Grenzgänger nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 bei 24-Stunden-Diensten und geringfügiger Beschäftigung
Kurzbesprechung
BFH v. 1. 6. 2022 - I R 32/19
DBA CHE Art 15a, Art 24 Abs 1 Nr. 1 S 1 Buchst d
KonsVerCHEV § 7
Streitig war der Status als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/ 2010. Der BFH entschied, dass das FG die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu Unrecht von der inländischen Besteuerung freigestellt hatte. Vielmehr war der Steuerpflichtige Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010.
Die Steuerpflichtigen (Eheleute) waren gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie hatten im Streitjahr ihren alleinigen Wohnsitz im Inland und unterlagen daher mit sämtlichen Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer. Hierzu gehörten auch die in der Schweiz erzielten Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).
Die Ausübung des inländischen Besteuerungsrechts war für diese Einkünfte auch nicht durch das DBA-Schweiz 1971/2010 eingeschränkt. Zwar sieht Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 bei einer in Deutschland ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus der Schweiz stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen. Die Anwendung des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 ist aber ausgeschlossen, wenn die Person als Grenzgänger im Sinne des dann vorrangig anzuwendenden Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 anzusehen ist.
Rechtsfehlerhaft war dagegen die Schlussfolgerung des FG, die Voraussetzungen des Grenzgängerbegriffs i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 seien schon wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort und der daraus folgenden Unzumutbarkeit einer Rückkehr nicht erfüllt. Denn der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert.
Darüber hinaus war das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die einzelnen Tage der Tätigkeit des Steuerpflichtigen in der Schweiz getrennt zu betrachten sind und dadurch die zulässige Anzahl schädlicher Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 überschritten wird. Vielmehr sind die drei mehrtägigen Arbeitseinsätze in der Schweiz aufgrund der lückenlosen Verbindung über 24-Stunden-Bereitschaftsdienste jeweils als Einheit zu betrachten. Da der Kläger am Ende jeder dieser "Arbeitseinheiten" jeweils an seinen Wohnort zurückgekehrt war, lag im Streitfall kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 eröffnen und zum Ausschluss des Status als Grenzgänger führen könnte.
Schließlich hatte das FG die Ablehnung der Qualifizierung als Grenzgänger zu Unrecht auch darauf gestützt, dass der Steuerpflichtige ausschließlich in dem Streitjahr und nur an insgesamt 31 Tagen in der Schweiz gearbeitet hatte. Auch diese Einschränkung lässt sich dem Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 nicht entnehmen.
Deutschland steht als Ansässigkeitsstaat gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 das Besteuerungsrecht an den vom Steuerpflichtigen in der Schweiz erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu. Der Steuerpflichtige erfüllte daher die Voraussetzungen eines Grenzgängers i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010, da er regelmäßig an seinen Wohnort zurückgekehrt war.
Im Streitjahr war es zu drei mehrtägigen Arbeitseinsätzen in der Schweiz gekommen, die wegen durchgängiger 24-Stunden-Bereitschaftsdienste jeweils als Einheit zu betrachten sind und an deren Ende der Steuerpflichtige jeweils an seinen Wohnort in Deutschland zurückgekehrt war. Es lag somit kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der zu einer Anwendung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 hätte führen können.
Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung war die gemäß Art. 15a Abs. 1 Satz 3 DBA-Schweiz 1971/2010 in der Schweiz erhobene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % auf die inländische Einkommensteuer anzurechnen.
Hinweis: Siehe hierzu auch die am gleichen Tage veröffentlichte, teilweise gleich lautende Entscheidung des I. Senats des BFH v. 28.6.2022 - I R 24/21.
Verlag Dr. Otto Schmidt
DBA CHE Art 15a, Art 24 Abs 1 Nr. 1 S 1 Buchst d
KonsVerCHEV § 7
Streitig war der Status als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/ 2010. Der BFH entschied, dass das FG die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu Unrecht von der inländischen Besteuerung freigestellt hatte. Vielmehr war der Steuerpflichtige Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010.
Die Steuerpflichtigen (Eheleute) waren gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie hatten im Streitjahr ihren alleinigen Wohnsitz im Inland und unterlagen daher mit sämtlichen Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer. Hierzu gehörten auch die in der Schweiz erzielten Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).
Die Ausübung des inländischen Besteuerungsrechts war für diese Einkünfte auch nicht durch das DBA-Schweiz 1971/2010 eingeschränkt. Zwar sieht Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 bei einer in Deutschland ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus der Schweiz stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen. Die Anwendung des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 ist aber ausgeschlossen, wenn die Person als Grenzgänger im Sinne des dann vorrangig anzuwendenden Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 anzusehen ist.
Rechtsfehlerhaft war dagegen die Schlussfolgerung des FG, die Voraussetzungen des Grenzgängerbegriffs i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 seien schon wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort und der daraus folgenden Unzumutbarkeit einer Rückkehr nicht erfüllt. Denn der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert.
Darüber hinaus war das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die einzelnen Tage der Tätigkeit des Steuerpflichtigen in der Schweiz getrennt zu betrachten sind und dadurch die zulässige Anzahl schädlicher Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 überschritten wird. Vielmehr sind die drei mehrtägigen Arbeitseinsätze in der Schweiz aufgrund der lückenlosen Verbindung über 24-Stunden-Bereitschaftsdienste jeweils als Einheit zu betrachten. Da der Kläger am Ende jeder dieser "Arbeitseinheiten" jeweils an seinen Wohnort zurückgekehrt war, lag im Streitfall kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 eröffnen und zum Ausschluss des Status als Grenzgänger führen könnte.
Schließlich hatte das FG die Ablehnung der Qualifizierung als Grenzgänger zu Unrecht auch darauf gestützt, dass der Steuerpflichtige ausschließlich in dem Streitjahr und nur an insgesamt 31 Tagen in der Schweiz gearbeitet hatte. Auch diese Einschränkung lässt sich dem Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 nicht entnehmen.
Deutschland steht als Ansässigkeitsstaat gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 das Besteuerungsrecht an den vom Steuerpflichtigen in der Schweiz erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu. Der Steuerpflichtige erfüllte daher die Voraussetzungen eines Grenzgängers i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010, da er regelmäßig an seinen Wohnort zurückgekehrt war.
Im Streitjahr war es zu drei mehrtägigen Arbeitseinsätzen in der Schweiz gekommen, die wegen durchgängiger 24-Stunden-Bereitschaftsdienste jeweils als Einheit zu betrachten sind und an deren Ende der Steuerpflichtige jeweils an seinen Wohnort in Deutschland zurückgekehrt war. Es lag somit kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der zu einer Anwendung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 hätte führen können.
Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung war die gemäß Art. 15a Abs. 1 Satz 3 DBA-Schweiz 1971/2010 in der Schweiz erhobene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % auf die inländische Einkommensteuer anzurechnen.
Hinweis: Siehe hierzu auch die am gleichen Tage veröffentlichte, teilweise gleich lautende Entscheidung des I. Senats des BFH v. 28.6.2022 - I R 24/21.