Grundsätze zum Fortbestehen des Kindergeldanspruchs können auf krankheitsbedingte Unterbrechung eines Freiwilligendienstes übertragen werden
Hessisches FG v. 29.1.2020 - 9 K 182/19
Der Sachverhalt:
Die Tochter des Klägers hatte nach ihrem Abitur 2017 im September desselben Jahres ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) begonnen. Das Kind leidet seit etwa 2016 an Bulimie und Anorexie. Im Mai 2018 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Kindes derart, dass es das Freiwillige Soziale Jahr zum Ende des Monats kündigte. Ab dem 4.7.2018 befand sich das Kind praktisch durchgängig bis zum 11.12.2018 in stationärer Behandlung. Ab dem 15.1.2019 war das Kinder wieder im Rahmen eines FSJ in einer Behindertenwerkstatt eingesetzt.
Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ab dem Monat Juni 2018. Es liege keine Unterbrechung einer Ausbildung vor, vielmehr habe das Kind das FSJ zum 31.5.2018 abgebrochen. Im Hinblick auf das spätere FSJ könne das Kind auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Ausbildungssuche berücksichtigt werden, da es sich gerade nicht um eine Ausbildung, sondern um einen FSJ-Platz bemüht habe.
Der Kläger war der Ansicht, dass das Kind sein am 1.9.2017 begonnenes FSJ am 31.5.2018 nicht abgebrochen, sondern krankheitsbedingt nur unterbrochen habe. Gegen eine Beendigung des FSJ spreche auch, dass das Kind das FSJ fortführen könne und nicht nochmals für zwölf Monate ein neues beginnen müsse. Die Kündigung sei deswegen erfolgt, weil das zuvor privat krankenversicherte Kind im Rahmen des FSJ gesetzlich versichert gewesen sei, was jedoch zu einer langen Wartezeit auf einen Klinikplatz geführt hätte.
Das FG gab der Klage auf Festsetzung des Kindergeldes statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az. III R 15/20 anhängig.
Die Gründe:
Der Bescheid der Familienkasse ist rechtswidrig.
Die Grundsätze zum Fortbestehen des Kindergeldanspruchs bei einer Unterbrechung der Ausbildung wegen Krankheit können auf die krankheitsbedingte Unterbrechung eines Freiwilligendienstes übertragen werden. Es ist aus teleologischen Gründen im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG eine Unterbrechung des FSJ durch Krankheit als für die Kindergeldberechtigung unschädlich anzusehen. Denn in einem solchen Fall kann - anders als im vom BFH entschiedenen Fall (VIII R 47/02), in dem ein FSJ mangels Platz zunächst nicht angetreten werden kann - keine Erwerbsobliegenheit des Kindes angenommen werden, sodass im Ergebnis eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern besteht, zu deren Ausgleich gerade das Kindergeld dient. Soweit ersichtlich, ist dieses Thema bisher weder in Rechtsprechung noch Literatur behandelt worden.
Für die Kindergeldberechtigung des Klägers ist es des Weiteren unschädlich, dass das Kind des Klägers den ersten Abschnitt des FSJ gekündigt hatte und den zweiten Abschnitt später bei einem anderen Träger fortsetzte. Laut der Dienstanweisung der Familienkasse kommt eine anspruchsunschädliche Unterbrechung zwar nur dann in Betracht, solange während einer Erkrankung die rechtliche Bindung zur Ausbildungsstätte fortbesteht. Diese Voraussetzung wird in der Kommentarliteratur teilweise wörtlich übernommen (vgl. Wendl, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 EStG Rn. 95). Sie lässt sich so der Rechtsprechung aber nicht entnehmen. Der BFH hat vielmehr entschieden, dass es für die Frage der Unterbrechung einer Ausbildung nur darauf ankommt, ob auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden; hingegen kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das Ausbildungsverhältnis formal weiterbesteht.
