Gerichtliche Überprüfung von im Rahmen grenzüberschreitenden Informationsaustauschs zwischen Steuerbehörden erlassenen Auskunftsanordnungen
EuGH, C-245/19 u.a.: Schlussanträge des Generalanwalts vom 2.7.2020
Der Sachverhalt:
Gestützt auf das luxemburgisch-spanische Steuerabkommen sowie die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung hat die spanische Steuerverwaltung die luxemburgische Steuerverwaltung im Oktober 2016 und im März 2017 um Informationen über eine in Spanien wohnende Künstlerin ersucht. Die luxemburgische Steuerverwaltung verfügte selbst nicht über die erbetenen Informationen. Um dem ersten Informationsersuchen nachzukommen, verpflichtete sie daher eine luxemburgische Gesellschaft, Kopien der zwischen ihr und anderen Gesellschaften geschlossenen Verträge über die Rechte der Künstlerin sowie weitere Unterlagen einzureichen, insbesondere Kopien zugehöriger Rechnungen und Kontoinformationen. Dabei wurde entsprechend dem damals geltenden luxemburgischen Recht der Rechtsweg ausgeschlossen. Das luxemburgische Recht sieht zudem vor, dass gegen den Informationsinhaber eine Geldbuße von bis zu 250.000 € verhängt werden kann, wenn er einer solchen Anordnung nicht innerhalb eines Monats nachkommt.
Um dem zweiten Informationsersuchen nachzukommen, verpflichtete die luxemburgische Steuerverwaltung eine luxemburgische Bank, ihr Informationen über Konten, Kontostände und andere Vermögenswerte der Steuerpflichtigen selbst sowie über Vermögenswerte zu erteilen, die diese in anderen von ihr kontrollierten Gesellschaften hielt. Auch hier wurde der Rechtsweg ausgeschlossen. Dennoch haben die luxemburgische Gesellschaft, an die die erste Anordnung gerichtet war (C-245/19), die luxemburgische Bank, an die die zweite Anordnung gerichtet war, die darin erwähnten Gesellschaften und die Künstlerin die Anordnungen vor den luxemburgischen Gerichten angefochten.
Die in zweiter Instanz mit diesen Rechtsstreitigkeiten befasste Verwaltungsgerichtshof in Luxembourg möchte vom EuGH wissen, ob bereits die Auskunftsanordnung einen Grundrechtseingriff bei dem Auskunftsverpflichteten, dem Steuerpflichtigen und weiteren dadurch betroffenen Dritten darstellt, gegen den ein wirksamer Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union statthaft sein muss. Außerdem fragt der Verwaltungsgerichtshof, wie konkret und präzise das Ersuchen im Hinblick auf die betroffenen Personen gefasst sein muss, damit die ersuchte Steuerbehörde die "voraussichtliche Erheblichkeit" der angeforderten Informationen für das Steuerverfahren im anderen Mitgliedstaat beurteilen kann. Nur "voraussichtlich erhebliche" Informationen sind nämlich Gegenstand der Verwaltungszusammenarbeit nach der Richtlinie.
Die Gründe:
In ihren Schlussanträgen schlägt Generalanwältin Juliane Kokott dem EuGH vor, die erste Frage dahingehend zu beantworten, dass die Entscheidung, mit der eine aufgrund der Richtlinie 2011/16 um Unterstützung ersuchte Behörde eine Person zu Auskünften über einen Steuerpflichtigen oder Dritte verpflichtet, von dieser Person, dem Steuerpflichtigen und betroffenen Dritten vor den Gerichten des ersuchten Mitgliedstaats angefochten werden kann.
Der Adressat der Auskunftsanordnung hat gem. Art. 47 der Charta ohne weiteres das Recht, die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, weil diese Anordnung ihm gegenüber einen belastenden Rechtsakt darstellt. Ob und welche (anderen) durch die Charta garantierten Grundrechte des Adressaten möglicherweise verletzt worden sind, kann daher offen bleiben. Da die Verpflichtung eines Dritten zur Weitergabe personenbezogener Daten eines Steuerpflichtigen jedenfalls in dessen Grundrecht auf Schutz solcher Daten eingreift, kann auch der betroffene Steuerpflichtige die Rechtmäßigkeit einer solchen Auskunftsanordnung gem. Art. 47 der Charta vor Gericht überprüfen lassen. Die Möglichkeit, einen etwaigen späteren Steuerbescheid anzufechten, bietet keinen ausreichenden Schutz seines Grundrechts auf Datenschutz.
