EuGH-Vorlage zur sofortigen Besteuerung eines Wertzuwachses im Zeitpunkt des Wegzugs
FG Baden-Württemberg 14.6.2017, 2 K 2413/15Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und seit 2008 Geschäftsführer einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft, an der er zur Hälfte beteiligt ist. Im Streitjahr 2011 hatte er seinen Wohnsitz vom Inland in die Schweiz verlegt. Das beklagte Finanzamt unterwarf daraufhin die Wertsteigerung des Anteils an der Kapitalgesellschaft, die sog. stillen Reserven, im Inland der Besteuerung. Es setzte einen fiktiven Veräußerungsgewinn nach dem Außensteuergesetz unter Berücksichtigung des Teileinkünfteverfahrens nach dem EStG i.H.v. 113.645 € fest.
Das Finanzamt war der Ansicht, der Wegzug führe zur zeitlichen Vorverlagerung der Einkommensteuer auf den Gewinn aus einer (möglichen) Veräußerung des Anteils an der Kapitalgesellschaft. Die Steuer hierauf sei nicht zinslos, unbefristet und ohne Sicherheitsleistung bis zum Verkauf der Anteile zu stunden. Stundungsmöglichkeiten bestünden lediglich bei einem Wegzug in einen EU-Mitgliedstaat. Die Gefahr einer Doppelbesteuerung bestehe nicht. Eine Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft unterliege in der Schweiz nicht der Besteuerung.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das FG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die sofortige Besteuerung eines Wertzuwachses im Zeitpunkt des Wegzugs mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Das Verfahren ist dort unter dem Az. C-581/17 anhängig.
Die Gründe:
Der Kläger kann sich auf das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz über die Freizügigkeit (FZA) berufen. Das Abkommen enthält nämlich ein Diskriminierungsverbot. Die EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten ist durchaus auf die im FZA normierten Freizügigkeitsrechte im Verhältnis zur Schweiz übertragbar.
Die Niederlassungsfreiheit, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die allgemeine Freizügigkeit stehen zudem jeder Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung derselben zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Die sog. Wegzugsbesteuerung hat für den Kläger, der seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegt hat, zumindest abschreckende Wirkung. Er hat nach nationalem Recht einen nicht realisierten Gewinn im Zeitpunkt des Wegzugs zu versteuern.
Die Besteuerung kann zwar gerechtfertigt sein, da sie eine "ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip, verbunden mit einer zeitlichen Komponente sicherstellt. Die Besteuerungsbefugnis erstreckt sich dabei lediglich auf die Wertzuwächse, die im deutschen Hoheitsgebiet in dem Zeitpunkt erzielt wurden, in dem der Kläger im Inland ansässig war. Die sofortige Einziehung der Steuer ist jedoch nicht verhältnismäßig. Denn eine automatische zeitlich unbegrenzte Stundung bis zur Realisierung der Gewinne könnte ein milderes Mittel darstellen.