für die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommenen Zollanmeldungen für ungültig. Es wies die Klägerin darauf hin, dass die Veredelungserzeugnisse für die Beendigung der aktiven Veredelung beim Zollamt zu stellen und unter Angabe des Verfahrenscodes 3151 aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft wieder auszuführen oder einer anderen zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen seien.
Das HZA erstattete der Klägerin wegen der Ungültigerklärung der Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr den festgesetzten Zoll. Die Klägerin führte im März und April 2015 insgesamt 219,361 kg aus dem AAA hergestellte Arzneimittel sowie 4,31 kg nicht verarbeitetes AAA aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in das Ausland aus. Im Rahmen der ihr erteilten Bewilligung meldete sie alles als zugelassene Ausführerin unter Verwendung der Verfahrenscodes 1000 und 1041 an, weil der für die Abwicklung der Einfuhren zuständige Angestellte es unterlassen hatte, das AAA nach der Ungültigerklärung der Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr in ihrem Datenverarbeitungssystem als Nichtgemeinschaftsware zu kennzeichnen. Aus diesem Grund wurden die von der Klägerin ausgeführten Veredelungserzeugnisse und das AAA dem Zollamt nicht gestellt.
Das HZA setzte gegen die Klägerin 179.241 € Zoll fest, weil sie das AAA und die Veredelungserzeugnisse der zollamtlichen Überwachung entzogen habe. Die Klägerin hielt dagegen, sie habe irrtümlich bei der erstmaligen Durchführung des Verfahrens der aktiven Veredelung einen unzutreffenden Verfahrenscode verwendet. Die Waren seien jedoch tatsächlich wieder ausgeführt worden und deshalb nicht in den Wirtschaftskreislauf der Gemeinschaft gelangt.
Das FG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 239 Absatz 1 zweiter Anstrich der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften dahin auszulegen, dass danach in einem Fall wie dem Ausgangsrechtsstreit, in dem die von dem Beteiligten eingeführten Nichtgemeinschaftswaren aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft wieder ausgeführt wurden und die Umstände, die zur Entstehung der Zollschuld geführt haben, nicht auf eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind, der Zoll erstattet werden kann?
Die Gründe:
Nach Überzeugung des Senats steht einer Erstattung des vom HZA festgesetzten Zolls keine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin entgegen. Bei der Prüfung der Frage, ob eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, sind insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet hat, sowie die Erfahrung und Sorgfalt des Wirtschaftsbeteiligten zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsbeteiligten ist zu prüfen, ob er im Wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung derartiger Geschäfte verfügt.
Die Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet hat, waren komplex. Die Klägerin sah sich auf Grund der rückwirkenden Bewilligung eines aktiven Veredelungsverkehrs mit einer komplexen zollrechtlichen Situation konfrontiert. Sie war hinsichtlich des aktiven Veredelungsverkehrs zudem keine erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin.
Der Einwand des HZA, die Angestellten der Klägerin hätten gerade wegen der Komplexität der einschlägigen Vorschriften die Ausführungen in den Bewilligungen zur Kenntnis nehmen müssen, kann nach Überzeugung des Senats nicht die Annahme einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Klägerin begründen. Zu der Anmeldung der Nichtgemeinschaftswaren unter einem unzutreffenden Verfahrenscode und dem Unterbleiben der Gestellung der Waren vor ihrer Wiederausfuhr ist es vielmehr auf Grund eines Arbeitsfehlers eines Angestellten der Klägerin gekommen. Denn der für die Abwicklung der Einfuhren zuständige Angestellte hatte es unterlassen, das AAA nach der Ungültigerklärung der Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr in dem Datenverarbeitungssystem der Klägerin als Nichtgemeinschaftsware zu kennzeichnen. Dieser Arbeitsfehler hätte auch durch eine Lektüre der Bewilligungen nicht vermieden werden können.
FG Düsseldorf online
Die Klägerin stellt Arzneimittel her und vertreibt diese. Das beklagte Hauptzollamt erteilte der Klägerin im Oktober 2008 eine Bewilligung, als zugelassene Ausführerin Gemeinschaftswaren ausführen zu dürfen. Die Klägerin hatte im Dezember 2014 beim beklagten Hauptzollamt (HZA) 12,5 kg aus dem nichteuropäischen Ausland eingeführtes AAA, das sie zur Herstellung eines Arzneimittels verwenden wollte, zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet. Das HZA nahm die Anmeldungen an und setzte gegen die Klägerin 181.491 € Zoll fest. Der bei der Klägerin für die Einfuhr zuständige Angestellte kennzeichnete das eingeführte AAA daraufhin in ihrem Datenverarbeitungssystem als Gemeinschaftsware, indem er die Abkürzung "IM" verwendete.
