"Finanzielle Eingliederung" bei qualifizierten Mehrheitserfordernissen
Kurzbesprechung
9.8.2023, I R 50/20
KStG § 14 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 17
AktG § 17 Abs 2, § 133 Abs 1
GmbHG § 47 Abs 1, § 47 Abs 4
Streitig war, ob in den Jahren 2014 bis 2016 (Streitjahre) zwischen den Klägerinnen (zwei GmbH`s) eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand.
Der BFH hat dies verneint. Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG).
Unter anderem muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG).
Sofern sich ‑ wie im Streitfall ‑ eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (und damit auch eine inländische GmbH wie die Klägerin zu 2.) wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen, so gelten nach § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 (Abs. 1) Satz 2 (und Abs. 2) KStG zu berücksichtigen.
Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG nicht erfüllt war. Denn für die finanzielle Eingliederung ist auf die "Mehrheit der Stimmrechte" abzustellen. Da es insofern auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen ankommt, reicht grundsätzlich die einfache Mehrheit der Stimmrechte aus (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG).
Sofern dies nicht mit einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verbunden ist, wird die erforderliche Stimmenmehrheit grundsätzlich auch nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen über die Stimmrechte wie Stimmbindungsverträge und Stimmrechtsvollmachten beeinflusst. Dies folgt insbesondere daraus, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes allein die Stimmrechte "aus den Anteilen" maßgebend sind.
Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger aber zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen.
Vor diesem Hintergrund hatte das FG zutreffend die Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft herangezogen. Dort setzt die finanzielle Eingliederung grundsätzlich voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann. Für die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft ist darauf abzustellen, ob der Organträger durch die Stimmrechte seinen auf die Organgesellschaft bezogenen Geschäftsleitungswillen durchsetzen kann. Demnach sind auch von den Mehrheitserfordernissen des § 133 Abs. 1 AktG und des § 47 Abs. 1 GmbHG abweichende Satzungsbestimmungen zu berücksichtigen.
Die neuere Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft, wonach eine Willensdurchsetzung auch bei nur 50 % der Stimmrechte möglich sei, beruht dagegen auf einer Gesamtbetrachtung von finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Eingliederung, die nicht auf die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft übertragbar ist.
Im Streitfall fehlte der Klägerin zu 1. die für eine finanzielle Eingliederung erforderliche qualifizierte Stimmenmehrheit. Denn nach § 8 des Gesellschaftsvertrags war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Über diese qualifizierte Mehrheit verfügte sie jedoch nicht.
Verlag Dr. Otto Schmidt
KStG § 14 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 17
AktG § 17 Abs 2, § 133 Abs 1
GmbHG § 47 Abs 1, § 47 Abs 4
Streitig war, ob in den Jahren 2014 bis 2016 (Streitjahre) zwischen den Klägerinnen (zwei GmbH`s) eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand.
Der BFH hat dies verneint. Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG).
Unter anderem muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG).
Sofern sich ‑ wie im Streitfall ‑ eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (und damit auch eine inländische GmbH wie die Klägerin zu 2.) wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen, so gelten nach § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 (Abs. 1) Satz 2 (und Abs. 2) KStG zu berücksichtigen.
Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG nicht erfüllt war. Denn für die finanzielle Eingliederung ist auf die "Mehrheit der Stimmrechte" abzustellen. Da es insofern auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen ankommt, reicht grundsätzlich die einfache Mehrheit der Stimmrechte aus (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG).
Sofern dies nicht mit einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verbunden ist, wird die erforderliche Stimmenmehrheit grundsätzlich auch nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen über die Stimmrechte wie Stimmbindungsverträge und Stimmrechtsvollmachten beeinflusst. Dies folgt insbesondere daraus, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes allein die Stimmrechte "aus den Anteilen" maßgebend sind.
Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger aber zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen.
Vor diesem Hintergrund hatte das FG zutreffend die Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft herangezogen. Dort setzt die finanzielle Eingliederung grundsätzlich voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann. Für die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft ist darauf abzustellen, ob der Organträger durch die Stimmrechte seinen auf die Organgesellschaft bezogenen Geschäftsleitungswillen durchsetzen kann. Demnach sind auch von den Mehrheitserfordernissen des § 133 Abs. 1 AktG und des § 47 Abs. 1 GmbHG abweichende Satzungsbestimmungen zu berücksichtigen.
Die neuere Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft, wonach eine Willensdurchsetzung auch bei nur 50 % der Stimmrechte möglich sei, beruht dagegen auf einer Gesamtbetrachtung von finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Eingliederung, die nicht auf die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft übertragbar ist.
Im Streitfall fehlte der Klägerin zu 1. die für eine finanzielle Eingliederung erforderliche qualifizierte Stimmenmehrheit. Denn nach § 8 des Gesellschaftsvertrags war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Über diese qualifizierte Mehrheit verfügte sie jedoch nicht.