Hinsichtlich der betroffenen Dritten (hier mehrere Gesellschaften) weist die Generalanwältin darauf hin, dass sich das Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Daten (Art. 8 der Charta) nach der Rechtsprechung prinzipiell auf natürliche Personen bezieht. Juristische Personen können sich aber jedenfalls auf das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 der Charta) berufen, wenn wie hier Informationen zu Bankkonten und Vermögenswerten verlangt werden. Auch solche Dritte können die Auskunftsanordnung daher gem. Art. 47 der Charta gerichtlich überprüfen lassen. Folglich verstößt der Ausschluss des Rechtsschutzes für den Adressaten der Auskunftsanordnung, für den betroffenen Steuerpflichtigen und für davon betroffene Dritte, gegen Art. 47 der Charta.
Hinsichtlich der zweiten Frage schlägt Generalanwältin Kokott dem EuGH vor, zu antworten, dass die ersuchende Behörde das Informationsersuchen begründen muss, damit die ersuchte Behörde prüfen kann, ob die voraussichtliche Erheblichkeit der angefragten Informationen für die Steuerfestsetzung durch die ersuchende Behörde nicht offenkundig fehlt. Aus dem Ersuchen müssen sich konkrete Anhaltspunkte für die steuerrelevanten Tatsachen oder Vorgänge ergeben, so dass eine unzulässige Beweisausforschung (fishing expedition) ausgeschlossen ist. So muss die ersuchende Behörde normalerweise die Tatsachen, die sie untersuchen möchte, oder wenigstens konkrete Verdachtsmomente für diese Tatsachen und deren steuerrechtliche Relevanz in das Informationsersuchen aufnehmen. Dies muss es dem ersuchten Staat ermöglichen, durch die Amtshilfe bedingte Grundrechtseingriffe beim Adressaten, dem Steuerpflichtigen oder betroffenen Dritten vor seinen Gerichten zu rechtfertigen. Die Anforderungen an die Begründungspflicht steigen mit dem Umfang und der Sensibilität der begehrten Informationen.
EuGH PM Nr. 80 vom 2.7.2020
Gestützt auf das luxemburgisch-spanische Steuerabkommen sowie die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung hat die spanische Steuerverwaltung die luxemburgische Steuerverwaltung im Oktober 2016 und im März 2017 um Informationen über eine in Spanien wohnende Künstlerin ersucht. Die luxemburgische Steuerverwaltung verfügte selbst nicht über die erbetenen Informationen. Um dem ersten Informationsersuchen nachzukommen, verpflichtete sie daher eine luxemburgische Gesellschaft, Kopien der zwischen ihr und anderen Gesellschaften geschlossenen Verträge über die Rechte der Künstlerin sowie weitere Unterlagen einzureichen, insbesondere Kopien zugehöriger Rechnungen und Kontoinformationen. Dabei wurde entsprechend dem damals geltenden luxemburgischen Recht der Rechtsweg ausgeschlossen. Das luxemburgische Recht sieht zudem vor, dass gegen den Informationsinhaber eine Geldbuße von bis zu 250.000 € verhängt werden kann, wenn er einer solchen Anordnung nicht innerhalb eines Monats nachkommt.
Um dem zweiten Informationsersuchen nachzukommen, verpflichtete die luxemburgische Steuerverwaltung eine luxemburgische Bank, ihr Informationen über Konten, Kontostände und andere Vermögenswerte der Steuerpflichtigen selbst sowie über Vermögenswerte zu erteilen, die diese in anderen von ihr kontrollierten Gesellschaften hielt. Auch hier wurde der Rechtsweg ausgeschlossen. Dennoch haben die luxemburgische Gesellschaft, an die die erste Anordnung gerichtet war (C-245/19), die luxemburgische Bank, an die die zweite Anordnung gerichtet war, die darin erwähnten Gesellschaften und die Künstlerin die Anordnungen vor den luxemburgischen Gerichten angefochten.