Im vorliegenden Fall ist im Übrigen zu beachten, dass der Kläger plausible Gründe vorgebracht hat, wieso das Kind das FSJ bei dem ersten Träger von sich aus gekündigt hatte (Wiedererlangung des privaten Versicherungsschutzes) und es später nicht wieder bei ihm fortsetzte (kein Wiedereinstieg im laufenden Schuljahr möglich).
lareda.hessenrecht
Die Tochter des Klägers hatte nach ihrem Abitur 2017 im September desselben Jahres ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) begonnen. Das Kind leidet seit etwa 2016 an Bulimie und Anorexie. Im Mai 2018 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Kindes derart, dass es das Freiwillige Soziale Jahr zum Ende des Monats kündigte. Ab dem 4.7.2018 befand sich das Kind praktisch durchgängig bis zum 11.12.2018 in stationärer Behandlung. Ab dem 15.1.2019 war das Kinder wieder im Rahmen eines FSJ in einer Behindertenwerkstatt eingesetzt.
Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ab dem Monat Juni 2018. Es liege keine Unterbrechung einer Ausbildung vor, vielmehr habe das Kind das FSJ zum 31.5.2018 abgebrochen. Im Hinblick auf das spätere FSJ könne das Kind auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Ausbildungssuche berücksichtigt werden, da es sich gerade nicht um eine Ausbildung, sondern um einen FSJ-Platz bemüht habe.
Der Kläger war der Ansicht, dass das Kind sein am 1.9.2017 begonnenes FSJ am 31.5.2018 nicht abgebrochen, sondern krankheitsbedingt nur unterbrochen habe. Gegen eine Beendigung des FSJ spreche auch, dass das Kind das FSJ fortführen könne und nicht nochmals für zwölf Monate ein neues beginnen müsse. Die Kündigung sei deswegen erfolgt, weil das zuvor privat krankenversicherte Kind im Rahmen des FSJ gesetzlich versichert gewesen sei, was jedoch zu einer langen Wartezeit auf einen Klinikplatz geführt hätte.
Das FG gab der Klage auf Festsetzung des Kindergeldes statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az. III R 15/20 anhängig.
Die Gründe:
Der Bescheid der Familienkasse ist rechtswidrig.
Die Grundsätze zum Fortbestehen des Kindergeldanspruchs bei einer Unterbrechung der Ausbildung wegen Krankheit können auf die krankheitsbedingte Unterbrechung eines Freiwilligendienstes übertragen werden. Es ist aus teleologischen Gründen im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG eine Unterbrechung des FSJ durch Krankheit als für die Kindergeldberechtigung unschädlich anzusehen. Denn in einem solchen Fall kann - anders als im vom BFH entschiedenen Fall (VIII R 47/02), in dem ein FSJ mangels Platz zunächst nicht angetreten werden kann - keine Erwerbsobliegenheit des Kindes angenommen werden, sodass im Ergebnis eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern besteht, zu deren Ausgleich gerade das Kindergeld dient. Soweit ersichtlich, ist dieses Thema bisher weder in Rechtsprechung noch Literatur behandelt worden.
Für die Kindergeldberechtigung des Klägers ist es des Weiteren unschädlich, dass das Kind des Klägers den ersten Abschnitt des FSJ gekündigt hatte und den zweiten Abschnitt später bei einem anderen Träger fortsetzte. Laut der Dienstanweisung der Familienkasse kommt eine anspruchsunschädliche Unterbrechung zwar nur dann in Betracht, solange während einer Erkrankung die rechtliche Bindung zur Ausbildungsstätte fortbesteht. Diese Voraussetzung wird in der Kommentarliteratur teilweise wörtlich übernommen (vgl. Wendl, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 EStG Rn. 95). Sie lässt sich so der Rechtsprechung aber nicht entnehmen. Der BFH hat vielmehr entschieden, dass es für die Frage der Unterbrechung einer Ausbildung nur darauf ankommt, ob auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden; hingegen kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das Ausbildungsverhältnis formal weiterbesteht.
Im vorliegenden Fall ist im Übrigen zu beachten, dass der Kläger plausible Gründe vorgebracht hat, wieso das Kind das FSJ bei dem ersten Träger von sich aus gekündigt hatte (Wiedererlangung des privaten Versicherungsschutzes) und es später nicht wieder bei ihm fortsetzte (kein Wiedereinstieg im laufenden Schuljahr möglich).