In der Folgezeit entschloss sich die Klägerin, das eingeführte AAA im Rahmen eines aktiven Veredelungsverkehrs zu verarbeiten. Deshalb beantragte sie beim HZA, ihr rückwirkend eine entsprechende Bewilligung zu erteilen. Die Behörde erteilte der Klägerin rückwirkend ab Dezember 2014 die Bewilligung einer aktiven Veredelung im Nichterhebungsverfahren für die Herstellung von Arzneimitteln aus dem eingeführten AAA und erklärte die für die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angenommenen Zollanmeldungen für ungültig. Es wies die Klägerin darauf hin, dass die Veredelungserzeugnisse für die Beendigung der aktiven Veredelung beim Zollamt zu stellen und unter Angabe des Verfahrenscodes 3151 aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft wieder auszuführen oder einer anderen zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen seien.
Das HZA erstattete der Klägerin wegen der Ungültigerklärung der Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr den festgesetzten Zoll. Die Klägerin führte im März und April 2015 insgesamt 219,361 kg aus dem AAA hergestellte Arzneimittel sowie 4,31 kg nicht verarbeitetes AAA aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in das Ausland aus. Im Rahmen der ihr erteilten Bewilligung meldete sie alles als zugelassene Ausführerin unter Verwendung der Verfahrenscodes 1000 und 1041 an, weil der für die Abwicklung der Einfuhren zuständige Angestellte es unterlassen hatte, das AAA nach der Ungültigerklärung der Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr in ihrem Datenverarbeitungssystem als Nichtgemeinschaftsware zu kennzeichnen. Aus diesem Grund wurden die von der Klägerin ausgeführten Veredelungserzeugnisse und das AAA dem Zollamt nicht gestellt.
Das HZA setzte gegen die Klägerin 179.241 € Zoll fest, weil sie das AAA und die Veredelungserzeugnisse der zollamtlichen Überwachung entzogen habe. Die Klägerin hielt dagegen, sie habe irrtümlich bei der erstmaligen Durchführung des Verfahrens der aktiven Veredelung einen unzutreffenden Verfahrenscode verwendet. Die Waren seien jedoch tatsächlich wieder ausgeführt worden und deshalb nicht in den Wirtschaftskreislauf der Gemeinschaft gelangt.
Das FG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 239 Absatz 1 zweiter Anstrich der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften dahin auszulegen, dass danach in einem Fall wie dem Ausgangsrechtsstreit, in dem die von dem Beteiligten eingeführten Nichtgemeinschaftswaren aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft wieder ausgeführt wurden und die Umstände, die zur Entstehung der Zollschuld geführt haben, nicht auf eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind, der Zoll erstattet werden kann?
Die Gründe:
Nach Überzeugung des Senats steht einer Erstattung des vom HZA festgesetzten Zolls keine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin entgegen. Bei der Prüfung der Frage, ob eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, sind insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet hat, sowie die Erfahrung und Sorgfalt des Wirtschaftsbeteiligten zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsbeteiligten ist zu prüfen, ob er im Wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung derartiger Geschäfte verfügt.
Die Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet hat, waren komplex. Die Klägerin sah sich auf Grund der rückwirkenden Bewilligung eines aktiven Veredelungsverkehrs mit einer komplexen zollrechtlichen Situation konfrontiert. Sie war hinsichtlich des aktiven Veredelungsverkehrs zudem keine erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin.
Der Einwand des HZA, die Angestellten der Klägerin hätten gerade wegen der Komplexität der einschlägigen Vorschriften die Ausführungen in den Bewilligungen zur Kenntnis nehmen müssen, kann nach Überzeugung des Senats nicht die Annahme einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Klägerin begründen. Zu der Anmeldung der Nichtgemeinschaftswaren unter einem unzutreffenden Verfahrenscode und dem Unterbleiben der Gestellung der Waren vor ihrer Wiederausfuhr ist es vielmehr auf Grund eines Arbeitsfehlers eines Angestellten der Klägerin gekommen. Denn der für die Abwicklung der Einfuhren zuständige Angestellte hatte es unterlassen, das AAA nach der Ungültigerklärung der Zollanmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr in dem Datenverarbeitungssystem der Klägerin als Nichtgemeinschaftsware zu kennzeichnen. Dieser Arbeitsfehler hätte auch durch eine Lektüre der Bewilligungen nicht vermieden werden können.