Die in zweiter Instanz mit diesen Rechtsstreitigkeiten befasste Verwaltungsgerichtshof in Luxembourg möchte vom EuGH wissen, ob bereits die Auskunftsanordnung einen Grundrechtseingriff bei dem Auskunftsverpflichteten, dem Steuerpflichtigen und weiteren dadurch betroffenen Dritten darstellt, gegen den ein wirksamer Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union statthaft sein muss. Außerdem fragt der Verwaltungsgerichtshof, wie konkret und präzise das Ersuchen im Hinblick auf die betroffenen Personen gefasst sein muss, damit die ersuchte Steuerbehörde die "voraussichtliche Erheblichkeit" der angeforderten Informationen für das Steuerverfahren im anderen Mitgliedstaat beurteilen kann. Nur "voraussichtlich erhebliche" Informationen sind nämlich Gegenstand der Verwaltungszusammenarbeit nach der Richtlinie.
Die Gründe:
In ihren Schlussanträgen schlägt Generalanwältin Juliane Kokott dem EuGH vor, die erste Frage dahingehend zu beantworten, dass die Entscheidung, mit der eine aufgrund der Richtlinie 2011/16 um Unterstützung ersuchte Behörde eine Person zu Auskünften über einen Steuerpflichtigen oder Dritte verpflichtet, von dieser Person, dem Steuerpflichtigen und betroffenen Dritten vor den Gerichten des ersuchten Mitgliedstaats angefochten werden kann.
Der Adressat der Auskunftsanordnung hat gem. Art. 47 der Charta ohne weiteres das Recht, die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, weil diese Anordnung ihm gegenüber einen belastenden Rechtsakt darstellt. Ob und welche (anderen) durch die Charta garantierten Grundrechte des Adressaten möglicherweise verletzt worden sind, kann daher offen bleiben. Da die Verpflichtung eines Dritten zur Weitergabe personenbezogener Daten eines Steuerpflichtigen jedenfalls in dessen Grundrecht auf Schutz solcher Daten eingreift, kann auch der betroffene Steuerpflichtige die Rechtmäßigkeit einer solchen Auskunftsanordnung gem. Art. 47 der Charta vor Gericht überprüfen lassen. Die Möglichkeit, einen etwaigen späteren Steuerbescheid anzufechten, bietet keinen ausreichenden Schutz seines Grundrechts auf Datenschutz.
Hinsichtlich der betroffenen Dritten (hier mehrere Gesellschaften) weist die Generalanwältin darauf hin, dass sich das Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Daten (Art. 8 der Charta) nach der Rechtsprechung prinzipiell auf natürliche Personen bezieht. Juristische Personen können sich aber jedenfalls auf das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 der Charta) berufen, wenn wie hier Informationen zu Bankkonten und Vermögenswerten verlangt werden. Auch solche Dritte können die Auskunftsanordnung daher gem. Art. 47 der Charta gerichtlich überprüfen lassen. Folglich verstößt der Ausschluss des Rechtsschutzes für den Adressaten der Auskunftsanordnung, für den betroffenen Steuerpflichtigen und für davon betroffene Dritte, gegen Art. 47 der Charta.
Hinsichtlich der zweiten Frage schlägt Generalanwältin Kokott dem EuGH vor, zu antworten, dass die ersuchende Behörde das Informationsersuchen begründen muss, damit die ersuchte Behörde prüfen kann, ob die voraussichtliche Erheblichkeit der angefragten Informationen für die Steuerfestsetzung durch die ersuchende Behörde nicht offenkundig fehlt. Aus dem Ersuchen müssen sich konkrete Anhaltspunkte für die steuerrelevanten Tatsachen oder Vorgänge ergeben, so dass eine unzulässige Beweisausforschung (fishing expedition) ausgeschlossen ist. So muss die ersuchende Behörde normalerweise die Tatsachen, die sie untersuchen möchte, oder wenigstens konkrete Verdachtsmomente für diese Tatsachen und deren steuerrechtliche Relevanz in das Informationsersuchen aufnehmen. Dies muss es dem ersuchten Staat ermöglichen, durch die Amtshilfe bedingte Grundrechtseingriffe beim Adressaten, dem Steuerpflichtigen oder betroffenen Dritten vor seinen Gerichten zu rechtfertigen. Die Anforderungen an die Begründungspflicht steigen mit dem Umfang und der Sensibilität der begehrten Informationen.