05.08.2019

Grundsätze zu § 129 AO gelten auch bei Nichtausfüllen ausdrücklich gestellter Fragen im elektronischen Erklärungsvordruck

Die in der BFH-Rechtsprechung zu § 129 AO entwickelten Grundsätze gelten auch bei der Einreichung elektronischer Steuererklärungen. Ein Körperschaftsteuerbescheid ist offenbar unrichtig, wenn die Steuerpflichtige die Zeile 44a der Körperschaftsteuererklärung nicht ausgefüllt hat, obwohl sich aus den dem Finanzamt vorliegenden Steuerbescheinigungen und der Anlage WA zur Körperschaftsteuererklärung ergibt, dass die Steuerpflichtige eine Gewinnausschüttung einer GmbH erhalten und die Behörde in der Anrechnungsverfügung zum Körperschaftsteuerbescheid die Kapitalertragsteuer auf die Körperschaftsteuer angerechnet hat.

BFH v. 22.5.2019 - XI R 9/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte, vertreten durch einen Steuerberater, am 16.12.2014 in elektronischer Form ihre Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2013 eingereicht. Die Steuererklärung enthielt allerdings keine Angaben zu den Zeilen 44 ff. des Mantelbogens (inländische Sachverhalte i.S.d. § 8b KStG). Weder die Zeile 44a ("inländische Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG") noch die Zeile 44b ("davon ab: in Zeile 44a enthaltene inländische Bezüge, auf die § 8b Abs. 4 KStG anzuwenden ist") oder die Zeilen 44d und 44e enthielten Eintragungen.

Am 29.12.2014 reichte die Klägerin beim Finanzamt zwei Steuerbescheinigungen der C-GmbH ein, wonach an die Klägerin Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, d.h. Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG (Gewinnanteile aus Anteilen an einer GmbH), ausgeschüttet worden waren. Die Kapitalerträge betrugen 38.000 € und 130.000 € sowie die Kapitalertragsteuer 9.500 € und 32.500 €. In der Anlage WA war angegeben, dass die anrechenbare Kapitalertragsteuer 42.000 € betrage.

In der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) des Streitjahres hatte die Klägerin u.a. "Erträge aus Beteiligungen, nach Rechtsform der Beteiligung nicht zuordenbar" i.H.v. 168.000 € erfasst. Das Finanzamt erließ am 27.2.2015 auf Basis der Steuererklärung u.a. einen Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr. Die festgesetzte Körperschaftsteuer betrug 0 €. Die Kapitalertragsteuer wurde angerechnet. Gleichzeitig erließ es einen Bescheid über den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer. Die Bescheide blieben unangefochten.

Am 30.11.2015 beantragte die Klägerin, den Verlustfeststellungsbescheid für das Streitjahr dahingehend zu ändern, dass der Verlust um 159.600 € höher festgestellt werde. Bei Erlass des Bescheids sei eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen. Die Ausschüttung sei versehentlich als steuerpflichtig behandelt worden. Mit Schreiben vom 12.2.2016 ergänzte die Klägerin, der Bescheid sei auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, da dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden sei, dass die Beteiligung der Klägerin an der C-GmbH mehr als 15 % betrage.

Das Finanzamt legte den Antrag der Klägerin auch als Antrag aus, den Körperschaftsteuerbescheid zu ändern, und lehnte diesen Antrag ab. Es befasste sich in seiner Begründung nur mit § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und führte dazu aus, ein Steuerpflichtiger handele grob schuldhaft, wenn er eine in einem Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage unbeantwortet lasse. Dies sei mit dem Nichtausfüllen der Zeilen 44 ff. geschehen. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.


Gründe:
Der Klägerin ist insoweit, als sie die Zeile 44a der Steuererklärung nicht ausgefüllt hatte, eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen, die aufgrund der der Steuererklärung beigefügten Unterlagen für das Finanzamt erkennbar war. Diese offenbare Unrichtigkeit hat das Finanzamt bei der Bescheiderstellung "als eigene" übernommen.

Liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 Satz 1 und 2 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig. Diese Grundsätze gelten auch bei der Einreichung elektronischer Steuererklärungen. Insofern lag auch im vorliegenden Fall eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO vor. Denn das Finanzamt konnte anhand der (vor der Bearbeitung der Steuererklärung von der Steuerpflichtigen nachgereichten) Steuerbescheinigungen und der Anlage WA erkennen, dass die Steuerpflichtige zwei Gewinnausschüttungen einer GmbH i.H.v. insgesamt 168.000 € erhalten hatte.

Das Finanzamt konnte anhand der beigefügten GuV weiter erkennen, dass die nämlichen Beträge als Gewinnausschüttungen im Steuerbilanzgewinn der Steuerpflichtigen erfasst waren. Dass dabei angegeben war, der Ausschüttungsbetrag sei der Rechtsform nach nicht zuordenbar, war aufgrund der dazu vorhandenen Angaben in den Steuerbescheinigungen ohne Bedeutung. Die Steuererklärung war daher unrichtig i.S.d. § 129 AO. Die Unrichtigkeit war angesichts der beigefügten Steuerbilanz, der beigefügten Steuerbescheinigungen und der Anlage WA für das Finanzamt auch offenbar. Eine Situation, in der eine beigefügte Bescheinigung den Sachverhalt nicht eindeutig ergibt lag im Streitfall nicht vor. Vielmehr bestand offenkundig eine Notwendigkeit, Zeile 44a der Steuererklärung auszufüllen.

Hinsichtlich der fehlenden Eintragung in Zeile 44a war auch ein Rechtsfehler der (Steuerberater der) Steuerpflichtigen ausgeschlossen. Ein Rechtsfehler könnte allenfalls in der Hinsicht denkbar sein, ob neben der Eintragung in Zeile 44a auch Eintragungen in der Zeile 44b oder in den Zeilen 44d und 44e hätten vorgenommen werden müssen. Die Klägerin hätte entweder (bei Vorliegen einer sog. Streubesitzdividende i.S.v. § 8b Abs. 4 KStG) denselben Betrag auch in Zeile 44b eintragen müssen (und das Einkommen wäre unverändert geblieben) oder sie hätte in den Fällen des § 8b Abs. 1 KStG mit Blick auf § 8b Abs. 5 KStG (5 % von 168.000 € =) 8.400 € in Zeile 44d vermerken müssen. Dann wären 159.600 € in Zeile 44e einzutragen gewesen; insoweit wäre das Einkommen gemindert worden. In allen Fällen wären jedoch Eintragungen in der Zeile 44a erforderlich gewesen.

Im vorliegenden Fall war jedoch weder das eine noch das andere geschehen, woraus sich ergab, dass - unabhängig davon, dass die Beteiligungshöhe nicht "offenbar" war - ein mechanisches Versehen vorlag, bei dem in Bezug auf die fehlende Eintragung in Zeile 44a der Steuererklärung ein Rechtsfehler ausgeschlossen werden konnte. Diese Zeile musste unabhängig von der Frage, ob eine sog. Streubesitzdividende vorlag oder nicht, ausgefüllt werden. Dem Sachumstand, dass Zeile 44a der Steuererklärung nicht ausgefüllt war, konnte keine rechtliche Überlegung des Beraters zugrunde liegen. Die Eintragung als Grundlage einer sachgerechten Deklaration der Gewinnausschüttungen wurde schlicht vom Steuerberater vergessen. Und dies stellte ein mechanisches Versehen dar.

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