EuGH-Vorlagen zum Umfang des unionsrechtlichen Zinsanspruchs nach zu Unrecht erhobenen Abgaben
FG Hamburg v. 1.9.2020 - 4 K 14/20
Der Sachverhalt:
Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH besteht eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedsstaaten, zu erstattende Beträge ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen, wenn Einfuhr- oder andere Abgaben unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben worden sind (zuletzt EuGH v. 18.1.2017 - C-365/15, Wortmann). Sämtliche Entscheidungen betrafen einen Ausgleich für Zahlungen, die aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärter Normen erfolgt waren, mithin auf einem Rechtssetzungsfehler beruhten.
In den drei Vorabentscheidungsverfahren des 4. Senats geht es dagegen um Folgen von Rechtsanwendungsfehlern. Dem geltend gemachten Zinsanspruch liegt in dem Verfahren 4 K 67/18 eine Entscheidung zugrunde, mit der das Hauptzollamt zu Unrecht Einfuhrabgaben nacherhoben hatte, weil es Ware fehlerhaft einer Position der Kombinierten Nomenklatur zugeordnet hatte. In der Sache 4 K 56/18 hatte das Hauptzollamt eine Unterposition der Kombinierten Nomenklatur falsch ausgelegt und zu Unrecht die Gewährung von Ausfuhrerstattungen verweigert und überdies eine Sanktion wegen vermeintlich überhöhter Beantragung von Ausfuhrerstattung verhängt. In dem Verfahren 4 K 14/20 hatte die Behörde schließlich einen fehlerhaften Sachverhalt zugrunde gelegt. Nach nationalem Recht kam eine Verzinsung der Erstattungsansprüche jeweils nur für Zeiten der Rechtshängigkeit nach § 236 AO in Betracht.
Die Gründe:
Der EuGH hat nun darüber zu befinden, ob seine Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Zinsanspruch auch auf Einzelfallentscheidungen von Verwaltungsbehörden auszudehnen ist. Die bisherige Rechtsprechung beruht im Kern auf der Überlegung, dass die Wirkungen von Handlungen der Union bzw. der Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht fortbestehen sollen, sofern der Gerichtshof diese Handlungen wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärt (arg. e contrario Art. 264 UAbs. 2 AEUV).
In Konsequenz dieser Erwägungen soll der Einzelne nicht nur einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Abgaben, sondern auch der Beträge haben, die im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Abgaben an den Mitgliedstaat gezahlt oder einbehalten worden sind, worunter auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen fallen sollen. Der Zustand soll wiederhergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der Rechtsakt zur Durchführung der später für ungültig oder nichtig erklärten Unionsverordnung bzw. zur Umsetzung des mit dem Unionsrecht unvereinbaren mitgliedstaatlichen Steuergesetzes nicht erlassen worden wäre. Aus Sicht des betroffenen Steuerpflichtigen sollte es letztlich keinen Unterschied machen, ob seine Einbußen auf einem später für unionsrechtswidrig erklärten Rechtsetzungsakt oder auf einer Einzelfallentscheidung beruhen, die unter Missachtung von Unionsrecht ergangen ist.
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Im Einzelnen geht es um folgende Vorlagefragen:
FG Hamburg PM Nr. 3 vom 30.9.2020
Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH besteht eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedsstaaten, zu erstattende Beträge ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen, wenn Einfuhr- oder andere Abgaben unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben worden sind (zuletzt EuGH v. 18.1.2017 - C-365/15, Wortmann). Sämtliche Entscheidungen betrafen einen Ausgleich für Zahlungen, die aufgrund eines Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärter Normen erfolgt waren, mithin auf einem Rechtssetzungsfehler beruhten.
In den drei Vorabentscheidungsverfahren des 4. Senats geht es dagegen um Folgen von Rechtsanwendungsfehlern. Dem geltend gemachten Zinsanspruch liegt in dem Verfahren 4 K 67/18 eine Entscheidung zugrunde, mit der das Hauptzollamt zu Unrecht Einfuhrabgaben nacherhoben hatte, weil es Ware fehlerhaft einer Position der Kombinierten Nomenklatur zugeordnet hatte. In der Sache 4 K 56/18 hatte das Hauptzollamt eine Unterposition der Kombinierten Nomenklatur falsch ausgelegt und zu Unrecht die Gewährung von Ausfuhrerstattungen verweigert und überdies eine Sanktion wegen vermeintlich überhöhter Beantragung von Ausfuhrerstattung verhängt. In dem Verfahren 4 K 14/20 hatte die Behörde schließlich einen fehlerhaften Sachverhalt zugrunde gelegt. Nach nationalem Recht kam eine Verzinsung der Erstattungsansprüche jeweils nur für Zeiten der Rechtshängigkeit nach § 236 AO in Betracht.
Die Gründe:
Der EuGH hat nun darüber zu befinden, ob seine Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Zinsanspruch auch auf Einzelfallentscheidungen von Verwaltungsbehörden auszudehnen ist. Die bisherige Rechtsprechung beruht im Kern auf der Überlegung, dass die Wirkungen von Handlungen der Union bzw. der Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht fortbestehen sollen, sofern der Gerichtshof diese Handlungen wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder nichtig erklärt (arg. e contrario Art. 264 UAbs. 2 AEUV).
In Konsequenz dieser Erwägungen soll der Einzelne nicht nur einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Abgaben, sondern auch der Beträge haben, die im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Abgaben an den Mitgliedstaat gezahlt oder einbehalten worden sind, worunter auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen fallen sollen. Der Zustand soll wiederhergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der Rechtsakt zur Durchführung der später für ungültig oder nichtig erklärten Unionsverordnung bzw. zur Umsetzung des mit dem Unionsrecht unvereinbaren mitgliedstaatlichen Steuergesetzes nicht erlassen worden wäre. Aus Sicht des betroffenen Steuerpflichtigen sollte es letztlich keinen Unterschied machen, ob seine Einbußen auf einem später für unionsrechtswidrig erklärten Rechtsetzungsakt oder auf einer Einzelfallentscheidung beruhen, die unter Missachtung von Unionsrecht ergangen ist.
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Im Einzelnen geht es um folgende Vorlagefragen:
- Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Anwendung des Unionsrechts festsetzt, ein mitgliedstaatliches Gericht jedoch später feststellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Erhebung der Abgabe nicht vorliegen? (FG Hamburg v. 1.9.2020 - 4 K 14/20; Az. beim EuGH: C-419/20)
- Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt? (FG Hamburg v. 1.9.2020 - 4 K 67/18; Az. beim EuGH: C-427/20)
- 1. Besteht die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, auch in Fällen, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom EuGH Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom Gerichtshof getroffene Auslegung einer (Unter-)Position der Kombinierten Nomenklatur ist?
2. Sind die Grundsätze des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar? (FG Hamburg v. 20.8.2020 - 4 K 56/18; Az. beim EuGH: C-415/20)